Mittwoch, 27. Juli 2022

Rechtspopulismus als Bedrohung für den EU-Integrationsprozess

In diesem Beitrag stellt Carina Ahnefeld folgenden Aufsatz vor:

Busch, Klaus (2019): Rechtspopulismus in der EU – Bedrohung für den Integrationsprozess; WSI Mitteilungen 72, 2/2019, S. 125-132, online unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0342-300X-2019-2-125.pdf.

Der vorliegende Artikel behandelt den Rechtsruck, der in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu verzeichnen ist. Zudem behandelt er Ursachen und Folgen. Klaus Busch versucht in seinem Artikel ebenfalls, den Handlungsspielraum der EU zu schildern, beispielsweise im Bereich der Migration.

Ursachen für das Erstarken des Rechtspopulismus

Bereits seit den Europawahlen im Jahr 2014 war ein Erstarken der politischen Rechten Europas erkennbar. Busch nennt fünf Faktoren, die jene Verschiebung bedingen:

  • Ökonomische Entwicklung des Landes
  • Entwicklung der sozialen Ungleichheit und deren Wahrnehmung
  • Politische Stabilität / Instabilität des Staates
  • Migrations- und Flüchtlingsfragen
  • Historisch-kultureller Faktor (vgl. S. 125)

Die Gewichtung der genannten Faktoren ist dabei von Nation zu Nation unterschiedlich. Ersichtlich wird das bei der Betrachtung von fünf Länderbeispielen, die anhand der Faktoren Erklärungen liefern und verdeutlichen sollen, warum der Rechtspopulismus immer mehr an Zulauf gewinnt.

Italien

Gründe für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien sind im Fall Italiens besonders sozioökonomische Faktoren, aber auch die politische Instabilität. Damit bewirken besonders der erste und dritte Faktor, dass Italien eines der Länder ist, das am stärksten von Rechtspopulismus betroffen ist. Die immer noch anhaltende Bankenkrise, die hohe Arbeitslosenquote und eine Stagnation des Wirtschaftswachstums (vgl. S. 125) bedingen ökonomische Krisen im Land. Aber auch das Parteiensystem ist gezeichnet von Skandalen und Korruptionsaffären, die Misstrauen in die Politik säen. Beide Faktoren bieten den idealen Nährboden für rechtspopulistische Parteien. Spätestens seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 wird die Migration (siehe Faktor 4) genutzt, um Sündenböcke zu kreieren, die Verantwortung für die Krisen im Land übernehmen sollen (vgl. S. 126).

Frankreich

In Frankreich gehört der Front National (FN), mittlerweile Rassemblement National (RN), zu den Parteien der politischen Rechten. Ersichtlich wird dies bei Betrachtung der Wahlergebnisse besonders zur Präsidentschaftswahl. Hier trat die Vorsitzende des RN bereits zu drei Präsidentschaftswahlen an und erreichte gegen Frankreichs amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron bereits zwei Mal die Stichwahl. Während Le Pen 2017 nur 33,9% der Stimmen erhielt, konnte sie 2022 41,46 % der Stimmen auf sich vereinen, was eine deutliche Verkürzung des Abstands zeigt (vgl. S. 126).

Auch in Frankreich ist die Wachstumsrate des BIP gering, hinzu kommen eine hohe Arbeitslosenquote, die bei ca. 10% liegt. Zahlreiche Versuche früherer Präsidenten, diese Spannungen und Krisen zu überwinden, schlugen fehl. Des Weiteren empfinden sich einige Franzosen als Globalisierungsverlierer und nehmen den Euro als Einflussfaktor auf die Krisen im Land wahr. Aber auch der Umgang mit Migrationspolitik scheint seinen Beitrag zu leisten. Die Arbeitslosenquote bei Migranten liegt mit 20% doppelt so hoch wie bei Franzosen ohne Migrationshintergrund. Damit tragen in Frankreich die Faktoren 1, 2 und 4 zum Erstarken rechtspopulistischer Parteien bei (vgl. S. 126).

