In diesem Beitrag stellt Franziska Schmidt folgenden Text vor:
Feo, Fancesca / Lavizzari, Anna (2021): Fallstudie Italien; in: Triumph der Frauen? Das weibliche Antlitz des Rechtspopulismus und -extremismus in ausgewählten Ländern, Heft 06, Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) - Forum Politik und Gesellschaft, online unter: https://www.fes.de/themenportal-gender-jugend-senioren/gender-matters/artikelseite/fallstudie-italien.
Die FES betrachtet in ihrer Studienreihe das „weibliche Anlitz des Rechtspopulismus“ und untersucht hierfür einzelne Länder und ihre rechtspopulistischen Parteien. In der Fallstudie Italien setzen Francesca Feo und Anna Lavizzari den Fokus auf die beiden wichtigsten Rechtsparteien in Italien, die Lega und die Fratelli d´Italia.
Zunächst behandelt der Artikel die Entwicklung der Parteien, ausgehend von den 1990er Jahren. Seit diesem Jahrzehnt konnten die Parteien, die beide ein Programm kombiniert aus Nativismus, Autoritarismus und Populismus verfolgen, stetig an Bedeutung gewinnen und haben es so in die Regierungen geschafft.
Im Falle der Lega wird auf die Entwicklung aus einer zunächst separatistischen Partei (Lega Nord) verwiesen. Die Lega Nord verfolgte das Ziel der „regionalen Autonomie“ des Nordens von Italien (vgl. S. 3), da dieser im Vergleich zum angeblich faulen und diebischen Süden erheblich für die wirtschaftliche Kraft des Landes verantwortlich ist. Mittlerweile ist die Agenda jedoch hauptsächlich auf die Themen Nationalismus, Migrationsfeindlichkeit und ein ideologisches Weltbild ausgerichtet (vgl. S. 3). Diese Neuausrichtung sorgte dafür, dass die Lega zahlreiche Erfolge und Scharen an Neuwähler:innen verbuchen konnte und somit ihre Ursprünge weit in den Schatten stellte.
Die Fratelli d´Italia (FdI) ist ein Ableger einer anderen Rechtpartei, der Alleanza Nazionale. Ein Schwerpunkt im Parteiprogramms bildet die Forderung von höheren Sozialleistungen, allerdings nur für „ethnisch definierte Italiener“. Außerdem arbeitet die Partei auch stark mit der Symbolik der fiamma tricolore, der dreifarbigen Flamme, und führt diese sogar in ihrem Parteilogo auf. Diese Flamme ist eine eindeutige Zuordnung zu den „italienischen radikalen Rechten“ (vgl. S. 4).
Trotz teilweise sehr unterschiedlichen Agendas verbindet die beiden Parteien „ein [...] Programm aus migrationsfeindlicher und populistischer Politik, einem Ansatz von `Recht und Ordnung‘ und der Verteidigung italienischer Werte und Traditionen“ sowie ein starker Fokus auf den Schutz der heteronormativen italienischen Familie (vgl. S. 4).
Die Studie setzt sich mit der Geschlechter- und Wahlpolitik der Parteien auseinander unter der Beobachtung, dass sich immer mehr Frauen rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien anschließen, diese unterstützen und dort auch zunehmend Führungspositionen wahrnehmen. (vgl. S. 4).
Frauen- und Geschlechterpolitik von Lega und FdI
Beide Parteien haben ein ähnliches Frauenbild, das sich stark an einer nativistischen Weltsicht orientiert. Das Parteiprogramm der Lega wendet sich der Thematik im Vergleich zur FdI deutlich mehr zu. Hier wird viel Wert auf die traditionelle Familie gelegt. Die Lega definiert bspw. die Familie als “ursprünglichen Kern der Gemeinschaft“ und die erste Institution der Wirtschaft (vgl. S. 5). Des Weiteren wird auch auf Pflege und Kinderbetreuung hingewiesen sowie auf die Hauptaufgabe der italienischen Frau, die Reproduktion.
