Montag, 19. Juli 2021

Rechtspopulismus und Frauen: AfD und FN im Vergleich

In diesem Beitrag stellt Kathrin Lehle folgenden Text vor:

Meyer, Birgit (2019): The Discreet Charm of Populism: The Role of Gender and Female Politicians in the AfD and Front National/Rassemblement National; in: Jörg Fischer / Kerry Dunn(Hrsg.): Stifeld Progress. International Perspectives on Social Work and Social Policy in the Era of Right-Wing Populism, Verlag Barbara Budrich, S. 71-86.

Die Autorin beginnt mit einer Erklärung, dass soziale Arbeit sich für Menschenrechte engagiert und sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einsetzt. Soziale Arbeit braucht allerdings den Schutz des Staates und die Unterstützung demokratischer Institutionen und der Zivilgesellschaft. Genau diese demokratischen Institutionen und der Wert der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit wären gerade durch rechtspopulistische Partien in Gefahr (vgl. S. 71).

,,Gender equality” steht im Mittelpunkt der Attacken. Gesetze zur Gleichstellung sind gefährdet, darunter zum Beispiel ,,Affirmative Action” in den USA, “Gender Mainstreaming” in Europa und Reformen zu Thematiken wie Abtreibung, Familiengesetze und Rechte der LGBTQI-Community, die Chancengleichheit ermöglichen (vgl. S. 71).

Die Autorin bezeichnet die positive Entwicklungen in den Bereichen Gleichberechtigung und Menschenrechte und den Kampf gegen die Diskrimierung als “major achievements in Western liberal democracies”. Allerdings erklärt sie auch “[…] they are not yet secure and well-rooted achievements, and they are particularly under threat by right wing populism today.” Während wir also in unseren westlichen Demokratien große Erfolge verzeichnen können, sind diese noch nicht sicher und verankert genug, besonders in Hinsicht auf die Gefahr des Rechtspopulismus, dem wir heutzutage ausgesetzt sind (vgl. S. 71).

Meyer beschreibt Gender Equality als ,,good seismograph for the state of justice and equality in society”, da man dadurch die Akzeptanz für Vielfalt und den Schutz verletzlicher Gruppen innerhalb einer Gesellschaft messen könne. Wenn Gender Equality nicht geschützt wird, gehen damit oft andere Arten der Feindseligkeit wie Rassismus, Antisemitismus und die Abneigung gegenüber Immigranten und Muslimen einher (vgl. S. 71).

Die Autorin stellt nun die Frage, warum Frauen sich zu rechtspopulistischen Gruppen und Parteien hingezogen fühlen und wie eine Zukunft mit mehr rechtspopulistischen Wählerinnen und Politikerinnen aussieht. Der Fokus von Meyers Arbeit liegt auf Frankreich und Deutschland, wofür sie Wahlen, Reden, Wahlprogramme etc. analysierte. Es gibt grundlegende Unterschiede, aber auch Ähnlichkeiten zwischen rechten Politikerinnen in Deutschland und Frankreich (vgl. S. 72).

Als Marine Le Pen 2011 den FN (Front National) übernahm, wurden Feminismus und Frauenrechte als Themen wahrgenommen, die für den Erfolg der Partei ausgenutzt werden konnten. Die Idee, dass man (weiße) französische Frauen vor den Gefahren des Islam schützen müsse, wurde propagiert. Somit entstand ein Konflikt zwischen zwei politischen Problemen im Feminismus, das Dilemma zwischen sexueller Selbstbestimmung und Freiheit und auf der anderen Seite der Schutz vor Gewalt gegen Frauen (vgl. S. 72).

