In diesem Beitrag stellt Jana Hauser folgenden Text vor:
Janz, Lisa (2016): QUERDENKEN: Hindu-Nationalismus gleich Hindu-Faschismus?; in: Arndt, Michael / Baumann, Marcel (Hrsg.): Indien verstehen, Springer VS, S. 35-39, https://doi.org/10.1007/978-3-658-08908-5_5.
Seit 2014 stellt die Bharatiya Janata Party (BJP) in Indien die Regierung. Narendra Modi, der Premierminister der größten Demokratie der Welt, bezeichnet sich selber als „Hindu-Nationalist“. Er und seine Partei haben enge Verbindungen zum Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), einem nationalen Freiwilligenbund, der sich feindselig und offen gewaltbereit gegenüber Muslimen und anderen Minderheiten verhält. Seit der Unabhängigkeit Indiens haben zahlreiche Pogrome gegen Muslime stattgefunden. Außerdem werden faschistische Regime teilweise offen verehrt. Auf dieser Grundlage beschäftigt sich Lisa Janz mit der Frage, ob sich Indien auf dem Weg in den Faschismus befindet.
Janz überprüft, ob das Modell der „Five Stages of Fascism“ von Robert O. Paxton (1) auf den Hindu-Nationalismus anwendbar ist. Das Modell beschreibt Faschismus als Prozess. Dabei können „Regime und Staatsformen Elemente des Faschismus beinhalten oder sich verschiedene faschistische Einzelelemente zunutze machen“ (S. 36). So ist die Unterscheidung zwischen faschistischem Regime und Imitation schwierig. Das gilt vor allem dann, wenn man ein nicht-europäisches Land außerhalb des 20. Jahrhunderts, der Zeit des klassischen Faschismus, analysiert.
Hinzu kommt das Problem, dass der Begriff des Faschismus seine Wirkung verliert, wenn man ihn zu häufig für verschiedene Regierungen nutzt. Außerdem liefert er für einzelne Regierungen dann keine Erkenntnis mehr. Dennoch ist der Faschismus ein Thema, das auch heute noch sehr oft zu wenig behandelt wird. Paxton nennt drei Kategorien von Massenmobilisierung im Faschismus, die für den Hindu-Nationalismus relevant sind:
- Die Gruppe hat Vorrang vor dem persönlichen Recht.
- Die eigene Gruppe wird als Opfer wahrgenommen, wodurch ein Kampf gegen die Feinde gerechtfertigt wird.
- Gewalt wird verherrlicht und in einem sozial-darwinistischen Kampf eingesetzt.
Man muss dabei berücksichtigen, dass diese Kategorien Elemente sind, die nicht immer deutlich ausgeprägt sind, auch wenn es sich um Faschismus handelt. Im Folgenden überträgt Janz das Modell auf den Hindu-Nationalismus, insbesondere auf die RSS und die dazugehörige Partei BJP.
Vorrang der Gruppe: Der Freiwilligenbund RSS gilt als historisches Fundament der hindu-nationalistischen BJP Partei. Auch heute noch sind die meisten führenden Mitglieder der BJP auch Mitglieder im RSS. Die ideologische Grundlage beider ist das Hindutva. Es beschreibt das Ziel, eine „gemeinsame religiös-kulturelle Identität der Hindus zu erschaffen“ (S. 37), also eine Hindu-Nation zu errichten. Die RSS bildet zusammen mit der BJP und der VHP (Vishva Hindu Prishad, übersetzt: Welt-Hindu-Rat) die Sangh-Familie. Die BJP ist seit Ende der 1990er-Jahre politisch erfolgreich.
Eigene Gruppe als Opfer: Zentrales Thema der Hindu-Nationalisten ist die „Abgrenzung gegenüber und offene Anfeindung von Muslimen“. Der Psychoanalytiker Sudhir Kakar beschreibt, dass die Ursache dafür das Bild in den Köpfen der Hindu-Nationalisten über die Muslime ist, wonach es sich um einen „Kampf der Kulturen“ handelt, der bereits seit tausend Jahren stattfindet. Sie sehen die Muslime als Teil eines „aggressiven, gut organisierten, gewalttätigen Mobs“ (S. 38). Aus Sicht der Hindu-Nationalisten wurden die Muslime außerdem vom Staat bevorzugt und sind bewaffnet. Gerade die bis 2014 regierende Kongresspartei wurde Opfer solcher Vorwürfe. Diese Vorwürfe waren ein Grund für die Wahlniederlage der Kongresspartei 2014 und verhalfen der BJP gleichzeitig zum Wahlsieg. Historisch muss außerdem beachtet werden, dass die britischen Kolonialherren die Wahrnehmung eines Sonderstatus der Muslime verstärkten, indem sie getrennte Wahlkreise für Muslime einführten.
Gewalt: Schon seit vielen Jahren besteht ein Konflikt zwischen Hindus und Muslimen. Bereits Gandhi sah dies als das wichtigste Problem Indiens. So werden immer wieder viele Muslime Opfer von Gewalt, angezettelt von hindu-nationalistischen Gruppierungen. Janz nennt als einen Höhepunkt dieser Gewalt den 6. Dezember 1992, als ein „fanatischer Hindu-Mob mit bloßen Händen in wenigen Stunden die Babri-Moschee in Ayodhya niederriss“ (S. 38). Zuvor fielen in ganz Indien bereits Tausende Menschen der Gewalt gegen Muslime zum Opfer. Angestachelt wurde diese Gewalt durch Provokation und Hetze der VHP. Grund dafür war die Legende, dass in Ayodhya im Jahr 1528 ein Hindu-Tempel niedergerissen wurde, um dafür die Babri-Moschee zu bauen.
Abschließend überprüft Janz, inwieweit die Hindu-Nationalisten die Kriterien des Faschismus nach Paxton erfüllen. Das Ziel der Sangh-Familie, eine Hindu-Nation zu errichten, in der alle ihr Leben nach der Hindutva ausrichten, erfüllt den ersten Punkt, nach dem die Gruppe Vorrang vor dem eigenen Recht hat. Auch die Wahrnehmung, die eigene Gruppe sei das Opfer, existiert deutlich in den Köpfen der Hindu-Nationalisten. Sie sehen die Muslime als übermächtig und bevorteilt, sich selber damit als benachteiligt an. Auch den dritten Punkt erfüllen die Hindu-Nationalisten, da immer wieder Gewalttaten gegen Muslime stattfinden (2).
Somit sind im Hindu-Nationalismus eindeutig Elemente des Faschismus nach der Definition von Paxton zu finden. Die Entstehungszeit des Hindu-Nationalismus fällt außerdem in die Zeit der Anfänge des Faschismus in Europa. Die Gründer und ideologischen Väter der RSS hatten eine positive Sicht auf Hitler und Mussolini. Damit gehen sowohl das historische Fundament als auch die heutigen Hindu-Nationalisten stark in eine faschistische Richtung und man kann den Hindu-Nationalismus als Hindu-Faschismus bezeichnen.
Literatur
- (1) Paxton, Robert O. (1998): Five Stages of Fascism; in: The Journal of Modern History, Vol. 70, No. 1, S. 1-23.
- (2) Eckert, Julia (2002): Der Hindu-Nationalismus und die Politik der Unverhandelbarkeit https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/26668/der-hindu-nationalismus-und-die-politik-der-unverhandelbarkeit/, letzter Zugriff am 26.06.2022
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen