Dienstag, 26. Juli 2022

Feindbild LGBTIQ in Ungarn

In diesem Beitrag stellt Rubina Di Stefano folgenden Text vor:

Perintfalvi, Rita (2021): LGBTIQ-Menschen als Zielscheiben aggressiver rechtspopulistischer und religiös-fundamentalistischer Angriffe und deren Kritik; in: LIMINA - Grazer theologische Perspektiven 4.1 (17.4.2021): S. 158-176, online unter: https://limina-graz.eu/index.php/limina/article/view/109.

Der Text von Rita Perintfalvi thematisiert das Feindbild, das die LGBTIQ-Menschen sowohl für fundamentale Christen als auch für Rechtspopulisten darstellen. LGBTIQ-Menschen, wie beispielsweise homosexuelle oder transsexuelle Menschen, haben es in Ungarn nicht einfach. In Ungarn gibt es einen rechtspopulistischen Gesellschaftsentwurf und somit eine konkrete Vorstellung des Geschlechts und geschlechtlicher Identitäten sowie auch sexueller Orientierungen, die sich nicht mit den Vorstellungen der LGBTIQ-Community vereinbaren lässt. Sie schreibt darüber, wie der politische Autoritarismus die Religiosität als Manipulationsstrategie in der Politik instrumentalisiert. Denn religiöse Fundamentalisten beeinflussen die Politik und sowohl sie als auch politische Fundamentalist*innen bedrohen LGBTIQ-Menschen.

Im Grunde bedeutet dies, dass Ungarns rechtspopulistische Ideologie eine illiberale christliche Demokratie zum Ziel hat, eine Gesellschaft, in der die Identitäten homogen, heterosexuell, weiß und christlich sind (vgl. S. 160). Deren Auffassung des Gesellschaftsentwurfs wird also von Rechtspopulisten aus religiöser Sicht begründet und verletzt die Menschenwürde der betroffenen Personen. Wie Perintfalvi in ihrem Text sagt, spricht „der ungarische Politikwissenschaftler András Bozóki im Fall von Ungarn über eine politische Fusion zwischen Nationalismus und Christentum“ (S. 160). Nur auf diese Weise erzielen die Rechtspopulisten ihre christlich-nationale Identität.

In Anbetracht der Situation wird deutlich, dass Menschen der LGBTIQ-Community also nicht als Teil der Gesellschaft gesehen werden. Auch Migrant*innen oder Obdachlose sind nicht willkommen, ein Teil der Gesellschaft darzustellen. Perintfalvi zeigt auf, dass auf diese Weise eine Spaltung des Volkes in die Gemeinschaft "Wir" und in "die Anderen" (welche nicht dazugehören) entsteht (vgl. S. 160). "Die Anderen" stellen ein Feindbild dar, welches bekämpft werden muss, um die ängstliche Gemeinschaft, die "Wir"-Gesellschaft, zu schützen und sie stabil zu halten. 

Denn was den Vorstellungen der Rechtspopulist*innen nicht entspricht, gilt als Bedrohung, und eine Bedrohung muss nun mal durch ein manipulatives Machtspiel bekämpft werden. Statt sich mit den wirklich wichtigen Themen der Politik auseinanderzusetzen, wird ein Feindbild gesucht, dessen Bekämpfung keine große Mühe erfordert. Seit 2020 gelten LGBTIQ-Menschen als gutes Feindbild in Ungarn, da sie eine Minderheit darstellen. Für Rechtspopulist*innen stellen sie in der Politik ein perfektes Opfer zum Attackieren dar.

Schon 2010 gab es von den neuen rechtskonservativen Koalitionen in Ungarn eine Anti-Gender-Debatte. Es kam zu der Aufhebung der Geschlechtergleichstellung und ein Jahr später folgte eine Schutzpflicht für die Ehe, unter der nur die Ehen eines heterosexuellen Paares akzeptiert werden. Jedoch fokussierte sich die Regierung die darauffolgenden Jahre recht schnell auf ein neues Feindbild, das der Flüchtlinge, welches der Gesellschaft mehr „Angst“ machte. Ab 2017 begann die Regierung wieder mit der Anti-Gender Attacke (vgl. S. 161-162) und 2020 hatten sie das neue Feindbild der LGBTIQ-Menschen und Communitys.

2020 wurde in Ungarn das Pandemie-Notstandsgesetz verabschiedet, mit diesem kann der Präsident Orban ohne das Parlament regieren. Die rechtspopulistische Regierung setzte in dieser Zeit (des Ausnahmezustands) auch Beschlüsse durch, die nichts mit dem Corona-Virus zu tun hatten. Um das Feindbild der LGBTIQ-Menschen zu „bekämpfen“, sorgen zwei Änderungen der Verfassung dafür, dass ihre Rechte und Freiheiten eingeschränkt werden. Argumente, die diese Änderungen bestärken sollen, sind dabei rein religiös-fundamentalistisch. Beispielsweise wurden spätere Änderungen des Geschlechts als illegal erklärt (vgl. S. 165). Außerdem stimmte das Parlament einem Änderungsvorschlag zu, der „die Bewahrung und den Schutz der Selbstidentität des Kindes, die von Geburt an unveränderbar besteht, garantiert“ (S. 165). Dies richtet sich deutlich gegen die Rechte transsexueller Menschen.

In all diesen politischen wie auch religiös fundamentalistischen Debatten geht es nur darum, das veraltete und klischeehafte „Gesellschafts-, Familien-, Frauen- und Männerbild" (S. 162) beizubehalten. Es scheint, als würde die Veränderung in eine "moderne/neue" Gesellschaft Angst machen, weswegen sie eine radikale Gegenposition gegen sexuelle Minderheiten und die Emanzipation der Frau einnehmen (vgl. S. 162).

Sie glauben beispielsweise daran, dass Homosexualität etwas Sündhaftes beziehungsweise eine Art Krankheit ist, und dass es unbestreitbar ist, dass es nur das von Gott gemachte und gewollte binäre Geschlecht gibt. Selbst wenn die Wissenschaft das Gegenteil beweist, scheint dies nicht relevant zu sein. Nicht nur fundamentalistisch-religiöse Gruppen, sondern auch die rechtspopulistische Politik leugnen jegliche wissenschaftliche Positionen sowie beispielsweise auch die Existenz intersexueller Menschen und die Tatsache, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt (vgl. S. 167). Es scheint, als wäre die Wissenschaft ebenfalls der Feind.

Es zeigt sich in Perintfalvis Text sehr deutlich, dass in Ungarn wirklich eine Art Fusion von Nationalismus und Religion herrscht, in der sich Fundamentalisten und Rechtspopulisten gegenseitig stützen und die Menschenwürde bestimmter Personen verletzen.

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