Montag, 12. Juli 2021

Drei Thesen zu den Ursachen für das Erstarken des Rechtspopulismus

In diesem Beitrag stellt Nele-Sophie Brenneis folgenden Aufsatz vor:

Koppetsch, Cornelia (2018): Rechtspopulismus als Klassenkampf? Soziale Deklassierung und politische Mobilisierung; in: WSI-Mitteilungen, 71. Jg., 5/2018, S. 370-381, online unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0342-300X-2018-5-382/rechtspopulismus-als-klassenkampf-soziale-deklassierung-und-politische-mobilisierung-jahrgang-71-2018-heft-5.

Viele Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschland von rechtspopulistischen Parteien weitgehend verschont geblieben. Deshalb wurde der Aufstieg der AfD seit der Gründung 2013 nur als vorübergehender Erfolg eingestuft. Nachdem aber Donald Trump 2017 in den USA Präsident wurde und die Briten für den Brexit gestimmt hatten, nimmt die Sorge um rechtspopulistische Strömungen auch in Deutschland weiter zu. Warum haben rechtspopulistische Parteien große Mobilisierungserfolge erzielt? Welche Ursachen stecken dahinter? Es gibt, so Koppetsch, derzeit drei Perspektiven, die die Mobilisierung rechtspopulistischer Parteien erklären können.

1. Die Globalisierungsverlierer These

Vor allem die unteren Sozialklassen, die ökonomischen Globalisierungsverlierer, gehören zu den Wählerinnen und Wähler rechtspopulistischer Parteien. Die Gesellschaft spaltet sich demnach in zwei Gruppen. Globalisierungsgewinner sind Befürworter der Globalisierung. Globalisierungsverlierer sind Gegner der Globalisierung. Häufig sind Globalisierungsverlierer Arbeiter und/oder aus der (unteren) Mittelschicht. Ihre Anliegen werden von der Regierung nicht mehr ausreichend umgesetzt. Mit wachsender Ungleichheit wählen sie nun rechtspopulistische Parteien.

Kritik an der Globalisierungsverlierer-These

Wähler*innen rechtspopulistischer Parteien sind in allen sozialen Lagern vertreten. Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien ist in Ländern wie Schweden, Dänemark und Österreich auffällig hoch. Häufig sind rechtspopulistische Parteien nicht in Ländern vertreten, in denen Krisen herrschen. Nicht nur Menschen der unteren Sozialklassen wählen populistische Parteien, sondern auch Akademiker und Hochqualifizierte. Demnach gehören ein Drittel der AfD-Befürworter zu den reichsten der Bevölkerung in Deutschland. Die Globalisierungsverlierer-These kann nicht umfassend erklären, wie sich die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien zusammensetzt.

2. Die Backlash-Perspektive

Der Backlash richtet sich gegen fortschrittliche Entwicklungen und Erneuerungen in der Gesellschaft (rascher kultureller Wandel). Diese These stellt einen weiteren Grund dar, warum Menschen rechtspopulistische Parteien wählen.

Kritik an der Backlash-Perspektive

Die Einstellungen der Wähler*innen zu bestimmten Themen ändern sich. Das ist eine Ursache dafür, dass Wähler*innen rechtspopulistischer Parteien eine gemeinsame oppositionelle Meinung vertreten. Diese Wähler*innen haben oft den gleichen sozio-ökonomischen Status wie die Wähler*innen, die andere Parteien wählen. Nur vertreten sie andere Werte als die Wähler*innen anderer Parteien. Diese rechtspopulistischen Wähler*innen vertreten kein Toleranzgefühl und Verweigern die Aufnahme von Flüchtlingen. Allerdings kann nicht genau festgestellt werden, welche Wähler*innen zu rechtspopulistischen Wähler*innen mobilisiert werden.

3. Studie von Theodor Adorno

Die dritte Perspektive nennt die Autoritarismus-Studie von Theodor Adorno u.a.. Die Studie fand heraus, dass rund 20% der Gesellschaft "autoritäre Persönlichkeitsstrukturen" haben. Diese Zahl hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert.

Pierre Bourdieus Theorie politischer Mobilisierung

In der Politik herrscht ein „Machtkampf“. Jede Partei versucht möglichst viele Anhänger zu gewinnen und mobilisiert daher bestimmte soziale Gruppen, um bestimmte Ziele umzusetzen. Genauso verhält sich der Rechtspopulismus. Dieser versucht als Protestpartei, andere Werte in den Vordergrund zu rücken und ihre Wähler*innen mittels „Provokationen und Tabubrüchen“ zu mobilisieren. Zum Beispiel versuchen Rechtspopulisten Merkels Flüchtlingspolitik als „Großexperiment“ darzustellen und es dadurch abzuwerten. Durch solche Aussagen werden die Wähler*innen mobilisiert und nehmen dadurch die Sichtweise rechtspopulistischer Parteien auf. Damit Mobilisierung gelingt, müssen drei Voraussetzungen erfüllt werden.

