Samstag, 16. Juli 2022

Rechtsextremismus in Eisenach

In diesem Beitrag stellt Julius Ayen folgenden Aufsatz vor:

Satheiser, Axel / Quent, Matthias (2022): Rechtsextremismus zwischen Normalisierung und Konfrontation: Befunde aus Eisenach; in: Daniel Mullis, Judith Miggelbrink (Hrsg.): Lokal extrem Rechts. Analysen alltäglicher Vergesellschaftungen, transcript Verlag, S. 165-182, online unter: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5684-8/lokal-extrem-rechts/.

Eisenach ist eine Stadt in Thüringen, nahe des Thüringer Waldes, mit rund 41.000 Einwohnern, die seit den 1990ern eine Hochburg des Rechtsextremismus und der Neonazi-Szene darstellt. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich diese Szenen lokalpolitisch verbreitet und die hohe Zahl an gewalttätigen Rechtsextremen und Neonazis vor Ort weiter in die Höhe getrieben.

In vielen deutschen Gebieten, ausgeprägt im östlichen Teil Deutschlands, wird oft von „Raumergreifung“ und „Normalitätsgewinn“ gesprochen. Das umschreibt eine geschwächte demokratische Zivilgesellschaft in den betroffenen Gebieten, die aus unterschiedlichen Beweggründen nicht mehr in der Lage dazu ist, den politischen Gegnern Paroli zu bieten. Das hat zur Folge, dass in den Gebieten der Rechtsextremismus als Mainstream wahrgenommen wird und keine Besonderheit mehr darstellt – die Menschen gewöhnen sich daran.

Rechtsextreme und Neonazis werden öffentlich sichtbar, ohne Konsequenzen oder Anfeindungen fürchten zu müssen. Das ist ein erster, für die Rechtsextremen wichtiger Schritt, um ihnen lokal mehr Möglichkeiten für Machtmaximierung zu lassen. Das ermöglicht ein selbstbewussteres Hervortreten und trägt weiter dazu bei, dass rechte Räume dort als normal wahrgenommen werden.

Am Beispiel Eisenach spiegeln das die Wahlergebnisse der Stadtratswahl 2019 wieder. Dort erlangte die NPD 10,2% der Stimmen und zog damit mit vier Mandatsträger*innen ein. Die AfD zog mit 11,7% der Stimmen ebenfalls mit vier Mandatsträger*innen in den Stadtrat ein. Das bedeutet, dass 21,9% der gültigen Stimmen "rechts außen" gewählt haben! Und das entgegen dem Trend der NPD, die seit Gründung der AfD immer weiter an Bedeutung verlor. 

Wenn wir also betrachten, dass die Rechtsextremen seit 1990 einen Weg in die Mainstream-Gesellschaft der Bürger*innen lokal gefunden haben, lässt sich erahnen, dass ihnen durch die Normalisierung der Weg zu lokalpolitischer Macht geebnet wird. Von zentraler Bedeutung sind dabei rechtsextreme Immobilien, die als Kerne und Epizentren der Partei- und Szenenaktivität genutzt werden. Ganz nebenher tragen offensichtlich rechtsextreme Immobilien weiter zur Normalisierung und Akzeptanz der rechten Szene bei.

Im Thüringer Eisenach wird deutlich, welche Wirkung solche Immobilien haben und wie sie ein Sprungbrett für weiteren politischen Erfolg darstellen können. In Eisenach hat die NPD ihre Landesgeschäftsstelle. Das sogenannte „Flieder Volkshaus“ ist Dreh- und Angelpunkt der lokalen Szene und hat zu den oben genannten Wahlerfolgen beigetragen. Durch eine lange lokalpolitische Geschichte kennen viele Bürger*innen ihre Stadt nicht mehr anders als mit dem „Flieder Volkshaus“, lokal prominenten rechtsextremen Politiker*innen und rechtsextremen Graffiti.

Wenn die Bürger*innen den Rechtsextremismus lokal akzeptiert haben, versuchen die Parteien, ihre politische Denkweise in den demokratischen Systemen vor Ort zu etablieren. Das geschah in Eisenach im Skandalfall der linken Oberbürgermeisterin, die auf Vorschlag der NPD hätte abgewählt werden sollen. Das funktionierte zwar nicht, aber in der Abstimmung haben sich die anonymen Gegenstimmen nicht nur unter der NPD aufgeteilt. Auch andere Politiker*innen, die nicht der NPD angehören, stimmten dem von der NPD eingereichten Vorschlag zu. Die Rechtsextremen feierten das, weil es als Tabubruch angesehen wurde und für die NPD klar widerspiegelt, wie weit sie lokal in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

In weiteren Aktionen versucht die NPD einerseits, neue Wähler*innen zu gewinnen, zum Beispiel durch Müllsammelaktionen oder „Kulturveranstaltungen“ wie rechte Konzerte oder Kampfsportevents in deren Gebäuden. Andererseits versucht sie immer stärker und radikaler an Einfluss zu gewinnen und ihre politische Einstellung durchzusetzen und zu etablieren. Das geschieht durch rassistisch, antisemitisch oder homophob gesteuerte Taten und Anschläge. Am Beispiel Eisenach zeigt sich das an der landesweit höchsten Rate an rechtsextrem motivierter Kriminalität, die sich zwischen 2014 und 2018 auf 6,9 Fälle pro 1.000 Einwohner*innen belief.

Von enormer Wichtigkeit sind dann zentrale Akteur*innen, die durch ihr Wirken in der lokalpolitischen Szene den Aktionen ein Gesicht geben. Das ermöglicht das leichtere Zuordnen zu einer bestimmten Gruppe und damit längere politische Stabilität und Sicherheit. In Eisenach ist das unter anderem der NPD-Funktionär Patrick Wieschke, welcher vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Er versucht, sich und seine Partei als Opfer linksradikaler Gewalt darzustellen und mit seriös wirkenden Websites und klassischer Kommunalpolitik seine vermeintliche Unschuld zu beteuern. Neben der typischen NPD-Propaganda möchte er Schwerpunkte auf Spielplätze, Schulen und Kindergärten setzen – klassisch kommunalpolitisch. Wieschke sagt dazu: „Die NPD führt im Stadtrat keine ideologischen Kämpfe, sondern setzt sich undogmatisch für die Stadt und ihre Bürger ein“ (https://www.npd-fraktion-eisenach.de).

Am Beispiel Eisenach zeigt sich ganz offensichtlich, wie es möglich ist, eine rechtsextreme Partei mit Neonazis in einer Stadt zu etablieren, mit einem rassistischen, antisemitischen und homophoben Parteiprogramm in den Stadtrat zu ziehen und mit über 10% der Stimmen Fuß zu fassen und langsam im lokalen Mainstream anzukommen. Und noch mehr: jüngst zeigten Beobachter*innen, dass jüngere Rechtsextreme den Aktionismus der NPD nicht mehr als ausreichend einstufen.

Dieses Fallbeispiel zeigt, was Salheiser und Quent in ihrem Kapitel beschreiben. Die Folgen eines seit 1990 aktiven Rechtsextremismus, der geduldet wird und Mainstream geworden ist, sind neben Skandalen in politischen Ämtern wie dem Stadtrat die Akzeptanz. Vor allem die jüngeren Bürger*innen, die die politische Ausrichtung der NPD durch die lokale Normalisierung nicht mehr hinterfragen, fördern damit das rechtsextreme Milieu.

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