Im diesem Beitrag stellt Bella Grosman folgenden Text vor:
Cornejo-Valle, Monica; Ramme, Jennifer (2022): “We Don’t Want Rainbow Terror”: Religious and Far-Right Sexual Politics in Poland and Spain. In: Paradoxical Right-Wing Sexual Politics in Europe: Palgrave Macmillan, Cham, S. 25–60. Online verfügbar unter https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-030-81341-3_2.
Dieser Aufsatz untersucht, wie in der Ideologie der extremen und radikalen Rechte (im Folgenden als Rechtsaußen bezeichnet) „Regenbogenterrorismus“ als Bedrohung erschaffen wird und warum sie in Polen existiert, aber nicht in Spanien.
Framing paradoxer Panik
Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit den Mechanismen, die durch eine Politik kognitiver Dissonanz moralische Panik auslösen. Es handelt sich um eine moralische Panik, wenn eine Gefahr wahrgenommen wird, die die Ordnung der Gesellschaft oder eines idealisierten Teils der Gesellschaft bedroht. Polen und Spanien bilden hier ein Beispiel der „Sex Panik“ als eine moralische Panik. Bestandteil sind reproduktive und sexuelle Rechte sowie alle, die für sie einstehen.
Diese Panik wird zu einer moralischen Panik im Kontext von Religion und Nationalismus. Die Darstellung als Gefahr benötigt einen Prozess, bei dem Realität sozial konstruiert wird, was mit Paradoxa einhergeht. Ein typisches Paradoxon der Rechtsaußen (Sexual-)Politik ist das Einnehmen der Opferrolle unter Anwendung der „DARVO“-Taktik. Diese besteht aus dem Leugnen der Beschuldigungen, Zurückangreifen und Umkehren des Opfers in den Täter. Die moralischen Paniken der Rechtsaußen sind das Ergebnis von frames, die verschiedene Themen im gleichen framework in Verbindung bringen und zusätzlicher Untersuchung verschiedener politischer Chancen (in Polen und Spanien). (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 28–29)
Akteure der Rechtsaußen Sexualpolitik
Die katholische Kirche spielt in beiden Staaten eine wichtige, aber unterschiedliche Rolle in der Leitung des ideologischen Diskurses über kulturelle Fragen, Werte und nationaler Identität. In Polen propagiert sie vor allem Patriotismus. Durch die Wahl eines polnischen Papstes wurde das weiter gestärkt. Außerdem war sie die führende moralische Autorität während des politischen Systemwandels in den 90ern und danach.
Eine Studie aus dem Jahr 2017 zeigte einen deutlich höheren Anteil an Katholiken in der Bevölkerung als in Spanien. Die sinkende Zustimmung und Unterstützung der katholischen Kirche in Polen ist eine neue Entwicklung der letzten Jahre. Die Kirche ist in Spanien weniger beliebt und wird wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Faschisten im Zweiten Weltkrieg nicht als politischer Akteur gewertet. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 30)
Obwohl in beiden Staaten die Kirche nicht sehr streng in Bezug auf außerehelichen Sex, Scheidung und Verhütung ist, ist sie in Polen gegen gleichgeschlechtliche Ehe und Adoption, während sie in Spanien dafür ist. Dennoch haben „anti-gender“ Aktivist*innen in beiden Staaten einen katholischen Hintergrund, dogmatische Sprache, Anti-LGBTQ* Agenda, nationalistische familienorientierte „pro-life“ Rhetorik und rechtspopulistische Zugehörigkeit. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 30)
Bereits vorhandene Vereinigungen gegen Abtreibungen wandelten sich oft zu Anti-LGBTQ* Parteien. In Spanien drängten sich kleine Gruppen auf Plattformen zusammen. Alle davon mit direktem oder indirektem religiösem Hintergrund, der in deren Argumentationslinien und Rhetorik deutlich wird. Daraus bildete sich CitizenGo als einflussreichster Verband heraus und war Teil des globalen anti-gender Netzwerks 2012. Mit anderen Organisationen verbunden, verfolgen sie entsprechende Ziele als Teil der EU-weiten Anti-Abtreibungslobby. Hauptmitglieder dieser Organisationen sind oft auch in der spanischen Volkspartei (Partido Popular). (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 31)
In Polen ist die Anti-LGBTQ* Agenda hinzugekommen, steht aber immer noch der Lebensrechtsbewegung (gegen Abtreibung) nach. Die polnischen Gruppen „Jeden z Nas“ (Einer von Uns) und die Polish Association of Human Life Defenders gehören ebenfalls zur europäischen Lobby. Außerdem haben beide Verbindungen zur Kirche (über Stiftungen). Radikale anti-feministische und -LGBTQ* Aktionen wurden durch rechtspopulistische Fraktionen, wie die 2019 Teil des Parlaments werdende Partei Konfederacja, organisiert.
