Freitag, 15. Juli 2022

Populismus und Energiewende

In diesem Beitrag stellt Yannick Kinzler folgenden Text vor:

Fritz Reusswig, Beate Küpper, Wiebke Lass, Seraja Bock, Julia Schatzschneider (2021): DEMOKON - Research Paper 1, Populismus und Energiewende; online unter: https://demokon.de/files/downloads/demokon_rp1.pdf.

Der behandelte Text entspringt dem Forschungsvorhaben DEMOKON („Eine demokratische Konfliktkultur für die Energiewende“). Die Autor*innen stellen sich unter anderem die Fragen, inwiefern sich Populismus auf die Energie- und Klimapolitik in Deutschland auswirken könnte, die damit einhergehende Bedeutung sowohl für die nationale als auch die internationale Klimadynamik, und was man tun kann, um den demokratischen Charakter der Energiewende zu bewahren (vgl. S. 4). Hierzu „werden im DEMOKON-Projekt viele konkrete Fallbeispiele intensiv beforscht“ (S. 11). Die im Text beschriebenen Untersuchungen beziehen sich auf die Energiewende in Deutschland (vgl. S. 5).

Um etwas zu Populismus und Energiewende sagen zu können, muss allerdings zunächst geklärt werden, was in diesem Text unter dem Begriff ‚Populismus‘ verstanden wird. Die Autor*innen wählen einen pluralistisch-integrativen Zugang. Demnach ist Populismus „ein komplexes und vielschichtiges soziales und politisches Phänomen, das sich nur als „Dreiklang“ aus Strategie, Diskurs und Ideologie fassen lässt“ (S. 11).

Der Kern der populistischen Ideologie besteht aus vier gesellschaftlichen Akteuren: Dem authentischen Volk (= Mehrheit), dem korrupten Volk (= Minderheit), der korrupten Elite und den Populisten selbst (vgl. S. 14). Der Populismus sieht einen Konflikt zwischen Politik und Gesellschaft; einen sozialen Konflikt zwischen „vermeintlicher und behaupteter […] Mehrheit und Minderheit“ (S. 15) sowie einen politischen Konflikt zwischen „populistischem Akteur und korrupter Elite“ (S. 15). Zum ideologischen Rahmen von Populismus zählen neben Anti-Institutionalismus und Wissenschaftsskepsis auch Personalisierung und Verklärung der Vergangenheit (vgl. S. 19f.).

Im Text wird darauf hingewiesen, dass „eine gesellschaftliche Debatte über die konkreten Maßnahmen und Zwischenziele“ (S. 27) der Klimapolitik unvermeidlich ist, wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens eingehalten werden sollen. Der Populismus ist dabei nicht ausschlaggebend, um die Themen Klimaschutz und Energiewende zu „gesellschaftliche[n] Konfliktfelder[n]“ (S. 27) zu machen, da es in jedem Teil der Gesellschaft Gewinner und Verlierer der Klimapolitik gibt oder geben wird (vgl. S. 27). Populismus kann lediglich zu einer „Verschärfung dieser Konflikte führen“ (S. 27). Die Verfasser*innen des Textes stellen zum Thema Energiewende drei populistische Organisationen vor:

  • Die AfD, welche die Energiewende zwar schon seit Beginn im Grundsatz kritisiert, den Fokus darauf aber erst mit Beginn der fridays-for-future-Bewegung und „den damit verbundenen Wahlerfolgen der Grünen 2019“ (S. 28) legt.
  • Die Bundesinitiative Vernunftkraft e.V., die das Hauptziel verfolgt, den Ausbau erneuerbarer Energien zu stoppen und stattdessen weiterhin Kohle- sowie Kernkraft für die Stromversorgung nutzen will. Vernunftkraft wird von der AfD unterstützt und benutzt „das populistische Kern-Narrativ“ (S. 29) der korrupten Elite, die das Volk betrüge und die Natur unter anderem durch den Bau von Windkraftanlagen zerstöre. Proteste gegen Windkraft gelten also nicht nur als Protest gegen erneuerbare Energien, sondern auch gegen die „falsche Politik der Eliten“ (S. 29).
  • Das Europäische Institut für Klima & Energie (EIKE), welches den menschengemachten Klimawandel leugnet und die Klimapolitik – vor allem seit 2011 – als „unsinnig und hysterisch“ (S. 29) ablehnt. Auch EIKE unterstützt Vernunftkraft.

