Mittwoch, 7. Juli 2021

Rechtspopulismus und Genderdebatten in Deutschland

In diesem Beitrag stellt Cara Kohler folgenden Aufsatz vor:

Dombrowski, Viola / Hajek, Katharina (2021): Zwischen Femonationalismus und Antigenderismus. Rechtspopulistische Geschlechterpolitiken in Deutschland; in: Henninger, Annette u.a. (Hrsg.): Mobilisierungen gegen Feminismus und ‚Gender‘. Erscheinungsformen, Erklärungsversuche und Gegenstrategien, Verlag Barbara Budrich, S. 42-58, online unter: https://www.jstor.org/stable/pdf/j.ctv1pzk2gk.5.pdf.

Der Text befasst sich mit rechtspopulistischen Geschlechterpolitiken aufgrund zweier Beispiele, die von den Autorinnen als die wichtigsten Mobilisierungsmomente der erstarkenden Rechten in Deutschland in den letzten Jahren beschreiben werden. Diskutiert wird das rechts-konservative Aktionsbündnis „Demo für Alle“ sowie die rassistisch-geprägte Kampagne rechter Akteur:Innen als Reaktion auf die Vorfälle der Silvesternacht 2015 in Köln.

Obwohl beide Aktionen der Fokus auf Sexualität und Geschlechter verbindet, scheinen sie auf den ersten Blick wenig gemeinsam zu haben. Die Kampagne zur Silvesternacht scheint fast feministisch motiviert, ist definiert von der Angst vor „den Fremden“ und fordert den Schutz der Frauen. Dahingegen äußert das Bündnis „Demo für Alle“ die Angst vor der Zerstörung des heteronormativen und konservativen Familienbilds und damit die Gefährdung der natürlichen Reproduktion der Gesellschaft. Diese Widersprüchlichkeit, die - nebenbei bemerkt - oftmals ein Merkmal von rechtspopulistischen Vertreter:innen ist, wird in dem Text in drei Dimensionen diskutiert:

  • Problemdiagnose,
  • Selbst- und Fremdpositionierung und
  • Geschlechterpolitiken.

Nach einer Einführung befassen sich Dombrowski und Hajek zuerst mit dem Aktionsbündnis „Demo für Alle“. Hierbei handelte es sich zuerst nur um die Sorgen mancher Eltern vor einer bevorstehenden Reform der Bildungspläne, in welche die Thematik „sexuelle Vielfältigkeit“ verankert werden sollte. Schnell wird aber klar, was unter die Dimension der Problemdiagnose fällt, dass nicht nur die Vielfalt, sondern viel mehr die Thematiken Gender und Gendermainstreaming in den Blick der rechtspopulistischen Vertreter:Innen gerät.

Dies sei unnatürlich, löse die binäre Geschlechteridentität und heterosexuelle Ordnung auf und bringe einen Bedeutungsverlust der traditionellen Familie mit sich. Die befürchteten Auswirkungen auf Kinder, bezeichnet als "Frühsexualisierung", rücken immer mehr in der Hintergrund, während zwei andere zentrale Problemdiagnosen immer mehr in den Vordergrund gelangen.

Die erste Problemdiagnose ist der Verlust des elterlichen Erziehungsrechts. Laut Artikel 6 des Grundgesetzes ist „Werte- und Geschlechtererziehung“ Aufgabe und Zuständigkeit der leiblichen Eltern und die Akteur:Innen sehen sich dieses Rechts beraubt. Der Staat wird hierbei als totalitär dargestellt, es fallen Begriffe wie “Diktatur der Gleichschaltung“ und „Meinungsdiktatur“. Es entsteht ein Dualismus mit dem Bild des Volkes (Akteur:Innen des Aktionsbündnisses) auf der einen und der "diktatorisch" orientierten Elite auf der anderen Seite.

Die zweite Problemdiagnose umfasst die Annahme, dass das Thematisieren von Geschlechteridentitäten im Schulkontext grundsätzlich Identitäten zerstöre. Das Behandeln der „sexuellen Vielfalt“ im Unterricht verunsichere - und wer verunsichert ist, kann leichter vom totalitären Staat geführt werden, was zu einer „Mitläufergesellschaft“ führe. Diese bedroht das heteronormative Gesellschaftsbild der Rechtspopulist:Innen.