Die „demographische Krise“ wird von beiden Parteien als größte Bedrohung der italienischen Nation gedeutet. Vor allem seien der Migrationszulauf und die schwache Wirtschaftskraft als Bedrohung der „natürlichen Familie“ zu verstehen. Aber auch der „Genderwahn“ steht seit 2018 auf der Liste der Bedrohungen, der die enge Verwobenheit der Parteien mit dem Katholizismus zeigt. Dieser Ideologie zu folgen, wäre nur von Vorteil für eine kleine Minderheit, „die mit den Eliten gemeinsame Sachen machen“ (S. 5 f).
Um die Geburtenrate wieder zu erhöhen, verfolgen beide Parteien sozialpolitische Maßnahmen, die die „traditionelle Familie“ unterstützen sollen, wie etwa Steuersenkungen und Prämien, jedoch natürlich nur für "echte Italiener:innen". Auch wenn Frauen im traditionellen Sinne immer noch primär die Mutterrolle zugesprochen wird, so setzen sich die Parteien dafür ein, bessere Arbeitsbedingungen für junge Mütter zu schaffen, um Berufs- und Familienleben besser zu bewältigen (vgl. S. 6).
Hierbei ist allerdings anzumerken, dass berufstätige Frauen nur toleriert werden, solange sie ihren mütterlichen Pflichten ausreichend nachkommen. Generell werden viele Gesetzes- und Reformvorschläge unter der Prämisse präsentiert, Frauen zu unterstützen, doch zielen diese, wie auch der Vorschlag der Lega zu einer frühzeitigen Pension, oftmals nur auf die Sorgefunktion der Frauen ab (im Beispiel wird diese Reform mit einem Recht auf Großmutterschaft begründet) (vgl. S. 6f.).
Zwar machte die Lega ihre Versprechungen, mehr für die Familien zu verändern, bei ihrer Regierungsperiode im Jahr 2018 wahr, der Familienminister Lorenzo Fontana ließ es sich aber nicht nehmen, seiner Feindseligkeit gegenüber Homosexualität, LGBTQIA-Rechten und Einwanderung freien Lauf zu lassen. In seinem Buch wird deutlich, dass die italienische Kultur moralisch superior gegenüber anderen sei und somit seine „chauvinistische Sozial- und Bevölkerungspolitik“ rechtfertigt (vgl. S. 6).
Reproduktive Rechte
Die demographische Problematik Italiens beeinflusst auch die Haltung der beiden Parteien zu reproduktiven Rechten. In Italien ist zwar ein Schwangerschaftsabbruch gesetzlich erlaubt, allerdings steht es Ärzt:innen frei, diese aus moralischen Gründen zu verweigern. Obwohl beide Parteien reproduktive Rechte nicht explizit in ihren Programmen erwähnen, wird im Parlament viel darüber diskutiert (vgl. S. 7).
Während der Parteivorsitzende der Lega, Salvini, nicht das Recht an sich in Frage stellt, sondern mehr darauf drängt, die Abtreibungsrate zu reduzieren, ist die Vorsitzende der FdI, Meloni, der Meinung, dass das Gesetz nicht ausreichend umgesetzt wird und fordert eine Prävention von Abtreibungen. Laut ihrer Aussage solle ein Schwangerschaftsabbruch nur in strengen Notfällen möglich sein, schließlich stehe dem das “Recht auf Mutterschaft“ und die „Wahrung der Rechte des Kindes“ entgegen (vgl. S. 7). Die Entwicklung beider Parteien lässt jedoch darauf deuten, dass keine der beiden einer Verschärfung des Gesetzes abgeneigt wäre, da beide bereits Initiativen gegen Abtreibungen in kleinerem Rahmen durchgeführt haben (vgl. S. 7f.).