Anhänger dieser populistischen Organisationen verstehen unter ‚der gesellschaftlichen Mehrheit‘ des Volkes Menschen, die sich durch die (angeblichen) Lügen der Klimawissenschaft „nicht irremachen“ lassen (S. 30). Energiewende-Populismus sieht die „„Normalität“ von Lebensstilen“ durch die „radikalen Anforderungen des Klimaschutzes“ (S. 30) bedroht und kritisiert darüber hinaus die hohen ökonomischen und ökologischen Kosten, die mit der Energiewende einhergehen und vom „kleinen Mann“ getragen werden müssen. Außerdem werde durch den Ausbau erneuerbarer Energien Landschaft und Heimat zerstört (vgl. S. 30).

Die gesellschaftliche Minderheit (betitelt als “grüne Lobbyisten“) hingegen will nach Aussagen des Populismus die Energiewende nur „aus ideologischer Verblendung und Eigeninteresse heraus“ (S. 30). Populisten nehmen auch hier wieder die Elite als Feindbild, die für die Energiewende verantwortlich ist, und konstruieren einen Konflikt zwischen dem grünen Lebensstil der Minderheit und dem normalen Lebensstil der Mehrheit (vgl. S. 30). Jede*r, der/die mit der Energiewende sympathisiert, gehöre automatisch der bösen Elite an. Allerdings weisen die Autor*innen darauf hin, dass Kritik an der Klimapolitik kein Alleinstellungsmerkmal des Populismus ist. Erst durch die Art und Weise, wie argumentiert wird, lassen sich Argumente klar dem populistischen Spektrum zuordnen (vgl. S. 31). Im Text werden vier Eigenschaften populistischer Argumentation bezüglich der Energiewende beschrieben:

  • Die Problemdefinition entspricht nicht den wissenschaftlichen Fakten. Stattdessen wird der Klimapolitik vorgeworfen, sie wolle ein gut funktionierendes System (Kohle- und Atomkraft) durch eine schlechte Alternative (erneuerbare Energien) ersetzen (vgl. S. 31).
  • Populisten sehen die Ursache für die Klimaproblematik in den durch Profitgier getriebenen Entscheidungen der politischen Elite, die nichts mehr mit dem Allgemeinwohl zu tun hätten und sich gegen den Willen des Volkes richteten (vgl. S. 31f.).
  • Der zweite Punkt geht mit „moralischer Empörung und Wut“ (S. 32) von Populisten gegenüber der Elite einher, die die Energiewende aus reinem Eigennutz erzwingen wolle (vgl. S. 32).
  • Alle Handlungsempfehlungen von Populisten bezüglich der Energiewende deuten in eine Richtung: Die bisherigen Errungenschaften der erneuerbaren Energien rückgängig zu machen und durch das alte Energiesystem, gespeist durch Kohle- und Kernenergie, zu ersetzen (vgl. S. 32).

Überdies unterscheiden die Autor*innen fünf Konflikttypen „im Kontext lokaler Energiewendekonflikte“ (S. 35):

  • Standort- und Landnutzungskonflikte: Wo werden neue Anlagen gebaut bzw. alte Anlagen zuerst stillgelegt?
  • Verteilungskonflikte um Lasten und Nutzen: Wer trägt die Kosten beim Bau neuer oder der Stilllegung alter Anlagen? Wer profitiert davon? Wie ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Betroffenen?
  • Verfahrens- und Beteiligungskonflikte: Wurden die Betroffenen rechtzeitig bzw. überhaupt in Entscheidungsprozesse miteinbezogen? Wie glaubwürdig sind die bereitgestellten Informationen?
  • Identitätskonflikte: Welchen Charakter hat die Projektregion vor und welchen hätte sie nach der Durchführung des Projektes? Würde der Landschaftscharakter durch das Projekt zu stark beeinflusst, bspw. durch den Bau von Windkraftanlagen?
  • Energieträgerkonflikte: Welcher Energieträger wäre an einer bestimmten Stelle am sinnvollsten? Wäre ein anderer Energieträger vielleicht weniger schädlich?