Sie vertreten ein Weltbild aus einer Zeit vor dem National-Katholizismus und Faschismus des Zweiten Weltkriegs. Es werden Vereinigungen mit Organisationen und Aktivist*innen, die gegen Abtreibung sind, sowie Rechtsaußen veranlagte Repräsentanten der katholischen Kirche eingegangen. Sexualpolitik wird hierbei an Ideen weißer Vorherrschaft, Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie geknüpft. Ihre Konkurrenzpartei PiS wurde 2015 zur Regierungspartei. Das hatte zur Folge, dass Mitglieder der bereits benannten Organisationen höhergestellte Positionen in Ministerien und staatlichen Rollen einnahmen, so auch Sitze im Obersten Gericht. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 31–33)
Rhetorik von welcher Krise? „Kultur des Todes“, „Gender Ideologie“ und die dogmatische Sprache der Angst
Analysen von Sprache und einem transnationalem ideologischen framework zeigten die weltweite Rolle der katholischen Kirche in der Systematisierung von Argumenten. Besonders wichtig war das Zusammenbringen und die Ausrichtung von Stammzellforschung, gleichgeschlechtlicher Ehe, Euthanasie, Transgender-Themen, Abtreibungen, künstlicher Befruchtung und Marxismus. Aus dieser Ausrichtung heraus sind alle diese Themen ein Irrglaube der "Gender-Ideologie“, die durch marxistischen Feminismus inspiriert wurde.
Gleichzeitig spiegelt der frame „Kultur des Todes“ den Versuch wider, menschliches Leben auf der Erde auszulöschen, was gegen das Gebot der Vermehrung in der Bibel ist. Somit wird die „Kultur des Todes“ zur einem „master frame“, der erlaubt, über kirchliche Belange hinauszugehen und einen ideologischen Zusammenschluss mit anderen pro-nationalistischen Agenden einzugehen. Außerdem können dadurch Ideen, Fakten und Gefühle in einem frame untergebracht werden, der Schuldzuweisung zu marxistischen Feminist*innen, der „gay lobby“ und Machiavellismus beinhaltet. Des Weiteren ist eine lokale Anpassung der Krisen an kollektive Emotionen und Erinnerungen möglich, sodass die moralischen Paniken lokal Sinn ergeben. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 33–34)
Während in Polen ein offen homophobes und misogynes Vokabular von Politiker*innen, Aktivist*innen etc. verwendet wird, wollen diese in Spanien nicht als homophob wahrgenommen werden. Obwohl sich die frames dadurch unterschiedlich darstellen, ist dennoch auch in Spanien von einer „LGBT-Doktrin“ und einem „falschen Recht auf Homosexualität“ die Rede. Auch transphobe Kampagnen werden trotzdem umgesetzt. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 34)
Insgesamt folgen einzelne Akteure in beiden Staaten dem Skript der globalen Rechtsaußen. In Polen kommt jedoch hinzu, dass Repräsentanten der katholischen Kirche Ideologien der Rechtsaußen offen ausdrücken, indem sie zum Beispiel vom „Tod der Zivilisation“ primär als Bedrohung des Überlebens der „Weißen Rasse“ formulieren. Außerdem sind Kommunismus und Staatssozialismus als wichtiger meta frame einzigartig für Polen. Somit werden egalitäre Werte als totalitär gewertet, sexuelle und Geschlechter-Diversität zu Staatssozialismus und Rechtsaußen-Positionen die einzige unschuldige und native Alternative dazu. Das wird durch das historische Verständnis von Nazismus als Deutscher Nationalsozialismus verstärkt und hat seinen Ursprung in Polens Geschichte als Satellitenstaat. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 36–38)