Das Geschlechterbild ist geprägt von einem deutlichen Männer- und Frauenbild mit ihren jeweiligen, "naturgegebenen" Zuständigkeiten. Nur diese Zuständigkeiten können die biologische und soziale Zukunftsfähigkeit erhalten. Die Akteur:Innen sehen also den Fortbestand der Gesellschaft als Ganzes als gefährdet.

Die Problemdiagnose des Aktionsbündnisses „Demo für Alle“ geht damit weit über die bildungspolitischen Fragen, um die es zunächst zu gehen schien, hinaus. Der Handlungsbedarf gegen diese Problematik ist in den Reden und Äußerungen allerdings nur sehr vage bis gar nicht formuliert, lediglich, dass die Bildungsplanreform unbedingt abzuwenden sei.

In der Bewegung erfolgt die Selbstpositionierung der Akteur:Innen auf zwei Arten. Ersten als die „normale Mehrheit“, die sich gegen die Interessen einer Minderheit wehren muss, und zweitens in Form einer Inszenierung als die eigentlich toleranten Akteuer:Innen. Letzteres wird mit dem, wenn auch kleinen, Anteil an muslimischen und orthodoxen Vertreter:Innen und Aussagen wie der von Gabriele Kuby, sie würde sofort mit jeder Transperson ins Wirtshaus gehen, begründet.

Im Hinblick auf die Geschlechterpolitiken ist festzuhalten, dass Geschlechteridentität bei der Bewegung „Demo für Alle“ als unveränderlich, natürlich und komplementär verstanden wird. Das natürliche Familienbild ist das der heterosexuellen, biologischen Kleinfamilie. Alles andere, wie Patchworkfamilien oder gleichgeschlechtliche Lebensformen, sind „Zerfallsformen“. Die Änderungen im Bildungsplan würden eine "Hypersexualisierung" mit sich bringen, was wiederum die Kinder und deren Wohl gefährde.

Die Wichtigkeit der heteronormativen Geschlechteridentität zeigt sich auch darin, dass die Demonstrierenden nicht als staatsbürgerliche Subjekte, sondern als binär vergeschlechtlichte und familiär-reproduktive Subjekte angesprochen werden. Väter werden dazu aufgerufen, den Schutz der Familie nach Außen zu übernehmen, und Mütter, zuhause zu bleiben und der Kindererziehung nachzugehen. Vertreter:innen des Bündnisses sprechen sich zwar positiv hinsichtlich einer Gleichberechtigung der zwei Geschlechter aus, allerdings soll hierbei die Basis der fixiert-binären Geschlechteridentitäten nicht verlassen werden.

Damit kommen wir zum zweiten Beispiel. In der Nacht vom 31.12.2015 auf den 01.01.2016 kam es auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln zu sexuellen Übergriffen auf mehrere hundert Frauen. Die kurzzeitig vorherrschende Unklarheit über die genauen Geschehnisse sowie vorangegangene Debatten, wie die „Flüchtlings- oder Kopftuchdebatte“, befeuerten schnell eine neue Debatte zur Silvesternacht von Seiten rechtspopulistischer Diskurskoalitionen, in deren Zentrum auch die AfD stand.

Zunächst wird die Problemdiagnose in diesem Beispiel betrachtet. Unzählige „ausländische Männer“ und „arabische Sexgangster“ hätten sich an „unseren deutschen“ Frauen vergangen. Es wird von Seiten der Vertreter:Innen der rassistischen Gegenbewegung kritisiert, dass die Reaktionen der Politik, Medien, Strafverfolgungsbehörden und Feminist:Innen nicht adäquat gewesen seien. Sie sehen in der Unfähigkeit der Regierung, etwas gegen die „Fremden“ zu unternehmen, eine allgegenwärtige Unsicherheit für „unsere Frauen und Töchter“ und einen allgemeinen Verlust des Sicherheitsgefühls im „eigenen Land“.

