Dienstag, 13. Juli 2021

Kalkulierte Ambivalenz in der rechtspopulistischen Rhetorik

In diesem Beitrag stellt Mia Freisler folgenden Aufsatz vor:

Reisigl, Martin (2020): Mit zweierlei Maß gemessen – Kalkulierte Ambivalenz in rechtspopulistischen Repräsentationen von Geschlechterverhältnissen; in: Z Literaturwiss Linguistik 50, S. 203–229, online unter: https://doi.org/10.1007/s41244-020-00167-y.

Reisigl geht zu Beginn seines Artikels auf die ungleichen Geschlechterverhältnisse, die typisch für rechtspopulistische Parteien seien, ein. Zudem verdeutlicht er, dass die Frauendiskriminierung ein Bestandteil des rechtspopulistischen Weltbildes sei. Hinzu komme, dass Frauen wenig in rechtspopulistischen Parteien vertreten sind, weil rechtspopulistische Sichtweisen, wie Werte, Normen und Verhaltensmuster, in der Regel von Männern geprägt seien, da der Mann in dieser rechtspopulistischen Denkweise im Zentrum stehe (→ Männerpartei).

Des weiteren sei die Familien- und Frauenpolitik der Rechtspopulisten konservativ und frauenfeindlich. Es wird auf der Binärität des Geschlechts beharrt, das bedeutet, es wird laut Reisigl ein „sexistischer [beziehungsweise] generischer und heteronormativer Biologismus vertreten“ (S. 205). Dies hat zur Folge, dass alle Beziehungsformen außer die heterosexuelle abgelehnt werden.

Reisigl erwähnt hier, dass die rechtspopulistische Familienpolitik zudem eine „Transformation der angestammten ethnisch-kulturellen Bevölkerungsstruktur“ (S. 204) verhindern möchte. Politlinguistik habe die Darstellung von Geschlechterverhältnissen bisher noch kaum untersucht. Anhand von Äußerungen von verschiedenen rechtspopulistischen Politikern versucht Reisigl, die Frauendiskriminierung innerhalb rechtspopulistischer Partien zu verdeutlichen.

Politiker wie Silvio Berlusconi, Donald Trump und der FPÖ haben sich bereits frauenfeindlich geäußert. In seinem Artikel geht Reisigl näher auf die frauendiskriminierenden Äußerungen der FPÖ-Politiker ein. Reisigl stellt fest, dass sich die FPÖ-Politiker einer Tiermetaphorik bedienen. Männer seien Raubkatzen (= Löwen) und Frauen seien Nestbautiere (= Vögel, Insekten, Nagetiere). Durch diese Metaphorik soll die Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau signalisiert werden, sowie die Unvereinbarkeit der beiden Geschlechter (vgl. S. 207).

Zudem seien Männer besser für den Politikerberuf geeignet als Frauen, da Frauen sensibler seien und einem „Gefallbedürfnis“ (S. 208) nachstreben. Diese Äußerung eines rechtspopulistischen österreichischen Politikers sei laut Reisigl „trugschlüssig“ (S. 207) und oft seien solche Äußerungen auch nicht wissenschaftlich zu beweisen.

Ein weiteres Zitat, das Reisigl hier anführt, verdeutliche, dass die Frauenquote in rechtspopulistischen Parteien daher abgelehnt wird, da man der Meinung sei, wenn Frauen qualifiziert genug seien, sie sich auch durchsetzen würden (vgl. S. 208). In einem nächsten Zitat versucht Reisigl zu verdeutlichen, dass das Geschlechterweltbild von Rechtspopulisten in männlich versus weiblich oder stark versus schwach gegliedert sei. Nicht nur durch dieses Zitat wird deutlich, dass sich Rechtspopulisten bei den Geschlechterverhältnissen kalkulierter Ambivalenzen bedienen.

Um den Begriff der kalkulierten Ambivalenz genauer zu betrachten, ist es für Reisigl zunächst einmal wichtig, eine eigene Definition von Rechtspopulismus aufzustellen. Für ihn ist Rechtspopulismus eine Ideologie, die thematische Schwerpunkte aufweist, die sich allerdings auch variieren lassen. Dabei stehen der „rhetorische Artikulationsmodus“ und „inhaltliche Dimensionen“ (S. 211) im Vordergrund.

