Freitag, 29. Juli 2022

Populismus und (politische) Bildung

In diesem Beitrag stellt Lou Chiara Hildenbrand folgenden Aufsatz vor:

Nuissl, Ekkehard / Popović, Katarina (2020): Populismus und Bildung; in: Zeitschrift für Weiter-bildungsforschung 43, 3/2020, S. 339-355, online unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s40955-020-00173-0.

Unter Populismus versteht man eine politische Bewegung, die die Interessen des Volkes vertritt, d.h. Populismus idealisiert das Volk und feindet die Elite an. Populismus findet sich weltweit in staatlichen, politischen und sozialen Kontexten wieder. Politiker behaupten, die Interessen des Volkes zu vertreten, indem sie mittels populistischer Taktiken zu einer diskursiven Verschiebung öffentlicher Debatten hin zu wichtigen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen beitragen (z.B. „durch politische Aktionen wie Protestkundgebungen, Aufmärsche, Ansammlungen“) (S. 340).

Populismus ist in der Lage, sein Instrumentarium und sein Narrativ dafür einzusetzen, um Kontexte, Zielgruppen, Inhalte und Themen in seinem Interesse zu nutzen, um sich gegenüber dem Volk als mächtig und unerschrocken zu zeigen. Als Beispiel hierfür eignet sich die COVID-19-Krise hervorragend. Vereinzelte Politiker (Trump, Bolsonaro, Vucic) haben sich die Krise zunutze gemacht, um sich dem Volk als mächtig und unerschrocken zu zeigen und verteufeln vermeintlich Schuldige als Feinde (WHO, Wissenschaft und China).

Populismus kann daher nach Ansicht der Autoren als wichtiger Indikator für grundlegende Probleme in einer Demokratie angesehen werden. Populismus exakt zu definieren, erscheint äußerst schwierig. Im Text werden vier Dimensionen des Populismus unterschieden:

  • Die technische Dimension, d.h. Populisten agieren als selbsternannte Anwälte des Volkes.
  • Die personelle (emotionale) Dimension, d.h. im Vordergrund steht eine charismatische Führungspersönlichkeit.
  • Die mediale Dimension, d.h. durch Nutzung sozialer Medien wird eine mediale Parallelöffentlichkeit geschaffen.
  • Die inhaltliche Dimension, d.h. Themen wie Migration, Islamismus oder Verschwörungstheorien

Die technische Dimension kann als Wesensmerkmal des Populismus gesehen werden. Hier steht das gute „Wir“ den schlechten „Anderen“ gegenüber, wobei die „Anderen“ meist Minderheiten sind (z.B. Migrant*innen, Geflüchtete, Homosexuelle, Sinti und Roma, Muslime, Juden). Wir sprechen in diesem Fall von Rechtspopulismus. Eine andere Variante des Populismus stellt der Linkspopulismus dar, der sich jedoch des gleichen Modells bedient. Auch hier sind „Wir“ die Guten und die „Anderen“ die Bösen in Form von beispielsweise guter Arbeiterklasse vs. böse Kapitalisten. Das „Wir“-Gefühl der Menschen, die Suche nach gemeinsamen Werten und Sicherheit sind wesentliche Merkmale des Populismus.

Die zweite Dimension äußert sich durch den schnellen gesellschaftlichen Wandel im Zeitalter der Globalisierung mit der Folge, dass sich eine multikulturelle Gesellschaft bildet, was wiederum durch eine Art „Anderssein“ als fremd empfunden werden kann und sich für viele Menschen als Gefahr für Sicherheit und Identität anfühlt. Genau diese Emotionen spricht der Populismus gezielt an. Er nützt die Ängste, Gefühle, Unsicherheiten und Komplexe der Menschen aus und bedient sich Strategien, indem er Sachverhalte vereinfacht und verzerrt sowie moralisiert.