Der Handlungsbedarf wird als sehr dringend angesehen. Dieser ist eng mit einer Fremd- und Selbstpositionierung entlang zweier Achsen verknüpft. Erstens die Abgrenzung zu den „fremden Anderen“ und zweitens zu „den Eliten“ im Sinne eines anti-institutionellen Populismus sowie zu den Feministinnen als „linke Deutungselite“. Dieser „Elite“ wird die Verantwortung zugeschrieben, auch ganz gezielt Einzelpersonen wie Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Fremdpositionierung erfolgt hier also als direkt verantwortlich, aber handlungsunfähig, begründet zum Beispiel mit der „laxen Migrationspolitik“. Linke Parteien werden beschuldigt, sich nicht mit genug Dringlichkeit um dieses „Migrations“-Problem zu kümmern, sondern unwichtigere Sachverhalte zu bevorzugen. In Abgrenzung zu dieser „Elite“ entwickelt sich eine Selbstpositionierung als kompetente, handlungsfähige Akteure.

Die „fremden Anderen“ werden ,ganz im Gegensatz zu den politischen, namentlich genannten Persönlichkeiten der „Elite“, als gesichtlose Bedrohung gesehen. Sie werden stilisiert zu Naturkatastrophen und Tieren, „Wellen“ und „Rudel, die Jagd“ auf „die deutschen Frauen“ machen. Die Verantwortungsfrage spielt hier keine so große Rolle, die „Anderen“ müssen nicht handeln, gegen sie muss gehandelt werden. Die rechtspopulistischen Vertreter:Innen positionieren sich hier als vernünftige, zivilisierte Bürger:Innen, denen Frauenrechte ein großes Anliegen sind, abseits von rassistischen Einstellungen.

Aus dieser Gegenüberstellung von Elite und Volk entstehen zwei zentrale Selbstpositionierungen. Zum einen die subjektive Wahrnehmung als kompetente Vertreter:Innen des Volkes, die sich den Belangen des „wahren Volkes“ annehmen und zu politischen Handlungen befähigt seien. Damit verbunden ist die vergeschlechtlichte Subjektposition, vor allem der Männer, als Beschützer „unserer Frauen und Töchter“. Beide Selbstpositionierungen beinhalten ein Zuschreiben von Handlungsfähigkeit und definieren eine Selbstermächtigung gegenüber der untätigen „Elite“.

Kommen wir nun zum Diskurs der Geschlechterpolitiken in Bezug auf die Silvesterdebatte. Hier besteht der Konsens, dass Frauenrechte, wenn auch nur begrenzt, verankert sind, genauso wie die Gleichberechtigung der Geschlechter. Frauen müssen also in Abgrenzung zu den „fremden“, und häufig muslimischen, Männern beschützt werden.

Nachdem das Aktionsbündnis „Demo für Alle“ und die Bewegung um die Silvesternacht 2015 nun in verschiedenen Dimensionen analysiert wurden, werden die Ergebnisse im Text zusammengetragen und beobachtet, welche Zusammenhänge trotz der teilweisen Widersprüchlichkeit bestehen. Dies geschieht entlang der drei Aspekte Problemdiagnose, Handlungsbedarf und Geschlechterpolitiken.

Die Problemdiagnose betreffend lässt sich sagen, dass beide Diskursfragmente von einem umfassenden und grundlegenden Bedrohungsszenario der Auflösung von Gesellschaft und der Gefährdung materieller und kultureller Reproduktion geprägt sind. Im Zuge der Silvesterdebatte wird dies mithilfe eines so bezeichneten „Asylchaos“ illustriert, verbunden damit die Angst vor Verlust der staatlichen Souveränität und der kulturellen Identität des „Deutsch-seins“.

Dies wird beispielsweise geäußert durch die Beschwörung der Abschaffung der Grund- und Frauenrechte oder kultureller Aktivitäten, wie des deutschen Karnevals. Das Aktionsbündnis „Demo für Alle“ äußert dieses Bedrohungsszenario in Form der Angst vor der Zerstörung der komplementären, natürlichen Zweigeschlechtlichkeit und der heteronormativen Familien. In beiden Debatten steht die generative Reproduktion und die intelligible Identität auf dem Spiel.