Geschlechtsspezifische Gewalt und LGBTQIA-Rechte
Die Lega thematisiert geschlechtsspezifische Gewalt durchaus in ihrem Wahlprogramm, jedoch steht hier nicht der Opferschutz an erster Stelle. Die Migration junger Männer wird instrumentalisiert, um eine Bedrohung der italienischen Frau, insbesondere durch Muslime, darzustellen. Dies spielt somit auch in den islamfeindlichen Diskurs der Partei (vgl. S. 8).
Beide Parteien gehen von einer biologischen Vorstellung von Geschlecht aus. Die Lega drückt ihre Abneigung gegenüber der Regenbogencommunity deutlich mit der Ablehnung von gleichgeschlechtlichen Adoptionen und Leihmutterschaft aus. Jedoch beteuern die Parteien, nicht homophob zu sein, es gehe um geschützte Begriffe wie Mutter und Vater, Ehemann und Ehefrau, schließlich bräuchten Kinder diese beiden Elternteile (vgl. S. 8f.). Mit dieser Einstellung rechtfertigen sie auch die Bekämpfung von Gender- und Sexualkunde in jüngeren Klassenstufen, Eltern hätten das Recht, ihre Kinder traditionell zu erziehen (vgl. S. 9).
Unterstützung von Frauen für populistische rechtsradikale Parteien in Italien
In Westeuropa werden Frauen im Bereich der rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien immer aktiver, einige von ihnen wie Le Pen oder Meloni führen bereits auch rechte Parteien an. Im Falle Italiens sind Parteien dazu verpflichtet, ein gewisses „Gleichgewicht der Geschlechter“ zu finden (vgl. S. 10). Analysiert man jedoch die Parteien, so sind sowohl bei der Lega als auch bei der FdI Männer deutlich überpräsentiert.
Jedoch gilt es festzuhalten, dass beide Parteien in den letzen Jahren immer mehr weiblichen Zuwachs verzeichnen konnten. So war der Frauenanteil der FdI 2013 noch bei 11%, 2018 lag dieser Wert bereits bei 31%. Ähnlich ist es auch bei der Lega, die ebenfalls 11% Frauen im Jahr 2013 verzeichnen konnte, im Jahr 2018 dann 27% (vgl. S. 10f.).
Die Lega verfolgt innerhalb der Partei eine klare Arbeitsteilung der Geschlechter, ganz der Tradition entsprechend. Dies bedeutet, Männer machen die „harte Politik“, während Frauen eher administrativen und organisatorischen Aufgaben nachgehen (vgl. S. 11). Die FdI wiederum ist die einzige größere Partei innerhalb Italiens, die eine Frau an der Spitze stehen hat, einer von Melonis zentralen Punkten ist jedoch ebenfalls ihre Rolle als Mutter, also auch eine traditionelle Ausrichtung der Geschlechterrollen (vgl. S. 12).
Aber nicht nur innerhalb der Partei werden immer mehr Frauen Mitglieder. Der Zuspruch der Bevölkerung für beide Parteien ist ebenso im stetigen Aufschwung und die Kluft zwischen männlichen und weiblichen Wähler:innen geht gegen null. Die FdI konnte sich von einer weiblichen Wählerschaft von rund 37,5% 2013 auf 48,5% 2018 bis sogar zu 50% 2019 hocharbeiten. Auch die Lega kann hier wieder mit vergleichbaren Zahlen nachziehen (40,9%, 49,2% 47,7%) (vgl. S. 13).
Im Falle der FdI wird angenommen, dass die Parteivorsitzende Meloni eine beträchtliche Rolle für die weibliche Wählerschaft spielt, sie entradikalisiert nach wie vor das Bild der männlich dominierten Partei und setzt sich für Frauen und besonders Mütter ein. Zusammen mit der Lega sind beide Parteien eine offenbar gute Anlaufstelle für die Belange der Frauen, zumindest hinsichtlich des Schutzes vor "Bedrohungen" wie Migrationszuwachs, Islamisierung und sozialer Unsicherheit (vgl. S. 13f.).
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