Die rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen in Deutschland nahmen bei der Feminismus-Debatte eine andere Position ein: sie stellten sich klar gegen den Feminismus und ,,the concept of Gender or Gender Studies” (S. 72-73). Meyer führt folgende Begriffserklärungen auf:

  • Feminismus: ,,Feminism is “the advocacy of women’s rights on the basic promise of equality of the sexes” (Oxford Dictionary.com) and it seeks the “political, economic and social equality of the sexes by means of activities on behalf of women’s rights and interests” (Merriam-Webster.com)” (S. 73) [eigene Übersetzung: Feminismus ist “die Verteidigung von Frauenrechten durch das elementare Versprechen zur Gleichberechtigung der Geschlechter” (Oxford Dictionary.com) und es sucht die “politische, ökonomische und soziale Gleichberechtigung der Geschlechter mithilfe von Tätigkeiten zur Begünstigung der Frauenrechte und ihrer Interessen.]
  • Gender: ,,Gender stands for the criticism of (a) assumptions about the “natural” capacities and qualities of women and men and (b) of traditional rules of submission of women and men.” (S. 73) [eigene Übersetzung: Gender steht für die Kritik an (a) Annahmen über die ,,natürliche’’ Fähigkeit und Qualitäten von Männern und Frauen und (b) an traditionellen Regeln der Unterwerfung von Frauen gegenüber Männern.] 
  • Gender Studies: ,,Gender Studies analyze the various historical, national and cultural forms of these rules and […] the different expectations, beliefs, and values that are connected with masculinity and femininity in societies.” (S. 73) [eigene Übersetzung: Gender Studies analysieren die diversen historischen, nationalen und kulturellen Formen dieser Regeln und […] die verschiedenen Erwartungen, Überzeugungen und Werte, die in Gesellschaften mit Männlichkeit oder Weiblichkeit verbunden werden.]
  • Rechtspopulismus: ,,Right-Wing-Populism refers to a belief in ‘the people’ as an opposite social pole to ‘the elites’ or ‘the establishment’ and to an unspecific ‘we’ against ‘the others’ with a moral exclusiveness” (nach Mudde) (S. 73) [eigene Übersetzung: Rechtspopulismus bezieht sich auf die Überzeugung, dass ,das Volk’ als entgegengesetzter sozialer Pol zu ,der Elite’ oder ,dem Establishment’ steht und auf ein unspezifisches ,Wir’ gegen ,die Anderen’ mit einer moralischen Exklusivität.]

Zunächst geht Meyer auf die französische Politik ein, in der die französische Identität, die Verpflichtung der ,,République” und die Grundwerte ,,liberté, égalité, [und] laicité” (Freiheit, Gleichheit und Trennung von Staat und Kirche) extreme Relevanz haben (vgl. S. 74).

Die Autorin erklärt weiter, dass Frankreich beim Frauenwahlrecht ein Nachzügler war und dieses erst 1944 implementierte, dafür aber im Jahr 2000 ein Gesetz vorstellte, dass auf einen Frauenanteil von 50% im Parlament abzielt. Die politischen Parteien in Frankreich müssen zudem eine Frauenquote von 50% erreichen (sonst müssen Strafen gezahlt werden). Das steht im Gegensatz zu Deutschland, wo Parteien selbst über eine Quote entscheiden können. Der FN hat 25% Frauen im Parlament und zahlt eine Geldstrafe, um weiterhin die Quote zu ignorieren (vgl. S. 74).

Meyer erklärt die Begriffe der ,,Dedémonisation” und ,,Dédiabolisation”. Marine Le Pen übernahm die sehr aggressiv wirkende Partei ihres Vaters und begann, den FN zu modernisieren und verträglicher wirken zu lassen. Während die Partei immer noch rassistisch und gegen Einwanderung ist, wird dies von Le Pen mit Begriffen wie ,,Kultur” weniger extrem dargestellt. Le Pen profitiert von der hohen Arbeitslosenrate in Frankreich, vor allem die der jungen Bevölkerung (20-25%), von der Angst vor Terrorismus und der Frustration mit der momentanen politischen Elite. Sie nutzt ihre Rolle als Frau aus und adressiert auch gezielt die weibliche Bevölkerung bei ihren Reden: ,,Ich will die französischen Frauen verteidigen!” (S. 74).