Die Tradition des Diskurses wurzelt im Ersten Weltkrieg, als "das Judentum" und Marxismus die Feinde darstellten. Heute haben gender und LGBTQ*-Ideologien die Feindrolle abgelöst, werden jedoch immer noch an Judentum und Marxismus geknüpft. In Polen war das so erfolgreich, dass in einer Umfrage 31% der Männer die „LGBT Bewegung“ als aktuell größte Gefahr für Polen angaben. Außerdem kam in Polen 2015 das frame der „muslimischen Invasion“ hinzu, in dem Geflüchtete eine „sexuelle Bedrohung“ für polnische Frauen und ein Anschlag auf das Christentum sind (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 38)
Verflechtung von Ideologien: Nationale Souveränität, Familismus und christliche Vorherrschaft
Im Vergleich fällt auf, dass obwohl spanische anti-gender und -LGBTQ* Akteure die gleichen Taktiken und Rhetoriken verwenden wie in Polen, der Diskurs nicht in die Mitte der Gesellschaft rückte und lange Zeit keinen Fortschritt machte. Schlüsselfaktor ist ein unterschiedliches Profil von Nationalismus. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 38)
Nationalismus in Spanien wird als pluralistisches und säkulares Konzept in einem extrovertierten Stil beschrieben, den verschiedene Nationen gemeinsam haben. Im Gegensatz dazu hat der Nationalismus in Polen einen introvertierten Stil und ist auf Märtyrertum und einem Wiederbeleben nationaler Traumata aufgebaut. Sie werden politisch instrumentalisiert, um ein Gefühl nationaler Isolation und ethnischer Diskriminierung zu schüren.
Die Rhetorik greift immer wieder auf, dass sich Polen in akuter Gefahr befindet und sich gegen diese „feindlichen Mächte von außen“ verteidigen muss. Der einzige Unterschied dieser Rhetorik zu der im 20. Jahrhundert, ist, dass „der Jude“ als Bedrohung durch „den Homosexuellen“ ersetzt wurde und der „Jüdische Masterplan“ (Weltverschwörung) durch eine „Lobby der Homosexuellen“. Es ist also eine transnationale Wiederkehr und Fortführung antisemitischer Rhetorik zu beobachten. Jüdische Menschen bleiben weiterhin schuldig, denn sie stellen die überstehende Gefahr dar, zusammen mit Marxisten*innen, Feminist*innen und queeren Menschen.
Eine Besonderheit der Rhetorik in Polen ist die Strategie der PiS, Polen als weiterhin unabhängiges Land darzustellen. Dadurch rechtfertigte die Partei während ihrer Regierungszeit ab 2015 „dobra zmiana“ (gute Veränderungen) als Heilmittel für diese, zuvor durch sie etablierten, Krisen. Sie äußerten sich in Familismus bzw. der katholischen Familie als Grundbaustein der Nation, die die Souveränität von Polen aufrechterhält.
