Donnerstag, 22. Juli 2021

Rechtspopulismus und politische Bildung

In diesem Beitrag stellt Andrea Oelsner-Petz folgenden Aufsatz vor:

Besand, Anja (2017): Nach Pegida - Rechtspopulismus als Herausforderung für die politische Bildung; in: Bürger & Staat Heft 1/2017, online unter: https://www.buergerundstaat.de/1_17/rechtspopulismus.pdf.

Als Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der Technischen Universität in Dresden stützt Besand ihre Schlussfolgerungen auf drei Beobachtungen in ihrem Arbeitsfeld. Die allgemeine Studienlage zeigt wertvolle Erkenntnisse zu Pegida selbst, deren Zusammensetzung, Organisationsstruktur und ebenso deren Mobilisierungspotentiale. Auch die politischen Vorstellungen der Teilnehmer*innen von Demonstrationen wie Pegida sind weitestgehend klar. Jedoch gibt es nur sehr wenig empirische Daten darüber, was denn nun im konkreten Praxisbezug ein angemessenes Bildungsangebot im Umgang mit Rechtspopulismus ausmacht. (vgl. S. 65) Und genau dieser Fragestellung widmet sich der Aufsatz.

Nun fokussiert sich alles darauf, wie eine professionelle Reaktion der Institutionen und Akteure politischer Bildung auf rechtspopulistische Erscheinungsformen aussehen könnte. (vgl. S. 63) Die erste Beobachtung der Autorin ist, dass die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung den Dialog mit Pegida-Anhängern suchte. Damit entschied sich die Landeszentrale für eine eher zugewandte Strategie. Die Sympathisanten der Pegida-Bewegung wurden auf diese Weise in den Mittelpunkt gestellt, und es wurde der Versuch unternommen, unerwünschtes Verhalten oder Einstellungen zu therapieren.

Dies verstärkte aber eher die Wortgewalt der Rechtspopulisten, während bspw. Geflüchtete gar nicht gehört worden sind. Der Graben zwischen liberal-demokratischem und rechtspopulistischem Lager wurde so eher noch tiefer, stellt Besand heraus. Eine weitere Beobachtung ist, dass Lehrer*innen in Sachsen aufgrund einer Fehlinterpretation des Beutelsbacher Konsenses Pegida und Rechtspopulismus im Unterricht nur sehr selten thematisierten. Auch aus Angst vor emotionalisierten Debatten.

Die letzte Beobachtung schließt sich hier eng an. Lehramtsstudent*innen zeigten Ängste, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, weil dies wiederum zu emotionalen Reaktionen im Unterrichtsgeschehen führen könnte. (vgl. S. 66) Um nun die Beobachtungen einordnen zu können, muss zunächst ein Überblick über mögliche Strategien und Reaktionen gegeben werden. So nennt die Autorin drei Reaktionsmuster im Umgang mit Rechtspopulismus.

Die zugewandte Strategie, welche zumeist mit einer therapeutischen Zuwendung gleichzusetzten ist. Die nüchterne Strategie, in der eine sachlich-rationale Aufklärung im Sinne von Wissensvermittlung erfolgen soll, und die konflikt- wie auch debattenorientierte, agonale Strategie. (vgl. S. 65) All diese Gegenmaßnahmen werden bspw. in Sachsen bereits zum Teil in einer Mischform verfolgt. Daher kommt Besand in ihrer Analyse zu folgenden vier Erkenntnissen:

Erstens muss politische Bildung an alle Menschen adressiert werden und selbst pluralistischer werden, da sonst wichtige Teile der Gesellschaft ungehört bleiben und ausgegrenzt werden. Dies schließt das gesamte politische Spektrum Andersdenkender mit ein. Denn politischer Bildung muss es darum gehen, diverser zu werden. Angebote dürfen nicht nur an einer Konfliktpartei ausgerichtet sein. Die zugewandte Strategie erklärt sie anhand ihrer Beobachtungen für gescheitert und wenig effektiv.

Zweitens: Auch wenn der Beutelsbacher Konsens Lehrer*innen vor parteinehmenden Angeboten und der Überwältigung der Bildungsteilnehmer*innen im Unterricht warnt, stellt dieser eine zentrale professionelle Grundlage politischer Bildung dar und macht klar, dass Kontroversen der Mittelpunkt von Bildungsprozessen sein müssen.

Drittens stellt sie fest, dass Emotionen und Gefühle aus politischen Bildungsprozessen nicht herauszuhalten sind. Häufig sind politische und öffentliche Debatten gekennzeichnet durch eine reine Sachorientiertheit und Rationalität, welche Emotionen und Gefühle gern ausgrenzen. Außerdem werden diese als irrational und unangemessen etikettiert. Die Stigmatisierung führt zur Tabuisierung im Diskurs. Nun sollte aber doch das Gegenteil der Fall sein. Denn Gefühle ermöglichen kognitive Prozesse erst.

Gefühle sind die Grundlage für Bildung und haben damit eine kognitive Funktion. Deshalb sind sie auch als Ausgangspunkt von Erkenntnissen zu betrachten und zuförderst ernst zu nehmen. Sonst bleiben Wutbürger in rechtspopulistischen Analysen eben nur irrationale Wutbürger. Aber: Es braucht eine rationale Betrachtung von Emotionen und keinen Missbrauch durch Überemotionalisierung! Die Emotionen im politischen Kontext müssen systematisch rational betrachtet werden, da sie Ausgangspunkt der Erschließung von individueller und gesellschaftlicher Weltbetrachtung sind und diese überhaupt erst strukturieren.

Der feine Unterschied im didaktischen Umgang mit den unterschiedlichsten Gruppen und politisch radikalen Strömungen scheint etwas klarer geworden zu sein. Werden Gefühle (z.B. Ängste der Bürger) ausgeblendet, wächst der Nährboden für rechtspopulistische, überemotionalisierende Rhetorik und demnach für deren Ansichten, Sympathien und letztlich deren Akzeptanz. (vgl. S. 63). Die vierte Erkenntnis und auch das Fazit des Beitrags lautet:

„Gegen die Schwächen der politischen Bildung (in Sachsen)“ (S. 69) aber auch anderswo, „hilft nur mehr politische Bildung: Eine politische Bildung für alle Menschen mit der Bereitschaft für leidenschaftliche Kontroversen und keiner Angst vor Emotionen“. (S. 69)

Es braucht eine Klärung von Verantwortlichkeiten innerhalb der Bildungsträger. Außerdem wird eine kritische Reflexion rein faktenorientierter Vermittlung politischer Inhalte notwendig. Des Weiteren sollte eine Festlegung der Rahmenbedingungen zur kontroversen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen erarbeitet werden. Diese Diskurskultur muss aber, um erfolgreich zu sein, nicht nur auf der Ebene politischer Bildung umgesetzt werden, sondern auf allen relevanten Ebenen.

Von den Medien bis zur Politik braucht es offene kritische Diskurse und dementsprechende Rahmenbedingungen. Also einen objektiv wissenschaftlichen Umgang bei gleichzeitigem Einbezug der emotionalen Stimmungen der Gesellschaft. Immer dann, wenn Meinungsmache und Überemotionalisierung wie auch Verdrehung von Fakten an der Tagesordnung sind, sollte dies kritisch aufgezeigt werden.

So müssen Pädagogen, Psychologen, Soziologen, Politikwissenschaftler und Philosophen zusammenarbeiten, um Strategien und Konzepte zu entwickeln. Nicht zuletzt muss Politik ihre Verantwortung erkennen und die passende Rahmung für kontroverse Debatten, Bildungspläne und soziale Gerechtigkeit umsetzen.

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