Zudem sei es wichtig, eine Unterscheidung zwischen dem linken (= sozioökonomische Klasse der Arbeitenden) und rechten (= Volk ist die Nation und bedrohter Mittelstand) Populismus zu machen (vgl. S. 211). Demnach kann für ihn der politische Raum auch in oben und unten, links und rechts, sowie hinten und vorne unterteilt werden. Außerdem gibt es eine „Grenzziehung zwischen dem [i]nneren und [ä]ußeren [politischen Raum]" (S. 211).

Ein weiterer wichtiger Punkt, den Reisigl hier einfügt, ist, dass seiner Meinung nach zwischen einem oppositionellen Rechtspopulismus und einem Regierungsrechtspopulismus unterschieden werden muss. Der oppositionelle Rechtspopulismus bezieht sich zum einen auf das Volk, das es zu vertreten gilt, und zum anderen auf ein Freund-Feind-Bild. Zu den Feinden, die es zu bekämpfen gilt, gehören: die da „oben“, die Linken, Feministen, die Schwulen-, Lesben-, Bi-, Queer- und Transgenderbewegungen, Ausländer, der Islam, Juden. Zudem sind die Rechtspopulisten gegenüber der EU oft sehr skeptisch eingestellt (vgl. S. 212).

Traditionen nehmen einen hohen Stellenwert in der rechtspopulistischen Ideologie ein. Reisigl führt weiter aus, dass in den Augen der Rechtspopulisten das Volk ein „ethnopluralistisches, heterosexuelles, generisches, natürliches und in sich homogenes Konstrukt“ (S. 213) sei. Das bedeutet insbesondere, dass ein „heteronormatives und biologisches Frauen- und Männerbild“ (S. 213) vertreten wird. Zudem würden Rechtspopulisten die Unterdrückung von Frauen durch „patriarchale Migranten“ (S. 213) kritisieren, allerdings seien ihre geschlechterdiskriminierenden Äußerungen legitimiert. Hierbei handelt es sich um eine kalkulierte Ambivalenz.

Kalkulierte Ambivalenz ist ein rhetorisches Mittel, das in Parteiprogrammen und in der politischen Werbung verwendet wird. Die kalkulierte Ambivalenz hat zum Ziel, politische Gegensätze zu vereinen und kritische Themen aufzugreifen. Allerdings will man dabei keine Verantwortung für politische Handlungen übernehmen und man möchte keine klare Position zu einem umstrittenen Thema beziehen.

Zudem soll durch diese „Mehrfachadressierung“ (S. 215) eine größere Breite an Wähler*innen angesprochen werden. Das heißt, wenn Politiker sich dem rhetorischen Mittel der kalkulierten Ambivalenz bedienen, tolerieren sie Widersprüche, wollen dies aber gleichzeitig verschweigen. Reisigl erklärt, dass der Begriff der kalkulierten Ambivalenz 1996 von Josef Klein eingeführt wurde. Klein unterteilt die kalkulierte Ambivalenz in drei Regeln.

  • Die erste Regel besagt, dass die Rechtspopulisten bei „kompromissresistenten Diskurspositionen“ (S. 214) versuchen, zu beiden Positionen eine positive Stellungnahme abzugeben, ohne auf diesen Widerspruch hinzuweisen.
  • Die zweite Regel besagt, dass Parteien, die sich neu orientieren, Stellung zu ihrem Traditionsbewusstsein und ihrer Kontinuität beziehen sollen, um bisherige Wähler*innen nicht zu verlieren.
  • Eine dritte Regel besagt, dass Inhalte des Wahlprogramms konkretisiert werden müssen. Allerdings seien Parteiprogramme von Ambivalenzen geprägt, da verschiedene Autoren an der Ausarbeitung eines solchen Programmes beteiligt seien und demnach auch unterschiedliche Meinungen zu bestimmten Themen haben.