Die katholische Kirche bietet zugunsten dieser strengen Sexualpolitik eine Unterstützung während des Wahlkampfes. Des Weiteren wurde 2020 die Pandemie und damit einhergehende mangelnde Protestmöglichkeiten genutzt, um demokratische Strukturen weiter zu schwächen. So wurde beispielsweise eine dreijährige Haftstrafe für sexuelle Aufklärung, die LGBTQ*-Themen enthält, eingeführt. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 38–40)
Im Vergleich dazu wurden in Spanien durch einen Wertewandel Anti-Sexismus und sexuelle Diversität zu neuen Symbolen eines progressiven Spaniens. Zwar waren auch hier Nationalismus und Sexismus während der Diktatur bis 1975 miteinander verflochten, jedoch ist das heute nicht mehr der Fall. Dennoch rief das Gesetz zu gleichgeschlechtlicher Ehe eine nationalistisch motivierte anti-gender Antwort im Jahr 2005 hervor. Dieser ging zwischenzeitlich zurück und machte 2018 eine Rückkehr, die Nationalismus wieder mit sexuellen und reproduktiven Rechten verknüpfte. Viele Rechtsaußen Parteien erlebten dadurch ein schnelles Aufstreben.
Die Zunahme der Diskussion um Kataloniens Unabhängigkeit im Jahr 2018 unterstützte das, da die Einigkeit Spaniens bedroht war. Davon profitierte die rechte Partei Vox. Sobald Vox im regionalen Parlament vertreten war, versuchte sie, die Forderung nach Souveränität wieder fallenzulassen und rückte Anti-Gender an erste Stelle. Vox gelang es innerhalb kürzester Zeit, ein nationaler Akteur zu werden und durch gewollt provokative Aussagen und Proteste eine starke mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Elemente waren unter anderem Teil einer Wahlkampagne, und die Medienberichterstattung, die darauf einging, verstärkte den Einfluss von Vox in der Bevölkerung und verhalf ihnen zu 15% der Stimmen in der Wahl 2019.
Auch Vox nutzte, wie die Volkspartei, die Covid-19 Pandemie als eine Chance, um xenophobe Argumente in Spanien weiterzuentwickeln. Im Gegensatz zu Polen diskutierte die katholische Kirche, das Wählen einer bestimmten Partei an ihre Anhänger zu empfehlen, kam jedoch zu keiner Einigung, da viele kritisierten, dass die Haltung gegen Geflüchtete und Migrant*innen unkatholisch sei. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 40–44)
Schlussfolgerung: Paradoxe Paniken und transnationale frames für nationalistische Agenden
Obwohl polnische und spanische Konservative und Rechte versuchten, „moralische Paniken“ herzustellen, gab es unterschiedliche Erfolgsraten. Um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu beobachten, wurden drei Aspekte betrachtet: Totalitäre und autoritäre Vergangenheit, Katholizismus und Nationalismus. Sie setzen sich in Spanien und Polen auf unterschiedliche Art zusammen, dennoch wird auf der gleichen Rhetorik von Krisen gebaut.
Solche Krisen und Gefahren sind Feminist*innen, Linke und Marxist*innen, die „gay-lobby“, Nicht-Katholiken, Geflüchtete in Polen und Migrant*innen in Spanien. Diese globale Ansammlung nationalistischer und Rechtsaußen-Argumente sowie die Verwendung der DARVO-Taktik bilden die wichtigsten Paradoxa ihres Vorgehens. Das Ziel der Rechtsextremen, Einfluss über Staat und Bevölkerung zu gewinnen sowie eine Homogenität zu erringen, ist eindeutig. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 44–46)
Literatur
Cornejo-Valle, Monica; Ramme, Jennifer (2022): “We Don’t Want Rainbow Terror”: Religious and Far-Right Sexual Politics in Poland and Spain. In: Paradoxical Right-Wing Sexual Politics in Europe: Palgrave Macmillan, Cham, S. 25–60. Online verfügbar unter https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-030-81341-3_2.
Möser, Cornelia; Ramme, Jennifer; Takács, Judit (Hg.) (2022): Paradoxical Right-Wing Sexual Politics in Europe. 1st ed. 2022. Cham: Springer International Publishing; Imprint Palgrave Macmillan (Springer eBook Collection). Online verfügbar unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-030-81341-3.pdf, zuletzt geprüft am 22.06.2022.
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