Österreich

In Österreich spielt der Rechtspopulismus eine entscheidende Rolle. Wie auch in den anderen Ländern, kam es während der Finanzkrise zu einem Rechtsruck, der auch Parteien wie die ÖVP erfasste. Die ökonomischen Faktoren spielen in Österreich eine tragende Rolle, die sich bei den Löhnen, der Arbeitslosenquote und einem Sparkurs bemerkbar machen. Hinzu kommen Unsicherheiten aufgrund der Globalisierung und einer voranschreitenden Europäisierung (vgl. S. 126). Für die sozialen und politischen Konfliktlinien positioniert sich die FPÖ als Ansprechpartner. Sie fährt einen Kurs, der sich gegen EU, Globalisierung und Migration richtet. Für sie bot die Flüchtlingskrise ebenfalls eine Möglichkeit, aus Migranten Sündenböcke zu machen. Österreich ist von denselben Einflussfaktoren betroffen wie andere Länder der EU.

Niederlande

In den Niederlanden wurde lange Zeit ein strikter Sparkurs gefahren, der sich besonders in der Verringerung von Leistungen des Wohlfahrtsstaats bemerkbar machte. Vor allem der Gesundheitsbereich, die Renten und das Bildungssystem waren davon betroffen. Hinzu kam eine Befeuerung der sozialen Ungleichheit im Land durch die Finanzkrise, die am Anstieg der Arbeitslosigkeit ersichtlich wird. Begleitet wird diese Entwicklung vom Gefühl sozialer Bedrohung und der Angst vor einem Niedergang der sozialen Stellung. Rechtspopulistische Parteien wie die PVV versuchen, die Migration als Ursache für die Sparmaßnahmen zu nehmen. Dabei tritt das typische Feindbild des Islam in den Vordergrund. Auch hier spielen die Faktoren 1, 2 und 4 eine entscheidende Rolle (vgl. S. 127).

Deutschland

Auch wenn Klaus Busch Deutschland im Verhältnis zu anderen Ländern als stabil einstuft, sieht er einen großen Einflussfaktor in den ungleichen Verhältnissen im Land (vgl. S. 127). Damit geht die Angst vor einem sozialen Niedergang einher. Des Weiteren fühlen sich die Menschen in den neuen Bundesländern wie „Bürger zweiter Klasse“. Politisch gesehen kann man besonders im Hinblick auf das Parteiensystem einen Wandel feststellen, der sich an den Wahlergebnissen der Volksparteien gut ablesen lässt. Entscheidend in Deutschland ist aber der historisch-kulturelle Faktor, der mitverantwortlich für eine (noch) verhältnismäßige Eindämmung des Rechtspopulismus ist. So ist die Hemmschwelle aufgrund der Aufarbeitung deutscher Geschichte (noch) recht hoch, eine Partei rechts außen zu wählen (vgl. S. 128).

Auswirkungen auf das politische System

Daraufhin gibt Busch einen Überblick über die Entwicklung des Rechtspopulismus in den zuvor genannten Ländern und nennt Auswirkungen auf das politische System. In Italien gab es bereits in den 1990er Jahren einen Aufschwung rechtskonservativer bis -populistischer Parteien. Von 1994 bis 2011 stellte beispielsweise Silvio Berlusconi vier Kabinette. 2018 kam die Movimento Cinque Stelle zusammen mit der Lega Nord in die Regierung. Linke Parteien können dem Erstarken der politischen Rechten nicht entgegenwirken. Entscheidend ist aber, dass sozioökonomische Probleme nicht gelöst, sondern durch die Haushaltspolitik verstärkt werden.

Das politische System der Niederlande vollzieht seit den 1990er Jahren einen Wandel. Damals vereinten die CDA (Christen-Democratisch Appèl), die PvDA (Partij van de Arbeid) und VVD (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie) fast 80% der Wählerstimmen auf sich. Seit den 2000er Jahren ist das Parteiensystem zunehmend fragmentiert (vgl. S. 128).

In Frankreich markierten die Parlamentswahlen 2017 eine Zeitenwende. Es kam zu einer Abkehr vom bisherigen System mit der Parti Socialiste und den Republikanern. Seitdem wird die Regierung von Emmanuel Macrons Partei „La République en Marche (LREM)“ gestellt, die sich als Partei der Mitte einstuft. Dabei sind in der Opposition unter anderem der „Rassemblement National“ vertreten. Das System weist allerdings Instabilitäten auf, wie eine schwache Organisation des LREM oder die Gelbwesten.

