Samstag, 31. Juli 2021

Rechtspopulismus und Soziale Arbeit

In diesem Beitrag stellt Kilian Nitsche folgenden Text vor:

Milbrandt, Björn / Wagner, Leonie (2017): Pegida – Rechtspopulistische Bewegungen und die Folgen für die Soziale Arbeit; in: Soziale Passagen 8, 2/2017, S. 275-291, online unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s12592-016-0243-0.

Der Text beschäftigt sich mit dem Praxisbegriff der Sozialen Arbeit und deren Herausforderung durch das Erstarken rechtspopulistischer Parteien. Soziale Arbeit richtet sich nicht nur an Jugendliche und junge Erwachsene, die als Adressat*innen von rechten Ideologien gelten, sondern auch an Menschen, die in rechten Vorstellungen gar nicht mehr Teil der sozialen Welt sein sollten. Die Kernfrage von Wagners und Milbrandts Arbeit lautet: Welche Konsequenzen muss die Soziale Arbeit erleiden, wenn rechte Ideologien den gesellschaftlichen Diskurs sowie die politischen Entwicklungen in zunehmenden Maße beeinflussen?

Der Autor und die Autorin gehen näher auf die Verlagerung der rechten Denkweisen vom Rand hin zur Mitte der Gesellschaft ein. Dies führt dazu, dass Kinder schon früh „pädagogisch begleitet“ (S. 278) werden müssen, um rechtem Denken entgegenzuwirken. Ein weiterer Punkt, der die Verbreitung rechter Ideologien hervorruft, ist der, dass auch im Kreis der Sozialarbeiter*innen mit rechtem Gedankengut gerechnet werden muss - dazu gibt es aber (Stand 2016) keine repräsentativen Befunde.

Wagner und Milbrandt betonen, dass Pegida keine „Spaziergänge“ mehr sind, sondern dass hier „erkennbare Rechtsextreme neben ‚normalen‘ Durchschnittbürgern“ (S. 279) laufen. Pegida und AfD erschweren insofern die soziale Arbeit, indem sie z.B. LGBTQIA+-Erziehung aus dem Bildungsplan nehmen wollen und somit „eine auf Schwulen und Lesben zielende Soziale Arbeit tendenziell unmöglich“ (S. 280) machen (vgl. S. 277-280).

Pegida – Rechtspopulistische Mobilisierungsbewegung

In diesem Teil des Artikels wird zuerst besprochen, ob und inwiefern „rechtsorientierten ‚Phänomenen‘ der Charakter Sozialer Bewegungen zugesprochen werden könnte“ (S. 280). Diese These wird von mehreren Wissenschaftlern unterstützt und lässt sich so erklären, dass Soziale Bewegungen aus dem rechten Bereich vor allem durch die Dichotomie zwischen „dem wahren Volk“ und „den Anderen“ angetrieben ist.

Diese rechten Bewegungen sind durch unterschiedliche Handlungsdimensionen definiert und können mit einer Zwiebel als Dimensionierungsmodell weiter beschrieben werden, in welchem die „Bewegungseliten“ den Kern bilden. Dieser Kern entwickelt Leitideen und Programme. Die beiden darauffolgenden Ringe bilden die Basisaktivist*innen und dann die Unterstützer*innen, welche sich durch ihre Teilnahme an Aktivitäten unterscheiden. Der letzte Ring wird von den Sympathisant*innen gebildet, die sich nicht an Aktionen beteiligen, „aber die Positionen (…) in ihren Lebensstilen verkörpern“ (S. 281).

Diese Bewegungen bringen eine Enttabuisierung rechten Gedankenguts mit sich. Dadurch fühlen sich immer mehr Menschen in ihrem rechten Denken durch die Erfolge rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien bestätigt, was dazu führt, dass sich die Soziale Arbeit mit den „veränderten Rahmenbedingungen und Herausforderungen“ (S. 282) auseinandersetzen mus. (vgl. S. 280-282).

Rechtspopulismus als Herausforderung für Angebote der Sozialen Arbeit

Rechtspopulismus wird nicht mehr nur von den „Ewiggestrigen“ unterstützt, sondern findet sich vielmehr in „unterschiedlichen Gewichtungen über alle Altersgruppen verteilt“ (S. 283). Jedoch ist anzumerken, dass Pegida überwiegend von Männern über 40 Jahre getragen wird. Ein Problem, dessen Ursprung darin liegt, dass eigentlich nur auf Bildung und Prävention im Jugendalter und nicht auch im Erwachsenenalter gesetzt wird. Mit der „Breitband-Strategie“ soll flächendeckender gearbeitet werden.

Damit Menschen empfänglich für rechtes Gedankengut sein können, müssen hierfür „in einem lebensgeschichtlich früheren Stadium sozialisatorisch die Grundlage gelegt worden sein“ (S. 284). Dies ist vor allem im Bereich des Rechtsextremismus vorzufinden, muss im Rechtspopulismus jedoch erst genauer herausgefunden werden. Daraus ergibt sich die Frage: Gibt es bereits passende Bildungs- und Präventionsstrategien?

Pegida und AfD sehen sich selbst nicht als Rechtsextreme, aber sie vertreten trotzdem, wenn auch in der Regel nicht öffentlich, rechtsextreme Ansichten. Hier wird nun der Begriff „Kommunikationslatenz“ (S. 285) eingeführt, der beschreibt, dass man rassistische Äußerungen zwar nicht mehr tätigen darf, sie aber trotzdem noch denken kann. Als Beispiel könnte man den Satz „Ich bin zwar kein Nazi, aber…“ verwenden, der quasi alles nach dem Komma Stehende legitimieren soll. Oft wird in solchen Fällen auch versucht zu „kodieren“, indem man ein anderes Wort (z.B.: US-Ostküste) für eine rassistische Äußerung ersetzt (hier: Antisemitismus) (vgl. S. 282-286).

Rechtspopulismus als Herausforderung für Disziplin und Profession

Wagner und Milbrandt äußern zu Beginn dieses Abschnittes zwei Fragen: „Zum einen stellt sich die Frage nach den Einstellungen von Sozialarbeiter*innen selbst und zum anderen die, wie SozialarbeiterInnen damit umgehen, wenn ihnen rechtspopulistische/-extreme Positionen außerhalb der dafür vorgesehenen Bearbeitungssettings (…) begegnen“ (S. 286).

Die Antwort auf die erste Frage basiert nur auf Schätzungen, nach denen rund 10 % der Soziale-Arbeit-Studierenden rechtsextreme Einstellungen haben. Man sollte aber die ganze Entwicklung weiterhin beobachten. Die zweite Antwort wäre, die Sozialarbeiter*innen stetig für dieses Thema zu sensibilisieren, jedoch muss man sich auch fragen, wie viel im Bereich des Möglichen in der Arbeit mit rechtspopulistischen Adressat*innen ist. Verweigert dürfen die Angebote natürlich nicht werden, vielmehr muss hier auf politische Bildung gesetzt werden.

Der DBSH (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit) setzt in seinen Grundprinzipien eine Arbeit voraus, die u.a. folgendes beinhalten soll: „Vielfalt und Diversität fördern, wechselseitige Toleranz für unterschiedliche Lebensentwürfe, Lebensformen und Lebensziele von den verschiedenen Gruppen und Teilsystemen der Gesellschaft einfordern“ (S. 288).

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