In diesem Beitrag stellt Jessica Gußmann folgenden Text vor:
Schweighöfer, Kerstin (2017): Rechtspopulismus in den Niederlanden; Online-Dossier
der Bundeszentrale für politische Bildung, online unter: https://www.bpb.de/themen/parteien/rechtspopulismus/242504/rechtspopulismus-in-den-niederlanden/.
In dem Artikel von Kerstin Schweighöfer geht es um die Entwicklung des Rechtspopulismus von kurz vor der Jahrtausendwende bis zum Jahr 2017. Es wird deutlich, dass sich der Rechtspopulismus in den Niederlanden hauptsächlich durch Islamfeindlichkeit äußert und durch diverse Morde befeuert wurde.
Der Aufstieg des Rechtspopulismus nahm laut Schweighöfer im Jahre 1994 seinen Anfang. Zu diesem Zeitpunkt wurde erstmals das lila Kabinett gebildet, welches sich aus Sozialdemokraten und sowohl Rechts- als auch Linksliberalen zusammensetzte. Diese Vereinigung der gegensätzlichen Pole wurde vorher nicht für möglich gehalten und erweckte Skepsis in der Gesellschaft, welche durch das zusätzliche Ignorieren des Einwanderungsproblems enorm zur Klufterweiterung zwischen Volk und Elite beitrug und so einen typischen Anfang für rechtspopulistischen Erfolg bildete. Die Einwanderungspolitik war zu besagtem Zeitpunkt eine der lockersten in Europa und forderte weder einen Sprachkurs noch einen Einbürgerungstest und stellte überhaupt kaum bis gar keine Forderungen an Migranten.
Der Politiker Pim Fortuyn kritisierte genau diese vermeintlichen Missstände und fand dafür kurz nach 9/11 rege Zustimmung. Er forderte einen Zuwanderungsstopp, um bereits eingereiste Migranten erst einmal zu integrieren. Bei diesem wurden die Migranten wie in vielen Städten beziehungsweise Ländern häufig in Großstadtvierteln untergebracht, in denen durch hohe Armut, Kriminalität und Arbeitslosigkeit der ohnehin schon verhältnismäßig größere Unmut weiter stieg.
2002 erhielt Pim Fortuyns Kommunalpartei bei den Wahlen in Rotterdam auf Anhieb 17 der 45 Sitze im Gemeinderat. Zu den Parlamentswahlen im selben Jahr trat er mit LPF kurz für „Liste Pim Fortuyn“ an, welche auf Anhieb 17 Prozent erhielt und eine Regierungskoalition mit den Christdemokraten und den Linksliberalen möglich machte. Pim Fortuyn selbst wurde jedoch neun Tage vor der Wahl von einem linksradikalen Tierschutzaktivisten erschossen, was die Instabilität der Partei hervorrief oder zumindest förderte, sodass diese sich 2007 auflöste.
2004 wurde der Regisseur Theo van Gogh wegen Islamkritik von einem Islamisten ermordet. Dieser Mord verschaffte dem Politiker Geert Wilders durch die ausgelöste Angst vor islamistischem Terror und einen entstehenden Rechtsdruck einen unverhofften Popularitätsschub.
Der Rechtsdruck entstand somit später als in den meisten Nachbarländern und veranlasste eines der strengsten Immigrations- und Integrationsgesetze Europas. Wilders sieht sich als rechtmäßiger Erbe von Fortuyns und gründet 2006 die ‚Partei für Freiheit‘ PVV (Partij voor de Vrijheid), was ihm als nächstes Ziel viele Morddrohungen verschafft, ihn jedoch nicht aufhält Moscheen und den Koran zu verbieten, um dem Islam ‚Einhalt zu gebieten‘ beziehungsweise in seiner Vorstellung im Idealfall ganz loszuwerden.
Wilders handelt in der PVV deutlich extremer als Fortuyn damals und erhält in den Parlamentswahlen 2006 dennoch aus dem Stand heraus, als alleiniges Mitglied seiner Partei neun der 150 Abgeordnetensitze. In vielen Ländern, unter anderem auch in Deutschland, wäre er so nicht zur Wahl zugelassen worden, aber auch in den Niederlanden muss er auf staatliche Zuschüsse verzichten, was seine gesamte Finanzierung sehr intransparent macht.
