Montag, 12. Juli 2021

Rechtspopulismus, Resonanz, Demokratie und Kita

In diesem Beitrag stellt Mara Riedel folgenden Aufsatz vor:

Telkmann Daniel (2021): Die Kita als Zankapfel. Hartmut Rosas Resonanztheorie als Orientierung für eine frühkindliche Demokratiebildung; in: Lynen von Berg, Heinz (Hrsg.): Rechtspopulismus - eine Herausforderung für Demokratie und Soziale Arbeit?, Bremer Schriften zur Sozialen Arbeit Bd. 2, Hochschule Bremen, S. 45-48, online unter: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/72519.

Telkmann beginnt seinen Beitrag mit einer kurzen Einleitung zum Thema, „wie man Demokratiebildung im Vorschulalter einsetzen kann (…), um dem Rechtspopulismus präventiv zu begegnen bzw. demokratische Verfahren und Entscheidungsprozesse zu etablieren“ (S. 44). Der Autor geht danach mit einigen Beispielen näher auf rechtspopulistische Erscheinungsformen im Alltag ein. In seinem Beitrag betrachtet er außerdem die Resonanztheorie von Hartmut Rosa. Als letzten Punkt stellt Telkmann eine Studie von Sturzenhecker vor.

Rechtspopulistische Erscheinungsformen

Seinen Beitrag beginnt Telkmann mit dem Beispiel eines Beschlusses einer Leipziger Kindertageseinrichtung, die seit 2019 kein Schweinefleisch anbietet, damit alle Kinder gemeinsam, ohne Einschränkungen der Religion, dieselben Speisen einnehmen können. Diese Entscheidung löste jedoch einen großen medialen Diskurs aus. Der Kindertageseinrichtung wurde von den Medien unterstellt, die deutschen Traditionen dabei in den Hintergrund zu stellen. Die Akteure dieses „Schweinefleischverbannens“ wurden hierbei, als „überengagierte (…) Bessermenschen“ (S. 44) dargestellt. Außerdem würden nicht alle Muslime diese Entscheidung befürworten.

Aber nicht nur die Medien äußerten sich zu diesem Vorfall, sondern auch die Politik, nämlich die Bundesernährungsministerin. Die Entscheidung, das Schweinefleisch nicht mehr anzubieten, stelle demnach keinen Schritt dar, welche das Zusammenleben zwischen mehreren Religionen erleichtert, sondern wird eher als „Kollektivstrafe“ (S. 44) beschrieben.

Der Schritt in eine verbundenere Welt der Religionen wurde auch von verschiedenen Bürgern thematisiert und einige (rechtspopulistisch orientierte) Bürger:innen setzten sich mit der Kindertageseinrichtung in Verbindung. Auch in einem Interview mit der ZEIT bestätigte die Stadtverwaltung, dass nicht nur verschiedene Nachrichten die Einrichtung erreicht haben, sondern auch, dass Meinungsäußerung in Form von direkten Besuchen stattgefunden haben. Es wurde sogar gedroht, dass die Kita niedergebrannt werde, wenn der Konsum von Schweinefleisch eingestellt bleibe. Das Wohl der Kinder bleibt außen vor und die Bedrohung könnte zu weiteren Nachteilen für alle führen.

Im weiteren Verlauf stellt Telkmann ein anderes Beispiel für eine rechtspopulistische Äußerung vor. Der Themenspielplatz in Berlin-Neukölln „mit (einer) orientalischen Burg“ und dem an dieser angebrachten Halbmond wurde hierbei zum Auslöser des Diskurses. Doch meldeten sich zu diesem Vorfall nicht nur Medien und Bürger:innen, sondern auch PEGIDA. Die Forderung der Gegner lautete, diesen Spielplatz mit einem "islamistischen Symbol" zu vernichten.

Sozialwissenschaftliche Annäherung an den Rechtspopulismus

Telkmann geht nun näher auf den Sozialwissenschaftler Hartmut Rosa ein. Anhand von Rosa werden einige Teile der Kernaspekte des Rechtspopulismus deutlich. Zum einen geht er näher auf die Überfremdung und zum anderen auf den Heimatverlust ein. Um das eigene Land zu schützen und so zu wahren, wie es derzeit ist, sollte „alles Unerwünschte und Unkontrollierbare (auf Abstand gehalten) und zum Schweigen gebracht werden“ (S. 45). Alles in allem soll Komplexität vermieden werden. Wenn etwas Unerwünschtes auftritt, wie in den vorangegangenen Beispielen, soll dagegen angegangen werden.

Telkmann geht nicht nur auf Rosa, sondern auch auf Andreas Reckwitz ein und verweist hierbei auf „eine besondere (singuläre) Spielart des Kulturessenzialismus“ (S. 45). Nach seiner Auffassung ist es entscheidend, eine Sichtweise mit eindeutigen Abgrenzungen zu erlangen. Auf der einen Seite stehen die „Eigenen“ und auf der anderen Seite die „Anderen“, ein Feindbild gegen die „kosmopolitische Elite und die Migrantinnen und Migranten“ (S. 45). Der Rechtspopulismus wird zu einer Störung des Kulturessenzialismus und bildet diese extreme Abgrenzung in zwei Gruppen. Die vorangegangenen Beispiele rufen einen Schutzinstinkt hervor.

