Dienstag, 6. Juli 2021

Ökonomische Wurzeln des Populismus

In diesem Beitrag stellt Vivien Kraft folgenden Aufsatz vor:

Petersen, Thieß (2018): Ökonomische Wurzeln des Populismus; in: Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Springer, 98 9/2018, S. 638-643, online unter: http://hdl.handle.net/10419/213678.

In diesem Artikel stellt Petersen auf der Grundlage empirischer Daten die ökonomischen Ursachen als Einflussfaktor für das Erstarken des Populismus dar, wobei er betont, dass diese zwar nicht hinreichend für die Erklärung der Entwicklung populistischer Tendenzen sind, jedoch diesbezüglich eine nicht unbedeutende Rolle einnehmen (vgl. S. 638).

Das Erstarken populistischer Parteien und Politiker ist demnach unter anderem auf die ökonomische Globalisierung und die zunehmende Technologisierung zurückzuführen, da diese, wie nachfolgend beschrieben wird, bei bestimmten Personengruppen innerhalb entwickelter westlicher Volkswirtschaften ursächlich für sowohl tatsächliche negative Beschäftigungs- und Einkommenseffekte als auch für die Angst vor potenziellen negativen Auswirkungen ist (vgl. S. 638, 643). Denn nicht zuletzt führen diese Aspekte dazu, dass „das Vertrauen in die politischen Parteien reduziert […] [und] die Haltung der von dieser Verunsicherung betroffenen Menschen gegenüber Zuwanderern negativer bzw. ablehnender“ wird. (S. 638).

Globalisierung und Preisangleichung

Durch die weltweite wirtschaftliche Verflechtung, den stetig verbesserten Austausch von Produktionsfaktoren (hier werden Arbeit, Kapital, Technologien und Wissen genannt) und die stetige Konkurrenz identischer Produkte kommt es zu einer Preisanpassung bzw. -angleichung in verschiedenen Marktsegmenten. Hierbei sei auf drei zentrale Mechanismen der Globalisierung hingewiesen, die für bestimmte Personengruppen sowohl zu einem Rückgang der Beschäftigung selbst als auch zu einer Verringerung der Lohnhöhe führen:

  • Höhere Löhne in entwickelten Volkswirtschaften ziehen Arbeitskräfte aus weniger entwickelten Volkswirtschaften an. Dies führt tendenziell zu einer weltweiten Angleichung des Lohns, also zu einem globalen Lohnsatz. Im Falle der Beschäftigten in einer entwickelten Volkswirtschaft bedeutet dies allerdings einen finanziellen Abstieg (vgl. S. 639).
  • „Der Import von Gütern aus Niedriglohnländern hat die gleichen Arbeitsmarkteffekte, denn im Zuge der internationalen Arbeitsteilung erfolgt der globale Lohnausgleich auch über eine Spezialisierung der einzelnen Volkswirtschaften auf bestimmte Produkte und den anschließenden Handel […]“ (S. 639).
  • Die internationale Kapitalmobilität führt aufgrund der geringen Kosten zum Outsourcing, was bedeutet, dass im Ausland neue Arbeitsplätze geschaffen und im Inland diese Arbeitsplätze abgebaut werden. Dieser Transfer von Kapital ist weitaus günstiger als die Arbeitskräftemobilität, was die Verhandlungsmöglichkeit der Arbeitskräfte in entwickelten Volkswirtschaften schwächt und abermals eine Lohnsenkung bewirkt (vgl. S. 639f.).

Technologischer Fortschritt

Da Unternehmen aufgrund der Globalisierung einem enormen Konkurrenzdruck unterliegen, sind sie - wenn sie auf dem Markt bestehen möchten - gezwungen, die eigenen Produktionskosten stetig zu reduzieren bzw. die Effektivität der Produktion zu erhöhen. Moderne Technologien sind ein Mittel, um in entwickelten Volkswirtschaften Arbeitskräfte einzusparen und produktiver zu arbeiten. „Hieraus resultieren für sich genommen eine Reduzierung des Beschäftigungsniveaus und ein tendenzieller Lohndruck“ (vgl. S. 640). In weniger entwickelten Volkswirtschaften sind diese Maßnahmen hingegen nicht notwendig, da hier ein Überangebot an Arbeitskräften besteht (vgl. S. 640).

Zusammenhang Ökonomie und Populismus

Diese Kombination aus Globalisierung und technologischem Fortschritt führt, wie auch die folgenden empirischen Daten zu belegen versuchen, zu negativen Einkommenseffekten in Form von Lohnsenkungen in entwickelten Volkswirtschaften oder zu einer entsprechenden Angst davor. Diese tatsächliche oder vermutete Bedrohung der eigenen (finanziellen) Lebenssituation stellt allem Anschein nach einen zentralen Treiber für das Erstarken des Populismus in den entsprechenden Ländern dar (vgl. S. 640).

Empirische Daten und Belege

In Deutschland wird der Arbeitsmarkt durch die Zuwanderung von Arbeitskräften bislang nicht signifikant negativ beeinflusst, da diesbezüglich eine Beschränkung vorliegt. Lediglich im Bereich einfacher Dienstleistungen kommt es durch die Zuwanderung zu Lohnsenkungen. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass sich in Bezug auf die genannten Prozesse „die Einkommens- und Beschäftigungschancen derjenigen, die keine oder nur eine geringe berufliche Qualifikation vorweisen können, verschlechtern“ (S. 641).

In der Branche des verarbeitenden Gewerbes sind aufgrund des vermehrten Einsatzes von Maschinen und Robotern (und damit dem Ersatz von menschlichen Arbeitskräften) und der Konkurrenz zu Niedriglohnländern relevante Beschäftigungs- und Einkommensrückgänge in entwickelten Volkswirtschaften zu verzeichnen (vgl. S. 641). Die Unzufriedenheit bzw. Verunsicherung aufgrund der (drohenden) Arbeitslosigkeit oder anderer ökonomischer Bedrohung ist eine Ursache dafür, dass sich Betroffene vermehrt „globalisierungs- und modernisierungskritischen Parteien zuwenden“ (S. 641).

„Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit geht mit einem statistisch robusten Anstieg des Stimmenanteils populistischer Parteien einher“ (S. 642) und korreliert mit einem mangelnden Vertrauen in politische Institutionen. Der Anstieg von Importen aus China in westeuropäische Staaten (darunter auch Deutschland) und die damit verbundenen nachteiligen Effekte auf die Löhne wirken sich auf deren Wahlverhalten in Form von einer Verschiebung der Stimmen hin zu nationalistischen und rechtsradikalen Parteien aus (vgl. S. 642).

„Zusammenfassend gibt es also eine umfangreiche empirische Evidenz dafür, dass negative Einkommens- und Beschäftigungseffekte, die sich in entwickelten Volkswirtschaften aus dem Handel mit Niedriglohnländern und einem verstärkten Einsatz von Kapital und Technologien für bestimmte Personengruppen ergeben, ein Nährboden für populistische Parteien und Politiker sind.“ (S. 643).

Ausblick

Zukünftig gilt es, laut Petersen, die allgemeine Akzeptanz des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems zu stärken, um die genannte Angst oder die tatsächlich stattfindende ökonomische Bedrohung von Individuen zu verringern. Hierzu schlägt er kompensatorische Maßnahmen wie die „Ausnutzung der Spezialisierungsvorteile und Produktivitätszuwächse“ (S. 643), eine „Stärkung der sozialen Sicherungssysteme, die Anpassung der Struktur- und Regionalpolitik sowie des Bildungssystems und einen Ausgleich von Einkommensungleichheiten durch das Steuer- und Transfersystem“ (S. 643) vor.

Ziel der Politik soll es sein, trotz der Globalisierung mit ihrer internationalen Arbeitsteilung, dem konkurrierenden Handel und dem technischem Fortschritt Möglichkeiten zu errichten, das Wohlbefinden und das Vertrauen der Individuen in die Parteien zu stärken und dem (Rechts-)Populismus somit den Nährboden zu entziehen (vgl. S. 643).

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