Bevor Le Pen die Partei übernahm, spielten Familienpolitik und Gender bei der FN keine große Rolle. Durch Le Pen wurde Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigung und die Verteidigung von Frauenrechten (vor Flüchtlingen) zu wichtigen Themen. Da sie die Unterstützung weiblicher Wählerinnen brauchte, behauptete sie, dass Gewalt gegen Frauen nur wegen der ,,Flüchtlingskrise” und Migranten existiere. Es gab eine Unterscheidung zwischen einheimischen Franzosen (,,Francais de Souches”) und den Migranten. Französische Familien sollten durch die Politik beschützt werden, um die nationale Solidarität und die französischen Werte und Identität zu stärken. Diese Taktik kann sowohl Männer als auch Frauen überzeugen (vgl. S. 75-76).

Der FN verweigert alle unkonventionellen Familienbilder, wie gleichgeschlechtliche Ehe, Scheidung, Alleinerziehende oder nicht-französische Paare mit oder ohne Kinder. Sie fordert eine Kürzung von Geldern zur Rückerstattung der Kosten einer Abtreibung und stellt die Adoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren in Frage (vgl. S. 76).

Die Autorin zeigt gewisse Abweichungen zwischen der Rhetorik und den Lebensstilen der rechtspopulistischen Politiker auf: Marine Le Pen lebt kein traditionelles Familienleben, sie ist zweifach geschieden und Mutter von drei Kindern mit einer erfolgreichen Karriere. Durch diese Diskrepanz schafft sie es allerdings auch, als Vorbild für Frauen, die nicht das klassische Bild einer Hausfrau erfüllen möchten, zu dienen (vgl. S. 76).

Über die AfD schreibt Meyer, dass die Partei als neoliberale EU-Skeptiker anfing und nun von einem nationalistischen Flügel dominiert wird. Von Politikwissenschaftlern wird die AfD als nationalistisch, rechtspopulistisch, konservativ, autoritär und fremdenfeindlich charakterisiert. Der Frauenanteil sowohl bei Wählerschaft (9%) als auch Abgeordneten (11%) ist gering, dennoch gibt es einige populäre weibliche Politiker in der AfD. Auch bei ihnen sieht man wieder eine Diskrepanz zwischen dem traditionellen Bild der klassischen Hausfrau und Mutter und dem eigenen Privatleben:

Alice Weidel ist lesbisch, hat zwei adoptierte Kinder mit ihrer Frau aus Sri Lanka und eine erfolgreiche Karriere in der Wirtschaft. Frauke Petry hat einen Abschluss in Chemie und gründete eine eigene Firma. Sie ist geschieden und hat nun eine Patchwork-Familie mit AfD-Politiker Markus Pretzel. Die Partei predigt eine traditionelle heterosexuelle Familie, doch das Leben der führenden Frauen steht dazu im starken Kontrast (vgl. S. 78).

Beim Parteitag 2017 diskutierte die AfD ausgiebig das Thema ,,Familie”. Sie verlangt das Ende der finanziellen Unterstützung von Abtreibung und argumentiert gegen die ,,planlose Durchmischung des deutschen Volkes”. Sie fordern in ihren Slogans ,,Mehr Kinder statt Masseneinwanderung” und machen auf die sinkende Geburtenrate in Deutschland aufmerksam (vgl. S. 78).

Auch Beatrix von Storch ist eine Gegnerin von Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe, hielt sich aber während der Wahlen 2017 bedeckt, da Alice Weidel kandidierte (vgl. S. 78). Die AfD stellt sich klar gegen die Gleichberechtigung von Frauen, gegen Quoten und gegen das Konzept des Gender-Mainstreaming. Als Beispiel führt Meyer einen Slogan eines AfD-Wahlplakats von 2017 auf: ,,Gender-Wahn stoppen. Simple Wahrheit: Mann und Frau sind verschieden”.

Meyer beschreibt die beiden führenden Frauen der beiden Länder als ,,symbols for a new and modern version of their populistic parties”. Frauen sind in den Mittelpunkt der Politik gerückt. Beide Parteien kritisieren Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe (mit Adoptionsrechten), allerdings ist die AfD offener, was ihre Angriffe gegen den Feminismus angeht (S. 79).