Gemeinsam haben sie zudem, dass in beiden Diskursen die Sexualität und Geschlechtlichkeit eine zentrale Rolle spielen. Einerseits stellen sie einen Garanten für die gesellschaftliche und kulturelle Stabilität dar, andererseits bilden sie aber auch Einfallstore für die Gefährdung der Destabilisierung. In der Silvesterdebatte ist es die Sexualität und körperliche Integrität „deutscher Frauen“ die als gefährdet gesehen wird, und in der Bewegung „Demo für Alle“ die der Kinder. 

Interessant zu beobachten ist auch die Zuschreibung von Verantwortung. Diese geschieht niemals gegenüber den „gefährlichen Gruppen“, also den Homosexuellen oder Fremden, sondern über eine Logik der populistischen Dichotomisierung der „Eliten“. Es entsteht in beiden Kampagnen eine Gegenüberstellung vom einfachen Volk versus Eliten in Form von Politiker:Innen und Feminist:Innen, die die Gesellschaft unterwandern würden. Die Polizei aber wird im Gegensatz zu diesen durchgehend als positiv und ideologiefrei dargestellt.

Widmen wir uns nun der zweiten Dimension, dem Handlungsbedarf. Beide Aktionen fordern zum Schutz auf. Schutz der „deutschen Frauen und Töchter“ vor Übergriffen „nicht-deutscher Männer“ einerseits und der Kinder andererseits. Beide fordern auch einen Schutz von Freiheiten. Im Diskurs der Silvesterdebatte besteht dies in Form der Freiheit des Auslebens der kulturellen Identität, wohingegen sie bei der „Demo für Alle“-Bewegung darin besteht, seine „natürliche“ Geschlechteridentität entgegen der totalitären staatlichen Indoktrination ausleben zu können.

Als letzte Dimension gehen die Autor:Innen auf die Geschlechterpolitiken ein. In beiden Diskursen wird auf die vermeintlich erreichte Gleichberechtigung der Geschlechter in Deutschland positiv Bezug genommen. Diese soll auch erhalten bleiben, weiterer Fortschritt wird eher abgelehnt. Genauso auf Ablehnung stößt eine Politik, die komplementäre Geschlechterverhältnisse infragestellt sowie "Genderismus" generell.

Auch die vergeschlechtlichte Subjektivität steht in beiden Diskursen im Fokus. Die Rolle des Mannes wird in der Silvesterdebatte dadurch definiert, als männlicher „deutscher“ Beschützer „unsere deutschen Frauen und Töchter“ zu schützen, und bei der „Demo für Alle“ als Vaterfigur eine Schutzrolle in der heteronormativen Familie zu besetzen. Das Frauenbild ist eine Mischung aus der fürsorglichen Mutter und der emanzipierten, feministischen Frau. Hier wird die traditionelle Mütterlichkeit mit Wehrhaftigkeit und Handlungsfähigkeit verbunden.

Den Autor:Innen war es wichtig, einen Blick auf die Bandbreite der Geschlechterpolitiken zu werfen. Die darin konstruierten Geschlechterrollen und -identitäten wirken ordnend, den Individuen werden verschiedene Positionen, Ressourcen und Zuständigkeiten zugewiesen sowie ein Selbstbild und Beziehungsweisen illustriert. In den beiden Diskursfragmenten stellt dies die Bedrohung der „Abstammungs- und Reproduktionsgemeinschaft“ dar.

Die Autor:Innen begründen den Erfolg der Programmatiken in dem „neuen“ Frauenbild. Die neue weibliche Subjektivität als wehrhafte Mutter, also eine Mischung aus dem traditionellen Bild der Frau als Mutter mit der Zuständigkeit der Kindererziehung und sehr viel emanzipierteren Charakteristiken, ist für bestimmte Frauen ein attraktives Identifikationsangebot. Zudem weisen die Verfasser:Innen des Textes darauf hin, dass Geschlechterpolitiken immer auch Gesellschaftspolitiken sind und inwiefern die zwei im Beitrag diskutierten Krisendiagnosen an anderen Prekarisierungserfahrungen anschließen können.

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