Montag, 25. Juli 2022

Rechtspopulismus in der Türkei

In diesem Beitrag stellt Onur Can Güzel folgenden Aufsatz vor:

Ince, Hilal Onur (2014): Populismus und Islam in der Türkei; in: Henrique Ricardo Otten / Manfred Sicking (Hg.): Kritik und Leidenschaft, transcript Verlag, S. 67-82, https://www.transcript-open.de/doi/10.14361/transcript.9783839415900.67.

Hilal Onur Ince beschriebt den Aufstieg der populistischen Partei AKP und Erdogans (Adalet ve Kalkinma Partisi / Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung) und die damit verbundene schleichende Islamisierung der türkischen Gesellschaft mit der Unterstützung von sogenannten Tarikats (Bruderschaften) und nicht-staatlichen Organisationen wie der Fethullah Gülen Bewegung sowie die damit einhergehenden Folgen. Zusätzlich geht sie auf den Populismus in der Außenpolitik der AKP ein.

Zu Beginn des Textes geht Hilal Onur Ince darauf ein, wie das Zusammenspiel von Religion und Politik zum Aufstieg der populistischen Partei AKP geführt hat. Demnach haben sich AKP-Funktionäre bemüht, sich konservativ demokratisch darzustellen, wodurch sie zu einem Sammelbecken für die politische Rechte der Türkei wurden (vgl. S. 69). Die Wahl der AKP im Jahr 2002 kann laut Hilal Onur Ince auf die Schwäche der Mitte-Rechts Parteien zurückgeführt werden, wodurch ein politisches Vakuum entstand. Zusätzlich sorgte die Zehn-Prozent-Hürde bei den Wahlen dafür, dass die AKP mit einem Drittel der Stimmen fast zwei Drittel der Sitze im Parlament bekam und zum ersten Mal in der Geschichte der türkischen Republik eine Mehrheitsregierung durch eine islamisch geprägte Partei gebildet wurde (vgl. S. 69).

Der AKP-Erfolg wurde von Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern als ein historischer Sieg der „Peripherie“ über das „Zentrum“ gefeiert. Die Peripherie stellt demnach die kulturell unterdrückte und ausgegrenzte Mehrheit der Bevölkerung dar, während das Zentrum die säkulare militärisch-zivile Bürokratie darstellt (vgl. S. 69).

Der Einfluss islamistischer Bewegungen auf die gesellschaftspolitische Struktur der Türkei ist laut Hilal Onur Ince ein Phänomen, das seit dem Übergang in das Mehrparteiensystem im Jahr 1950 zu beobachten ist, aber weitgehend ignoriert wurde. Die Türkei erlebte im Lauf ihrer Geschichte demnach drei gesellschaftspolitische und sozioökonomische Prozesse, die der AKP zur Macht verhalfen. Der Aufstieg der islamistischen Bewegungen, die Ausweitung des religiösen Lebensstils und der Aufstieg des Neoliberalismus (vgl. S. 70-72).

Seit dem Militärputsch im Jahr 1980 hat der politische Islam in der Türkei einen großen Zugang zu staatlichen Institutionen. Dies führte dazu, dass Bewegungen wie die Fethullah Gülen-Bewegung unter dem Regime von Erdogan einen großen Einfluss auf Institutionen der inneren Sicherheit hatten.

Im weiteren Verlauf des Textes geht Hilal Onur Ince auf die Frage ein, ob die Fethullah Gülen-Bewegung, die für die Islamisierung des türkischen Nationalismus und für eine Religion-Staat-Beziehung nach osmanischer Art steht, eine Art fünfte Kolonne ist oder eine humanitäre Mission hat. Sie kommt zur Erkenntnis, dass die Fethullah Gülen-Bewegung auch die politische Mission hat, staatliche Institutionen zu übernehmen und den Islam und ihre Ideologie auf internationaler Ebene zu verbreiten (vgl. S. 72).

Gülen könne seine Ideologie über mehrere Medienanstalten, über ein Netz von loyalen Bürokraten, seine Anhängerschaft in Universitäten und Hochschulen, über Staatsanwälte und Richter, über Beschäftigte der Sicherheits- und Nachrichtendienste usw. verbreiten. Der Einfluss der Gülen-Ideologie reicht bis in die Tiefen der türkischen Gesellschaft. Ärzte, die keine Frauen untersuchen wollen, Bürgermeister, die Statuen im öffentlichen Raum entfernen, Ärzte, die die Ansicht verbreiten, dass Krebs durch den Glauben geheilt werden kann (vgl. S. 73).

Die AKP-Regierung, die laut Hilal Onur Ince nach einer Islamisierung der Gesellschaft strebe, sieht sich nicht genötigt, die Islamisierung selbst zu betreiben, da sowohl die Gülen-Bewegung als auch andere Bruderschaften diese Aufgabe ausüben (vgl. S. 74).

Nicht nur innenpolitisch ist seit Beginn der AKP-Regierung eine Trendwende zu beobachten, sondern auch in der Außenpolitik. Zum ersten Mal in der Geschichte der türkischen Republik unterstützte die Regierung einen Angriffskrieg auf ein Nachbarland (vgl. S. 75). Im Lauf der Zeit war Erdogan davon überzeugt, dass seine Art des Populismus dem Volk gefalle. In der Außenpolitik wurde die Rolle des harten Mannes zu einer Art Grundsatz des nationalen Interesses.

Zusammenfassend schreibt Hilal Ince Onur, dass die die populistischen Tendenzen in der Außenpolitik dem Ansehen der Türkei geschadet haben. Ursprünglich wohlgesonnene arabische Länder wie Ägypten und Jordanien sind der Türkei heute entfremdet.

Mit zunehmender Islamisierung der Gesellschaft nimmt die Kluft zwischen dem säkularen und dem islamistischen Lager zu. Die Gesellschaft fühlt sich laut Hilal Onur Ince dazu gezwungen, in der Öffentlichkeit nach islamischem Recht zu leben. Frauen beispielsweise fühlen sich dazu gedrängt, ein Kopftuch zu tragen. Der zunehmende Konservatismus im Alltag und die sich verschlechternden Aussichten für die türkische Demokratie werden das Land laut Onur Ince noch jahrzehntelang beschäftigen (vgl. S. 77-78).

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