Laut Reisigl führt die kalkulierte Ambivalenz auch zu „Komplexität, Unklarheit und Unsicherheit“ (S. 215). „Dem steht das Bedürfnis nach Eindeutigkeit und Einfachheit gegenüber" (S. 215). Dies hat zur Folge, dass rechtspopulistische Politiker auf die Unzufriedenheit der Bürger*innen reagieren, indem sie versuchen, für komplexe Themen vermeintlich einfache Lösungen vorzuschlagen. Allerdings kann mit einer radikalen Eindeutigkeit keine große Anzahl an Wähler*innen angesprochen werden, deshalb orientiert man sich an dem rhetorischen Mittel der kalkulierten Ambivalenz.

Reisigl meint, wenn es vor allem um die Themen der internen und externen Feindbilder geht, aber auch um Frauenbilder, dann bedient sich der Rechtspopulismus oft einer kalkulierten Ambivalenz. Das Paradoxe dabei ist, dass die mehrdeutigen Äußerungen von anderen Parteien nicht toleriert werden, aber die eigene Widersprüchlichkeit in Ordnung sei.

Die kalkulierte Ambivalent versucht Reisigl an acht Beispielen zu verdeutlichen. Die Beispiele beziehen sich auf Aussagen von FPÖ-Politikern. Geschlecherverhältnisse werden häufig mit einer Tiermetapher signalisiert. Damit soll die biologische Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau verdeutlicht werden.

Zudem weisen die Aussagen für Reisigl darauf hin, dass die FPÖ eine Männerpartei sei. Die FPÖ spreche sich für die Chancengleichheit aus, allerdings lehne sie zugleich die „Quotenregelung und die Strategien zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter“ (S. 217) ab. Zudem spreche sich die FPÖ für eine familiäre Kinderbetreuung aus, das heißt, eine außerfamiliäre Betreuung sei eine Ersatzmaßnahme. Diese Aussage verdeutlicht laut Reisigl, dass die außerfamiliäre Kinderbetreuung nur genannt werde, damit mehr Wähler*innen angesprochen werden.

Zudem wird in der FPÖ betont, dass die Gleichberechtigung noch nicht erreicht sei, aber gleichzeitig wird verlangt, dass eine Mutter nur in Teilzeit arbeiten solle und sich die restliche Zeit um die Kindererziehung kümmern sollte. Ein weiteres Beispiel, das Reisigl analysiert, verdeutlicht noch einmal, dass die Diskriminierung von Frauen, die von Zugewanderten ausgeht, nicht akzeptiert und die eigene dagegen toleriert werde. Die Nicht-Toleranz gegenüber frauenfeindlichen Äußerungen, die von Zugewanderten ausgeht, wird aus Fremdenfeindlichkeit verurteilt. Die eigene wird durch die „hierarchische Naturalisierung [der Geschlechter] und dem patriarchalen Familienbild“ (S. 220) begründet.

Laut Reisigl ist die kalkulierte Ambivalenz in der Politik sehr stark vertreten und wird von allen Parteien verwendet. Durch die Verwendung der kalkulierten Ambivalenz wird keine klare Position bezogen und damit auch keine Verantwortung übernommen. Zudem soll eine Vereinbarkeit von kontroversen Positionen ermöglicht und mit der „Mehrfachadressierung“ (S.215) ein breites Spektrum an Wähler*innen erreicht werden.

Rechtspopulistische Parteien äußern sich frauenfeindlich. Reisigl macht anhand seiner Analysen fest, dass diese Frauendiskriminierung in den eigenen Kreisen geduldet wird, während frauenfeindliche Äußerungen von Zugewanderten nicht akzeptiert werden. Das heißt, hier werde mit „zweierlei Maß gemessen“ (S. 226). Zudem sei der „Genderismus“ (S. 227) von Rechtspopulisten „xenophob“ (S. 227). Reisigl stellt zudem fest, dass die kalkulierte Ambivalenz bei einem Regierungspopulismus stärker vertreten sei und die kalkulierte Ambivalenz zudem auch zu einem „Verlust der Glaubwürdigkeit [führe]“ (S. 227).

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