Erst 2008 erregt Wilders mit dem Anti-Islamfilm Fitna über die Grenzen hinaus für Schlagzeilen. Bei den Europawahlen 2009 wurde die PVV mit 17 Prozent und dadurch fünf Abgeordnetensitzen im Europaparlament zur Partei mit den zweitmeisten Stimmen hinter den Christdemokraten.
Da in anderen Parteien nun die Angst zunimmt, noch mehr Wähler an die PVV zu verlieren, bewegen sich viele mit ihren Aussagen weiter nach rechts, was jedoch keine Wirkung zeigt, denn wer rechts will, wählt PVV. Durch die ebenfalls selten konstruktive Auseinandersetzung der Medien mit der PVV beziehungsweise Wilders gewinnt diese in den Parlamentswahlen 2010 weitere 15 Sitze und zieht hinter Sozialdemokraten und Rechtsliberalen vor den Christdemokarten, welche 2009 noch vor der PVV lagen, ins Parlament ein.
Um sich nicht angreifbar zu machen und verteidigen zu müssen, was ihn in ein negatives Licht stellen würde, erscheint Wilders zu den meisten öffentlichen Veranstaltungen nicht, sobald er mit Gegenwind rechnen müsste. So hält er zwar Reden, aber zum Beispiel Interviews und Debatten lässt er ohne sein Auftreten geschehen, stattdessen nutzt er soziale Medien und twittert angriffslustig, um Misstrauen zu sähen.
Mit dem Wahlerfolg kommt Verantwortung auf Wilders zu, die er jedoch mitten in der Wirtschaftskrise 2012 wieder abgibt und der Gesellschaft seine Regierungsunfähigkeit zeigt, was sich auch in den sinkenden Wahlergebnissen niederschlägt und ihn neun seiner 24 Sitze im Parlament kostet. 2017 gewinnt er dennoch wieder fünf Sitze dazu und zieht als erneut zweitstärkste Kraft mit 20 Sitzen hinter rechtsliberalen ins Parlament ein.
In dem Text von Schweighöfer werden auch Interviewausschnitte von untypischen Wähler:innen aufgeführt, die verdeutlichen, dass zwar auch in den Niederlanden durchaus eine Wählertendenz zu beispielsweise sozial Schwächeren existiert, es sich jedoch hierbei genau wie in Deutschland nur um eine Tendenz handelt, was nicht zu unterschätzen ist.
Als aktuelles ist zu Ende des Textes noch aufgeführt, dass Wilders im Europäischen Parlament eine Fraktion mit sechs weiteren europafeindlichen Parteien gründen konnte, wofür er sich jedoch mit einer rechten Partei Frankreichs zusammentun musste, wodurch er trotz des außenpolitischen Vorankommens innenpolitisch auch wegen seines autoritären Führungsstils auf immer mehr Gegenwehr aus den eigenen Reihen traf.
Im März 2014 schoss er jedoch in einer Rede nach den Kommunalwahlen weit übers Ziel hinaus, sodass weitere Austritte und Anzeigen von Bürgern nicht mehr aufzuhalten waren und auch die Wahlen 2014 enttäuschend ausfielen, da viele rechte Parteien mehr Stimmen erhielten als in den Jahren zuvor, was der PVV jedoch nicht gelang.
Wilders musste sich erneut vor Gericht verantworten und wurde 2016 straffrei schuldig gesprochen, was ein riesiges Thema an jedem Ende der Berichterstattung wurde und auch Stimmen laut werden ließ, die es als ungerechtfertigt ansahen, was durchaus daran liegt, dass die Niederlande seit den beiden Morden wegen freier Meinungsäußerung sehr großen Wert auf Meinungsfreiheit legen.
Die inzwischen bekannten Ergebnisse der Wahlen der letzten Jahre seit Erscheinen des Textes zeigen, dass bei der Europawahl 2019, die seit Beginn der Partei jedes Mal wieder erreichten vier Sitze vollständig ausblieben und die PVV auch bei der Parlamentswahl 2021 einen Verlust von drei weiteren Sitzen zu verzeichnen hatte. Damit liegt Kerstin Schweighöfer, als sie ihren Text mit „Die niederländische Parteienlandschaft ist seit dem Aufstieg der Rechtspopulisten zersplitterter denn je, mit einer ausgehöhlten Mitte.“ (S. 8) goldrichtig und ein Erholen schien der PVV bis heute nicht möglich gewesen zu sein.
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