In diesem Beitrag stellt Zoe Nipp folgenden Text vor:
Ketelhut, Jörn (2022): Euroskeptizismus: Eine Begleiterscheinung des Populismus?; in: Frank Decker, Bernd Henningsen, Marcel Lewandowsky und Philipp Adorf (Hg.): Aufstand der Außenseiter. Die Herausforderung der europäischen Politik durch den neuen Populismus, Baden-Baden: Nomos (International studies on populism, Band 6), S. 71-84, online unter https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783845297996-71/euroskeptizismus-eine-begleiterscheinung-des-populismus?page=1.
In dem Text von Jörn Ketelhut geht es um die Entstehung des Begriffs „Euroskeptizismus“ und dessen Bedeutung. Des Weiteren geht er auf den Zusammenhang zwischen Euroskeptizismus und Populismus ein und beleuchtet verschiedene Forschungsrichtungen bzw. Sichtweisen, um im Abschluss eine Antwort auf seine als Frage formulierte These im Titel herauszuarbeiten.
Zunächst wird die Frage geklärt was Euroskeptizismus eigentlich ist. Euroskeptizismus sei kein neuer Begriff. „Seit über dreißig Jahren findet man ihn in der Berichterstattung der Medien, in politischen Debatten, der Alltagssprache und der wissenschaftlichen Literatur.“ (S. 72) Man sei sich jedoch bis heute nicht einig darüber geworden was mit Euroskeptizismus gemeint sei. Es gebe außerdem zahlreiche ähnliche Begriffe „‘EU-Skepsis‘ und ‚Europaphobie‘ oder ‚Anti-Europäismus‘“ (S. 72), die auch in Abgrenzung benutzt würden. Seit neuestem stelle sich außerdem die Frage, ob Euroskeptizismus „[…] in seinen diversen Spielarten den politischen Diskurs und die Parteiensysteme der EU-Mitgliedstaaten verändert“ (S. 72).
Der Begriff selbst sei eine britische Komposition und erstmals im November 1985 in einem Artikel der Times aufgetaucht. Auch dort sei der Begriff nicht näher erklärt worden. Später seien die Briten dazu übergegangen, Euroskeptizismus „als in der Gesellschaft vorhandene politische Haltung zu identifizieren“ (S. 73). In Deutschland tauchte der Begriff in den 90ern erstmals auf.
Selbst in der Politikwissenschaft gebe es Probleme, ihn zu definieren. Es würden eher verschiedene Ansätze konstruiert „die versuchen, den Begriff näher zu bestimmen und ihn für die Forschung fruchtbar zu machen“ (S. 74). Nach Paul Taggart gehe es im Kern „um eine dem europäischen Integrationsprozess entgegengesetzte Geisteshaltung“ (S. 74).
Nach ihm und Alkes Sczcerbiak gebe es zwei verschiedene Arten von Euroskeptizismus. Man müsse zwischen einem harten (= „eine kategorische, nicht selten unreflektierte Ablehnung des gesamten europäischen Projektes. Insbesondere stört er sich daran, dass die Mitgliedstaaten die EU überhaupt mit Kompetenzen zur Erfüllung ihrer Aufgaben ausgestattet haben“, zit. nach S. 74) und einem weichen (= „setzt ein gewisses Verständnis des politischen Systems der EU und seiner rechtlichen Grundlagen zwingend voraus. Sie stört sich weder am bisherigen Verlauf des Integrationsprozesses noch stellt die momentane Kompetenzausstattung der EU für sie ein unüberwindbares Problem dar. Ihr Blick ist […] auf zukünftige Entwicklungen gerichtet. Ziel des „weichen“ Euroskeptizismus ist es, den Status quo zu wahren“, zit. nach S. 74) Euroskeptizismus unterscheiden.
Cas Mudde und Petr Kopecký arbeiteten ein weiteres Verständnis heraus, das als Kritik am beschriebenen Modell verstanden werden könne. Als Frucht ihrer Überlegungen würde eine Matrix entstehen „mit deren Hilfe sich vier typische Einstellungsmuster zur europäischen Integration identifizieren lassen“ (S. 75). Diese vier Muster seien „Euroenthusiasten, Europragmatiker, Euroskeptiker und Eurogegner“ (S. 75). An der Fülle der Definitions- und Forschungsversuchen solle deutlich werden, „dass es sich beim Euroskeptizismus um ein überaus vielschichtiges Phänomen handelt, das sich einer einfachen Begriffsbestimmung weitgehend entzieht.“ (S. 75).