In Österreich war die rechtspopulistische FPÖ bereits an der Regierung beteiligt. Auch in Deutschland kam es zu einem Umbruch im Parteiensystem, der sich im Machtverlust der Volksparteien CDU und SPD zeigt. Dabei ist die Union selber von einem Rechtsruck betroffen, den man auf das Erstarken der politischen Rechten zurückführen kann.

Aber auch Auswirkungen auf die EU-Parlamentswahlen sind nicht von der Hand zu weisen. EU-Skeptiker, die nationalistische Einstellungen in den Vordergrund stellen, könnten einen Zuwachs an Wählerstimmen verzeichnen (vgl. S. 129).

Busch beschreibt die aktuelle Lage damit, dass die Europäische Union mit unterschiedlichen Krisen zu kämpfen hat, ohne Lösungen für diese zu finden. Dazu kommen immer mehr Blockaden. Zu den Krisen zählen unter anderem Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten Ungarn und Polen.

Grundsätzlich lässt sich als Reaktion auf den Rechtspopulismus eine Verschärfung im Umgang mit Migration beobachten. Für die EU werden allerdings die Fragen der Verteilung von Flüchtlingen unter den Mitgliedsstaaten zur Zerreißprobe. Während der Flüchtlingskrise zeigten sich die Schwächen der Dublin-Abkommen und offenbarten, dass es dringenden Reformbedarf gibt. Um Flüchtlingsströmen vorzubeugen, setzt man auf eine Abschottungsstrategie und stärkt den Ausbau von Frontex.

Busch spricht zudem vom „Ausbau von „Ausschiffungsplattformen“ in Drittstaaten (Kasernierung der auf der Flucht aufgegriffenen Migranten zur Klärung ihres Status)“ aber auch vom „Aufbau von „internen Zentren“ in den Mitgliedsstaaten (Kasernierung von Flüchtlingen zur Klärung ihres Status und Einleitung von Umsiedlungs- und Neuansiedlungsmaßnahmen (…)“. Erkennbar ist dabei, wie sich die EU bereits den Positionen der Rechtspopulisten annähert, die kritisch zu betrachten sind.

Da es jederzeit zur Blockade einzelner Länder kommen kann, setzt die EU auf das „Prinzip der Freiwilligkeit“. Problematisch ist allerdings daran, dass sich dadurch die Verteilungsfrage nicht lösen lässt und sich einzelne Staaten ihrer Verantwortung entziehen können. Bei späteren Gipfeln konnten ebenfalls keine wesentlichen Erfolge erzielt werden. Einzig beim Ausbau von Frontex konnte man sich einigen (vgl. S. 130).

Seit der Eurokrise wurden die Schwachstellen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) deutlich. Als Reaktion darauf entstand eine Diskussion über den Reformbedarf des Euro (vgl. S. 130). 2012 wurden erst Pläne vorgelegt, die Reformvorschläge enthielten, wie beispielsweise die Frage nach einer kollektiven Schuldentilgung. Besonders Emmanuel Macron brachte im Jahr 2017, angeregt durch die Kommission, die Debatte über Reformen erneut auf den Plan. Diese befassten sich unter anderem mit einer Vergrößerung des EU-Haushalts. Macron brachte zudem einen separaten Haushalt für Krisenzeiten ins Spiel.

Die meisten Anregungen scheiterten aufgrund mangelnder Unterstützung. Diese ging sowohl von Merkel als auch von der „hanseatischen Liga“ aus, zu der auch Belgien, Österreich oder die Niederlande zählen. Frankreich zeigte sich dabei enttäuscht über den geringen Zusammenhalt mit Deutschland (vgl. S. 131).

So kam es 2018 dazu, dass sowohl Frankreich als auch Deutschland Pläne vorlegten für einen Haushaltsplan, welcher ebenfalls scheiterten. Zu schlecht standen die Chancen bereits zu Beginn, da einige Mitgliedsstaaten Bedenken äußerten.

Das Erstarken der Rechten bewirkt eine zunehmend nationalistische und kritische Einstellung der EU gegenüber, die Folgen für die Handlungsfähigkeit hat. Anhand der genannten Punkte lassen sich Auswirkungen des Rechtspopulismus nicht von der Hand weisen und machen klar, dass der Rechtsruck in Europa Einfluss auf das Klima in der Europäischen Union hat und zu einer Blockade von innen führen kann.

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