Moralbegriffe werden direkt an das Volk gerichtet und personalisiert, was nicht ohne Folgen bleibt (z.B. „Bill Gates, als Multimilliardär ohnehin Teil der herrschende Machtelite, steht unter dem Verdacht, verschwörungstheoretisch, die Weltherrschaft an sich reißen zu wollen“ (S. 342) oder "Migranten sind alle Vergewaltiger", um nur einige Beispiele zu nennen). Diese Wertvorstellungen werden vereinfacht dargestellt, um die Gunst des Volkes zu suchen und zu finden. Diese bewusste Manipulation verhindert ein weltanschauliches Gesamtkonzept und polarisiert „Volk“ und „Elite“. Wissenschaftler rücken auf die Seite der Elite und werden als abgehoben dargestellt, die gegen den "gesunden Menschenverstand" handeln. Somit erkennt man beim Populismus eine Wissenschaftsfeindlichkeit.

Die dritte Dimension des Populismus, die mediale Präsenz, spielt eine große Rolle dabei, den Populismus zu verstärken. Durch „ideologische“ Kanäle lassen sich schneller „Gleichgesinnte“ finden, um alle Arten von Werten, Ideen, Einstellungen und Richtungen zu finden. „Populismus bedient sich der Funktionslogik der Mediendemokratie“ (S. 344).

Bei der vierten Dimension, der inhaltlichen, finden sich unterschiedliche Ideologien, um den Populismus zu verbreiten, insbesondere Rechts- und Linkspopulismus. Hier beschäftigt man sich mit der Frage nach der Realität und den Fakten. Kann die Vorstellung eines homogenen Volkes nicht aufrechterhalten werden, so tritt Polarisierung ein, eine Art ideologischer Bürgerkrieg.

Nahezu alle Parteien bedienen sich mittlerweile Kommunikationselementen des Populismus. Am häufigsten jedoch findet sich der Populismus im Nationalismus wieder, durch in Aussicht stellen einer Homogenisierung, die stark an das Zugehörigkeitsgefühl appelliert und in vielen quasi-wissenschaftlichen und pseudo-historischen Theorien begründet wird. Der politische Hintergrund des Populismus liegt in der demokratischen Legitimation. Populistische Aktivitäten richten sich gegen die Erscheinungs- und Funktionsweisen der liberalen Demokratie.

Populismus stellt für die politische Bildung an Schulen eine Herausforderung dar. In Bezug auf Populismus ist vor allem politische Bildung von großer Bedeutung. Insbesondere in der Erwachsenenbildung wird dieses Problem verstärkt.

"Politische Bildung, die sich der Wahrnehmung und Entfaltung einer bindenden demokratischen Kultur verpflichtet weiß und die den Individuen die Fähigkeit und Bereitschaft zur umfassenden politischen Teilhabe ebenso vermitteln will wie die Kompetenz zur rationalen Beurteilung und Lösung gesellschaftlicher und politischer Schlüsselprobleme, scheint ihr Ziel mehr und mehr zu verfehlen" (Wetterau, zit. nach S. 347).

Politik spielt in der Bildungsforschung eine Schlüsselrolle. Erkennt die Politik das Problem des Populismus nicht als wichtig an, so spielt die Bildungsforschung keine wesentliche Rolle. Das Problem des Populismus soll nicht gelöst, sondern vielmehr politisch für eigene Zwecke genutzt werden. Es gibt mittlerweile Konzepte in der politischen Bildung, die sich überwiegend den Themen Populismus, Radikalismus sowie soziale Bewegungen widmen.

Das Thema Populismus ist nicht neu, es benötigt jedoch neue Untersuchungen und Betrachtungswinkel. Leider nimmt dieses Phänomen bis heute zu wenig Platz in der Bildungsforschung ein. Da der Populismus aufgrund seiner multidimensionalen Ursachen, der erforderlichen Interdisziplinarität sowie der sehr schwer erreichbaren Zielgruppen schwer zu erfassen ist, stellt er für die Erwachsenenbildung in Praxis und Wissenschaft bis heute eine Herausforderung dar und wird zu einem immer wichtigeren Thema. Sowohl Wissensvermittlung, emotionale und kontextuale Komponenten sowie Aktivitäten sind Grundvoraussetzung für ein Lernen in Bezug auf politische Bildung.

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