Die genannten Konflikttypen treten selten einzeln, sondern eher in Kombination und in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander auf (vgl. S. 35).

Um den Einfluss des Populismus auf einen Konflikt verstehen zu können, wird im Text zunächst die Ausgangssituation – bisher ohne populistische Einmischung – erklärt: Zu einem bestimmten Projekt (bspw. dem Bau einer Windkraftanlage) gibt es sowohl Befürworter*innen als auch Gegner*innen. Diese Gruppen bilden allerdings die Minderheit der Betroffenen. Neben stillen Unterstützer*innen oder Gegner*innen, die sich bisher nicht zu Wort gemeldet haben, gibt es auch Uninteressierte und Unentschiedene in der Bevölkerung. Diese vier genannten Gruppen bilden die „schweigende Mehrheit“ (S. 40). Sowohl Befürworter*innen als auch Gegner*innen des Projekts versuchen nun „über die lokale Presse die schweigende Mehrheit […] [von der] jeweils eigene[n] Seite zu überzeugen“ (S. 40), indem sie parteiische Informationen veröffentlichen möchten. Die Lokalpresse bemüht sich allerdings um neutrale Berichterstattung (vgl. S. 40).

Anschließend stellen die Autor*innen dar, wie dieser Konflikt durch populistische Intervention theoretisch verlaufen könnte: Durch das populistische Narrativ bekommt der Konflikt den Charakter einer Feindschaft. Die Gegner*innen des Projekts setzen fortan nicht mehr darauf, sich lediglich durch die Lokalpresse Gehör zu verschaffen. Vielmehr üben Sie Druck auf die Politik und Institutionen aus, die mit dem Projekt zu tun haben, indem sie diese als korrupte Elite klassifizieren und ihnen unterstellen, sie würden gegen den Volkswillen handeln (vgl. S. 41).

Dadurch schüren sie Wut in der Bevölkerung, was wiederum den Druck auf die Politik erhöht. Darüber hinaus verstärkt sich die Wut der Gegner*innen über die Sozialen Medien. Da diese eine größere Bedeutung haben als die Lokalpresse, beginnen mehr und mehr Betroffene, an den durch die Lokalpresse bereitgestellten Informationen zu zweifeln. Durch den steigenden Druck ziehen sich immer mehr Befürworterinnen zurück und werden zu stummen Befürworter*innen, während die meisten Angehörigen der bisher schweigenden Mehrheit zu Gegner*innen werden (vgl. S. 41). Am dauerhaften Druck einer Mehrheit an Gegner*innen könnte die Realisierung des Projekts schließlich scheitern.

Dies ist allerdings nur ein möglicher Ausgang des Konflikts. Wenn es den Befürworter*innen gelingt, die Mehrheit der schweigenden Mehrheit für die eigene Position zu gewinnen, kann es auch zu einer Realisierung des Projektes kommen (vgl. S. 42).

Die Verfasser*innen weisen auch darauf hin, dass Populismus, wenn auch unbeabsichtigt, positive Effekte auf (Energiewende-)Projekte haben kann. Wenn Populist*innen bspw. Mängel an einem Projekt (z.B. zu wenig Beteiligung der Betroffenen an Entscheidungsprozessen) aufdecken, kann dies zu einer Verbesserung führen (z.B. mehr Partizipation), was schließlich in größerer gesellschaftlicher Akzeptanz des Projekts resultieren kann (vgl. S. 46). Ebenfalls denkbar ist, dass Populist*innen die Bevölkerung zu einer stärkeren Beteiligung gegen ein bestimmtes Projekt auffordern, woraufhin sich zwar mehr Menschen zu diesem Projekt informieren, sich die Mehrheit aber dafür statt dagegen ausspricht (bspw. den Bau einer Windkraftanlage oder den Ausbau von Solarenergie) (vgl. S. 47).

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