Freitag, 22. Juli 2022

AfD-Politik im Spiegel Kleiner Anfragen in Thüringen

In diesem Beitrag stellt Yannick Rössle folgenden Aufsatz vor:

Miehlke, Marius (2021): Kleine Anfragen der AfD im Thüringer Landtag: zwischen rechten Identitätsthemen, Protestthemen-Piraterie und autoritären Gegenangriffen auf die Zivilgesellschaft und Demokratie; in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft [Hrsg.]: Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Ursachen von Ungleichwertigkeitsideologien und Rechtsextremismus, Band 10. Jena, S. 64–77, online unter: https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/PDFS_WsD10/Idz_WsD_10_WEB.pdf#page=39.

Marius Miehlke analysiert in seinem Text 1268 Kleine Anfragen, welche die Landtagsfraktion der AfD im Thüringer Landtag während der 6. Legislaturperiode zwischen 2014 und 2019 stellte. Dabei zeigt er auf, dass die AfD in weiten Teilen fremdenfeindliches Agenda-Setting betrieb und teilweise demokratiefeindliche Tendenzen aufwies (S. 65).

Alle Mandatsträger*innen haben das Recht, eine Kleine Anfrage zu stellen. Die Ausübung dieses Rechts kann zur Regierungskontrolle, dem Herstellen von Öffentlichkeit oder der politischen Themensetzung genutzt werden. Sie können schnell formuliert werden und benötigen vergleichsweise wenig Fachwissen. Miehlke nennt sie „ein[en] Ausfluss der programmatisch-ideologischen Ausrichtung von Abgeordneten … bzw. deren Partei“ (S. 66). Die 1268 Kleinen Anfragen entsprechen 30,5 % der gestellten Kleinen Anfragen in dieser Legislaturperiode.

Zur Auswertung der 1268 Kleinen Anfragen nutzt er eine qualitative Inhaltsanalyse. Er führt an, dass in Kleinen Anfragen eine „zivilere“ Diskursseite der AfD zutage trete, weshalb man diese nicht isoliert betrachten dürfe und sie stattdessen im Kontext der programmatisch-ideologischen Ausrichtung und Entwicklung der Partei und der Fragesteller*innen analysieren müsse (S. 67). Deshalb gelte es, die Motive und Impulse hinter den Kleinen Anfragen herauszuarbeiten.

In einem ersten Schritt ordnet Miehlke die Anfragen in induktiv generierte Kategorien ein. Durch diese identifizierte er 54 verschiedene Themenfelder, welche in sieben Metakategorien zusammengefasst werden, um die Kleinen Anfragen in einem größeren Zusammenhang analysieren zu können (S. 67).

Die erste Metakategorie enthält 338 Kleine Anfragen, welche den thematischen Schwerpunkt bilden. Hierbei dreht es sich um Vorurteile gegenüber Migrationsbewegungen und den Islam. Dabei werden vor allem Männer stigmatisiert und „als potenzielle Straftäter geframed“ (S. 67). Fremdenfeindliche Vorurteile sind hierbei laut Miehlke der Impuls für die Kleinen Anfragen. Ein Ziel sei es, negative Affekte zu schüren und zu bedienen. Mit 163 Kleinen Anfragen bildet das Themenfeld Kriminalität im Zusammenhang mit Ausländer*innen und Asylbewerber*innen den größten Block innerhalb der Metakategorie (S. 68).

Die zweite Metakategorie umfasst 232 Kleine Anfragen zur inneren Sicherheit. Dabei werden durch angebliche Mängel bei der Polizei und der Justiz verschiedene Thesen aufgestellt, weshalb die Bürger*innen nicht mehr in Sicherheit wären. Demnach stehe der Rechtsstaat vor einem Kollaps, einen Anstieg der Kriminalität gebe es nur aufgrund des Zuzugs von Geflüchteten, und die Landesregierung setze falsche Prioritäten (S. 68). Dadurch soll ein Gefühl der Angst aufgebaut werden und die Bevölkerung soll hinsichtlich der tatsächlichen Sicherheitslage getäuscht werden.