Was sind Ursachen und Auswirkungen von Euroskeptizismus? Er könne als „Elitenphänomen“ (S. 76) auftreten oder aber die gesellschaftlich schlechte Stimmung gegenüber der EU zum Ausdruck bringen. Er würde außerdem solche Ausmaße annehmen, dass sich dies im Parteienwettbewerb niederschlage. Auch die Beweggründe für eine skeptische bis feindselige Haltung gegenüber der EU seien äußerst vielfältig. Nach Leconte gibt es vier verschiedene Varianten der Euroskepsis.
- Die erste Variante ziele „auf utilitaristische Erwägungen ab“ (S. 76). Die Integrationsprojekte seien nicht unbedingt sinnvoll und die EU sei ein einziges Kosten-Nutzen-Modell. Die Integration würde aus diesem Blickwinkel heraus also nur Geld kosten.
- Die zweite Variante habe Probleme mit „den politisch-institutionellen Spezifika der EU“ (S. 77). Die EU würde sich „staatsähnlich“ verhalten.
- Die dritte Variante zielt auf die „Gefahr für tradierte nationale Werte, Normen und Konventionen“ (S. 77). So sollen geschichtliche Normen und Werte der Mitgliedstaaten aufgeweicht werden.
- In der vierten Variante würde man „Identität und Kultur“ (S. 77) in Gefahr sehen. Die EU sei ein „ökonomisches Projekt“ und für eine Integration auf sozialer oder politischer Ebene nicht geschaffen, da „[…] die kulturellen Voraussetzungen für derartige Schritte […]“ (S.77) nicht gegeben seien.
Er würde nicht nur beeinflussend auf das politische Denken oder die öffentlichen Diskussionen wirken, sondern auch die Parteien der einzelnen Länder an sich verändern, da seit den 90ern immer lautere Kritik am Integrationsprozess deutlich würde. In Großbritannien habe man nach jahrelangem Auflehnen sein Ziel erreicht. Ähnliches würde man auch in Frankreich und Österreich beobachten. Dort werde die EU ebenfalls scharf kritisiert.
In Deutschland sehe das Ganze trotz allem etwas anders aus. Parteien, die Euroskeptizismus betrieben, seien alle nach und nach wieder in der Versenkung verschwunden. Die Bevölkerung sei trotzdem nicht zufrieden mit der EU. Diese Haltung gewann während der Wirtschaftskrise an Zuspruch. Schließlich konnte sich die AfD diese Kritik zunutze machen. Auch die AfD spricht von einem EU-Austritt von Deutschland.
Durch den Aufstieg all dieser Parteien haben sich die Gespräche über die EU gewandelt. Mittlerweile würden oft die Risiken der europäischen Integration beleuchtet und nicht etwa deren Chancen (vgl. S. 79). So seien Unterstützer und Gegner der europäischen Integration in allen Mitgliedsstaaten zu finden und stünden in Rivalität zueinander, was die „Zerrissenheit der Gesellschaft“ (S.79) widerspiegele: „auf der einen Seite die Gewinner von Globalisierung und Europäisierung, auf der anderen diejenigen, die sich durch das Verschwinden der Grenzen und die Erosion des Nationalstaats in ihrer Existenz bedroht fühlen“ (Topaloff, zit. nach S. 79).
Beide Erscheinungen (Populismus und Euroskeptizismus) würden häufig miteinander einhergehen, seien aber dennoch unterschiedliche Phänomene. Jedoch seien beide an keine spezielle Ideologie gebunden, sie seien rechts und links zu finden und ragen bis in die politische Mitte (vgl. S. 79). „Dieser Umstand wirft die Frage auf, ob Euroskeptizismus und Populismus […] als Ausdruck einer durch den (innerstaatlichen) Parteienwettbewerb motivierten Abgrenzungs- und Profilierungsstrategie untersucht werden sollten" (S. 79-80). Es gebe noch weitere Gemeinsamkeiten beider Theorien wie bspw. das Spielen mit den Ängsten der Bürger. Neben einigen Gegensätzen könne man den Euroskeptizismus vor allem mit dem Rechtspopulismus vergleichen, wenn man sich die vorher genannte vierte Variante nochmals vor Augen führt, in der es um kulturelle Themen geht.
„Abschließend bleibt festzuhalten: Populismus und Euroskeptizismus sind zwar unterschiedliche Phänomene und Begriffe – gleichwohl ist ihnen eine gewisse Artverwandtschaft nicht abzusprechen. […] Es sind vor allem rechtspopulistische Parteien, die sich durch eine betont euroskeptische Haltung hervortun […] Je weiter sie sich ideologisch in das national-völkische Fahrwasser hineinbegeben […] desto „härter“ […] gehen sie mit der EU ins Gericht.“ (S. 81)
Die linkspopulistische Seite bediene sich eher „weicheren“ Formen des Euroskeptizismus und nutze nur einzelne kritische Fragen.
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