„(Die) Resonanzkrise bzw. eine(n) Modus der Entfremdung“ macht für Rosa deutlich, dass die „demokratische Ordnung, die einen (Meinungs-)Pluralismus voraussetzt, in einer Krise steckt“ (S. 45). Der Begriff der Resonanz stellt einen Gegensatz zur Entfremdung dar und beschreibt eine Beziehung zwischen mehreren Objekten. Bei Rosa verkörpert die Resonanz eine Beziehung zwischen der Person und der Welt, die Resonanz kann bei jedem Subjekt anders ausfallen.

Demnach entspringt die demokratische Krise den Subjekten, welche sich nicht als Teil der Resonanz sehen. Hierbei tritt der Gedanke der Ignoranz von Politiker:innen gegenüber den Subjekten in den Mittelpunkt. Das Interesse der beiden Instanzen scheint sich laut den Rechtspopulisten nicht zu überschneiden und die Politik handelt egoistisch. Folglich sehen die Rechtspopulisten Korruption in der Politik. Beide Seiten, also Bürger:innen und Politiker: innen, stehen in Bezug zueinander und haben daher auch beeinflussende oder manipulative Wirkungen.

Je mehr sich ein Mensch von seiner Umwelt entfremdet fühlt, desto radikalere Ansichten entwickelt er und hat das Bedürfnis, sich selbst zu beschützen und von anderen abzuwenden. Auch Cornelia Koppetsch hat sich mit dem Thema der Konfliktdynamik in Bezug auf Geflüchtete und deren Ausgrenzung beschäftigt. Nach ihrem Verständnis entsteht eine Spannung in der Gesellschaft nicht von innen heraus, sondern von außen, welche sich wiederum zu etablieren versucht. Dieses äußere Feindbild führt indirekt bei den Rechtspopulisten zu einem starken Gemeinschaftsgefühl. Durch die drohende Entfremdung wird eine Gemeinschaft geschaffen.

Telkmann unterstützt die vorangegangenen Thesen mit einer Studie der R+V Versicherung. Die Umfrage widmete sich Ängsten der Befragten im Jahr 2019. In diesem Jahr wurde sehr viele Geflüchtete in Deutschland aufgenommen, und dies führt zu der Angst, dass der Staat mit dieser Zahl an Geflüchteten überfordert sein könnte. Eine weitere Angst behandelt den sozialen Frieden und ob dieser aufgrund des hohen Zuwachses noch gewährleistet werden kann.

Nach Rosa kann verstanden werden, dass man die Welt zum Schweigen bringen wolle, indem man beginne, sich vom Rest abzuspalten. Diese Abspaltung oder Entfremdung kann sich in Form einer Mauer äußern. Nach den aufgeführten Ergebnissen kommt Telkmann zu dem Entschluss, dass das rechtspopulistische Vorgehen nicht für das Überwinden der demokratischen Krise verwendet werden solle. Eine Resonanzbeziehung kann nicht gebildet werden, da keine Einheit entstehen kann.

Demokratiebildung im resonanztheoretischen Sinne

Im Folgenden behandelt Telkmann, wie Demokratiebildung aussehen könne. Nach Sturzenhecker soll man Demokratie als Lebensform und nicht nur als Regierungsform sehen. Hierfür hat er auch ein Projekt gestartet: „Demokratiebildung in Kindertageseinrichtungen“ (S. 46). Sturzenhecker zeigt, dass es bei der Demokratie um mehr geht als nur „das bloße Ausüben eines Wahlrechtes“ (S. 47). Anhand eines Beispiels veranschaulicht er, dass auch schon Kinder diesen Gedanken der Demokratie erlangen können. Die Kinder trafen eigene Entscheidungen, welche aber an ein Machtverhältnis angepasst seien.

Die Studie begann damit, dass die Kinder vor ein Problem gestellt werden, für das es noch keinen erarbeiten Lösungsansatz gibt und sich diesen selbständig erarbeiten müssen. Vorgegangen wird folgendermaßen: eine Abstimmung und eine Mehrheitsentscheidung führen zu einer Debatte und diese mündet in einer Kompromisslösung. Die Studie zeigt auf, dass Demokratie als Lebensform verstanden werden kann, denn die Entscheidungen hängen immer auch von geteilten Erfahrungen im Alltag ab. 

Resümee und Schlussfolgerungen

Das Interesse an Demokratie kann durch aktive Sozialarbeit schon bei den Kindern im frühen Alter geweckt werden und somit dem Rechtspopulismus entgegenwirken. „Die Soziale Arbeit ist demzufolge aufgefordert, Räume zu schaffen, Begegnung zu ermöglichen und Aushandlungsprozesse zu arrangieren.“ (S.48). Nach der Resonanztheorie von Rosa müssen sich die Bürger:innen ihre Meinung selbst erschließen, da diese nicht vorgegeben werden kann. Die Idee der Demokratiepädagogik ist nicht neu, kann aber in die Sozialarbeit eingebunden werden und sich dabei an Rosas Theorie orientieren.

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