Miehlke führt an, dass beide Kategorien insofern eng verknüpft sind, als die AfD eine unterkomplexe Lösung für beide Probleme anführt. Wenn es nach der AfD ginge, würde man „Geflüchtete, Nicht-Deutsche etc. stärker bestrafen, schneller abschieben oder gar nicht erst ins Land lassen“ (S. 69). Diese Sicht zeigt deutliche Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

101 Kleine Anfragen werden in der Metakategorie „Einschüchterung von Zivilgesellschaft und autoritärer Gegenangriff“ zusammengefasst. Dazu gehört das Einschüchtern und Diskreditieren von wissenschaftlichen Akteur*innen. Vor allem bei AfD-kritischen Haltungen oder der Vermittlung von liberal-demokratischen Werten, welche sich gegen die AfD stellen. Dabei werden teilweise abstruse Vorwürfe konstruiert, welche eine Nähe zum Linksextremismus herstellen wollen oder in einigen Fällen demokratiefeindliche Forderungen gestellt werden. Daraus leitet Marius Miehlke ab, „dass die AfD aus dem Parlament heraus einen autoritären Gegenangriff … auf die zivilgesellschaftliche Demokratieförderung führte“ (S. 70).

Die vierte Metakategorie beschäftigt sich mit dem politischen Extremismus, dem 112 Kleine Anfragen zugeordnet werden. Den Schwerpunkt bilden der Linksextremismus und Islamismus. Die Kleinen Anfragen zum Linksextremismus dienten zur Beobachtung und dem Ziel einer Diskursverschiebung bei gleichzeitiger Verharmlosung des Rechtsextremismus (vgl. S. 70).

Die fünfte Metakategorie fasst 47 Kleine Anfragen zum Thema der Klima- und Energiepolitik zusammen. Dabei werden auf einseitige Weise die Nachteile von erneuerbaren Energien betont. Miehlke führt an, dass so von der eigenen (fragwürdigen) Position zum Klimawandel abgelenkt werden soll. Dadurch soll Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Klimawandel gestreut werden.

Eine Sammelkategorie für weitere policybezogene Themenfelder ist die sechste Metakategorie mit 334 Kleinen Anfragen. Diese Kategorie zeige insbesondere, dass die AfD neben ihren Kernthemen (Asyl, Migration, innere Sicherheit) keine weiteren Politikfelder mit Systematik bearbeitet. In diese Kategorie fallen auch 83 Anfragen zur Schul- und Bildungspolitik. Dabei wird auch wieder ein Rückbezug zum Kernthema Migration hergestellt.

Die siebte und letzte Kategorie fasst die Exekutive und Sonstiges zusammen. Diese entsprechen tendenziell einer klassischen Regierungskontrolle. Die andere Gruppe behandelt Kleine Anfragen zu Infektionskrankheiten oder anderen Themen, welche selten angesprochen wurden. Im Feld der Infektionskrankheiten wurde versucht, Flüchtende als Verursacher von Infektionskrankheiten zu identifizieren und diese zu Schuldigen zu machen. Dies sorge für eine Entmenschlichung, zeigt wieder die Fremdenfeindlichkeit. Im Zusammenspiel mit der Abwertung von Flüchtenden zeigt dies eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (vgl. S. 73f). Laut Miehlke sind solche Symptome „eine Vorstufe für totalitäre Vernichtungsideologien“ (S. 74).

Miehlke kommt in einer Sonderauswertung zu dem Schluss, dass die fremdenfeindliche Abwertung von geflüchteten Menschen umso häufiger zu Tage dritt, je „unziviler“ das Kommunikationsmedium (S. 74).

Seinen Text schließt Miehlke mit einer Schlussbetrachtung. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass „die AfD … überwiegend ein fremdenfeindliches bis rassistisches Agenda-Setting betrieb, das rechtsextreme und demokratiefeindliche Motive, Impulse und Tendenzen aufwies“ (S. 74). Dabei wurden Probleme oft auf die Frage der Nationalität reduziert. Für Miehlke ist klar, dass es der AfD um einen autoritären und illiberalen Wandel der politischen Kultur gehe (vgl. S. 75).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen