Dienstag, 27. Juli 2021

Chronologie: Goldene Morgenröte (XA)

Dies ist ein Hintergrundtext von Panagiota Varvitsioti zu folgendem Eintrag in der Chronologie:

2012: XA zieht zum ersten Mal in das griechische Parlament ein

Die „Chrysi Avgi“ (Goldene Morgenröte) ist eine rechtsextreme Organisation, die seit Dezember 1980 zuerst als Zeitschrift und ab 1993 auch als Partei bestand. Im Jahr 2012 gelang es ihr, mit einem Prozentsatz von 6,97% als sechststärkste Kraft in einer außerordentlich fragmentierten politischen Landschaft in das griechische Parlament einzuziehen.

Im Jahr 2015 erreichte ihr Aufstieg seinen vorläufigen Höhepunkt, als die „Chrysi Avgi“ zur drittgrößten Partei im Parlament aufstieg. In den folgenden Jahren begann ihre Macht schleichend zu schwinden: Dem Scheitern der Partei bei den Parlamentswahlen von 2019 folgte die Verurteilung der „Chrysi Avgi“ als einziger Fall in der europäischen Nachkriegsgeschichte und deren Einstufung als kriminelle Organisation.

In den Vordergrund der Politikwissenschaft bezüglich der „Chrysi Avgi“ rückt die Kernfrage, ob sie tiefe Wurzeln in der griechischen Gesellschaft hat. Damit man sich dieser Kernfrage nähert, muss man sich zuerst mit den Gründen des Auf- und Abstiegs dieser politischen Gruppierung und ihrer Entwicklung von einer geschlossenen rechtsextremen Diskussionsgruppe um die gleichnamige Zeitschrift zu einer Partei mit militärischer Struktur auseinandersetzen. Dabei müssen die chamäleonhaften Reaktionen auf die politischen und sozialen bzw. wirtschaftlichen Umstände in Griechenland im Zeitraum zwischen 1990 und 2020 berücksichtigt werden, worin sich die Komplexität des Phänomens „Chrysi Avgi“ bzw. Rechtsextremismus und Neofaschismus spiegelt.

So hat der Parteichef Nickos Michaloliakos nach dem jugoslawischen Staatszerfall und dem daraus entstandenen Konflikt um den Namen „Mazedonien“ zwischen Griechenland und der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien Anfang der 90er die um diese Zeit in Griechenland herrschende "Hysterie um den Namen Mazedonien", der besonders sinnstiftend für die griechische Identität ist, ausgenutzt und die Fassade des Patrioten und guten Christen gebildet.

Bei einer Massenkundgebung in Thessaloniki und Athen im Jahr 1992, wo Tausende von Menschen mit der Parole "Mazedonien ist griechisch" gegen die Umbenennung des Nachbarlandes demonstrierten, trat die Partei erstmals öffentlich auf: Mit einer aggressiven Rhetorik gegen die „Verräter des Landes“ bzw. die gewählten Parlamentarier versuchte Michaloliakos, sein eigenes Bild in der griechischen Öffentlichkeit zu verbreiten. Allerdings scheiterte seine Partei bei den Wahlen 1993 und 1996 mit unter einem Prozent Stimmanteil.

Im Jahr 2010 hat Griechenland unter der Bedrohung des Staatsbankrotts Hilfe beantragt und schlüpfte unter den Euro-Rettungsschirm. Die Länder der Eurozone beschlossen, Griechenland zu niedrigen Zinssätzen Geld zu leihen, unter der Bedingung, dass tiefgreifende strukturelle Reformen stattfinden, damit das Land wettbewerbsfähig wird. Diese Reformen enthalten flexible Arbeitsverhältnisse, Einstellungsstopp, Entlassungen, Privatisierungen von staatlichen Unternehmen (z.B. Staatliche Lotterie, Flughäfen) und sogar die Hypothek eines Teils des griechischen Staatsvermögens.

„Chrysi Avgi“ profitierte von den Bedürfnissen der verzweifelten Bevölkerung und inszenierte sich als die einzige Partei, die sich um sie kümmert und das griechische Volk vom Absterben schützen könne. In den wirtschaftlich und – aufgrund der hohen Kriminalität – sozial degradierten Stadtteilen Athens demonstrierten die Mitglieder der Partei mit griechischen Flaggen in der Hand gegen die Euro-Rettungspolitik. Sie halfen den Rentnern, bei den Geldautomaten Geld abzuheben oder einkaufen zu gehen. Diese Unterstützung wird nur Menschen angeboten, die ihren griechischen Pass zeigten.

Der erste Wahlerfolg kam 2010 bei den Kommunalwahlen. Nikos Michaloliakos wurde mit 5,3 Prozent in den Gemeinderat von Athen gewählt. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch die Medien, durch die die Positionen und das Handeln der „Chrysi Avgi“ – bis dahin eine Randorganisation – Aufmerksamkeit erlangen konnte. Bei den Doppelwahlen 2012 stieg der Stimmenanteil deutlich und die Partei zog erstmals in ein Parlament ein.

Sie verschärfte nun unter einem parlamentarischen „Mantel“ ihre Hassrhetorik und Hassaktionen, die immer gewalttätiger wurden: Von vielfachen Überfällen anonymer Banden auf Migranten oder Mitglieder linker Parteien (12. September 2013) zu der Ermordung des linken Hip-Hop Musikers Pavlos Physsas (18. September 2013) provozierten sie öffentliche und scharf geäußerte Kritik. Sieben Jahre danach ist der Parteivorsitzende mit der gesamten Führungsspitze zu 13 Jahren Haft verurteilt. Es konnte die direkte Verbindung zu Parteimitgliedern nachgewiesen werden.

Literatur

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