Marine Le Pen thematisierte in ihrem Wahlkampf sexuelle Belästigung, häusliche Gewalt und Erfolge der Frauenrechtsbewegung, um den Schutz von Frauen gegen die ,,Invasion der Muslime” zu stellen. So sicherte sie sich mehr Wähler*innen (53% der französischen Wähler*innen sind weiblich) und festigte das Feindbild des ,,Muslim” (vgl. S. 80).

Auch in Deutschland gab es 2018 einen ,,Marsch der Frauen” in Berlin, der von der AfD organisiert wurde. Die Sicherheit der einheimischen Frauen wurde mit dem Ende von muslimischer Einwanderung verbunden. Nach den Übergriffen in Köln an Silvester 2017/18 twitterte von Storch sogar über ,,die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden” (S. 80).

Der Rahmungseffekt (,,framing-effect”) der populistischen Attacken gegen Gender, Feminismus und Erfolge der Frauenbewegungen ist besorgniserregend, da andere Parteien diese Positionen auch aufgreifen, z.B. die CSU in Bayern oder die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU (vgl. S. 79). Abschließend stellt Meyer fünf strategische Rollen von führenden Frauen vor:

  • Erstens: Führende Frauen sind Vorbilder. Sie haben eine ,,identification role”, eine Funktion zur Identifizierung, da sie die Rolle der modernen Frau darstellen: Berufstätige Mutter, Politikerin, Partnerin, Liebhaberin, Parteiführerin und Wahlkampfgewinnerin zugleich. Zudem besiegten diese selbstsicheren Frauen oft Männer, um an ihre Position zu kommen, siehe Marine Le Pen und ihr Vater (vgl. S. 80-81).
  • Zweitens: Führende Frauen haben die Position der ,,reconcilers and mediators and as softeners”. Sie müssen die harte, aggressive Politik ihrer Parteien abmildern, vermitteln und nach außen etwas abschwächen. Das traditionelle Frauenbild hilft ihnen dabei, da Frauen in der Politik oft weniger extrem wirken und damit zwischen den fremdenfeindlichen, nationalistischen Ansichten und der bürgerlich-konservativen Seite Brücken schlagen können (vgl. S. 81).
  • Drittens: Führende Frauen befeuern die Normalisierung (,,normalizing”) des Undenkbaren. Durch kalkulierte rhetorische ,,Ausrutscher” und Denunzierung verschiedener Gruppen tragen sie zur Normalisierung von nationalistischen, fremdenfeindlichen und sexistischen Ansichten in der Gesellschaft bei. Oft nutzen sie ihr ,,Frausein” um Tabubrüche zu rechtfertigen (vgl. S. 81).
  • Viertens: Führende Frauen zeigen sich gezielt als Opfer, sie begeben sich in die ,,victim-role”. Sie beschreiben ihre Partei als missverstanden und unrechtmäßig verfolgt. Besonders Frauen können dabei ihre Verletzlichkeit als Frau nutzen. Sie nutzen das Problem der Gewalt gegen Frauen und plädieren für Schutz, vor allem aber Schutz vor männlichen Immigranten (S. 81).
  • Fünftens: Führende Frauen können ihre ,,attractiveness” (Attraktivität) zum Vorteil nutzen. Ihre häufige Präsenz in den Medien dient als ,,erotisches Kapital”. Die Frau zieht in den von Männern dominierten politischen Räumen Aufmerksamkeit auf sich. Ihre Weiblichkeit kann aber innerhalb der Partei auch genutzt werden, um die vorherrschende Männlichkeit der Politik zu bestätigen (vgl. S. 82).

Zusammenfassend erklärt die Autorin, dass sowohl die AfD als auch die FN die Strategie nutzt, emanzipierte und gebildete Frauen an die Spitze zu stellen und währenddessen Anti-Emanzipation, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit durch die Partei nach außen zu tragen.

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