  • Im Parteiensystem muss es eine oppositionelle Partei geben, die die Meinungen herrschender Parteien in Frage stellt.
  • Rechtspopulistische Parteien müssen an ein bestimmtes Milieu anknüpfen, das gegebenenfalls diese politischen Meinungen schon vorher vertreten hat.
  • Rechtspopulistische Parteien müssen Teile verschiedener Klassen ansprechen, nicht nur eine bestimmte Klasse der Gesellschaft.

Welche Klassen der Gesellschaft wählen rechtspopulistische Parteien?

Die AfD hat sich immer mehr zu einer Volkspartei entwickelt. Ihr Programm ist breit gefächert. Dabei vertritt sie nicht nur radikale Ansichten, sondern auch Themen wie Euroskepsis. Ein Thema, das in allen sozialen Klassen auftaucht, ist die „Islam- und Migrationspolitik“. In einer Milieustudie von Michael Vester (2017) unterscheidet er „drei sozialstrukturelle Gruppen“ in Deutschland. Die konservative Oberschicht, die traditionelle Mittelschicht und das prekäre Milieu.

Die konservative Oberschicht sieht in der Zuwanderung von muslimischen Migranten und Flüchtlingen eine Gefahr für den Wohlstand in Deutschland. Die Deutschen werden als fleißiger angesehen, und es wird die Ansicht vertreten, dass Deutschland sich selbst aufgebaut hat und daher lehnen sie Zuwanderungen ab. Auch das Gesellschaftsbild von Thilo Sarrazin, das in dem Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlicht wurde, vertritt die Sichtweise der konservativen Oberschicht. In diesem Buch schreibt er, dass Klassenhierarchien natürlich vorgeschrieben seien und geht auf die unterprivilegierten Kinder ein, die nur eine unterdurchschnittliche Intelligenz aufweisen würden. Diese Kinder setzt er in Verbindung mit muslimischen Kindern. Aufgrund dieser Kinder soll die Leistung und Produktivität in Deutschland sinken.

Die traditionelle Mittelschicht und das prekäre Milieu sehen die muslimischen Migranten und Flüchtlinge als Außenseiter an. "Das Volk" ist gegen die Außenseiter. Es gibt jedoch in der Ab- und Ausgrenzungspolitik Unterschiede zwischen der traditionellen Mittelschicht und dem prekären Milieu. Die traditionelle Mittelschicht versucht, ihre eigenen Werte (Moralvorstellungen) vor den „Außenseitern“ zu verteidigen. Das prekäre Milieu sieht sich von den „Außenseitern“ hinsichtlich des Arbeitsplatzes oder des Wohnraums bedroht. Sie stellen eine Konkurrenz für das prekäre Milieu dar.

Rechtspopulismus und Deklassierung

Das Sozialraummodell von Bourdieu wird durch unterschiedliche soziale Klassen aufgebaut. Soziale Klassen können auf- und absteigen. Die Abstiegsmobilität kann von Bildung, Beruf und Einkommen abhängen. Diese Auf- und Abstiegsmobilität betrifft nicht nur einzelne, sondern auch Gruppen, die den Sozialraum verändern können. Die Absteigenden suchen Therapie in rechtspopulistischen Parteien, die ihnen helfen sollen, ein alternatives Gesellschaftsbild zu entwickeln.

Es gibt drei unterschiedliche Formen einer rechtspopulistischen Therapie. Die „politische Häresie“ als „Abkehr von herrschenden Gesellschaftsordnungen“, zum Beispiel „Hierarchie statt Gleichheit“ zu vertreten. Dann gibt es die symbolische „Re-Souveränisierung“, das bedeutet, dass traditionelle Machtverhältnisse wieder angestrebt werden, zum Beispiel zwischen den Geschlechtern. Eine weitere Form ist die Abkehr von Minderheiten und Außenseitern. Rechtspopulistische Anhänger fühlen sich durch solche Formen der Therapie gestärkt, um ihr eigenes Schicksal zu verarbeiten und sich neue Werte zu suchen, die sie nun vertreten.

Fazit

Zu Beginn des Aufsatzes werden drei Perspektiven dargestellt, die den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien erklären sollen. Die Globalisierungsverlierer-These kann zum Beispiel nicht umfassend erklären, welche Wähler*innen mobilisiert werden, da auch Globalisierungsgewinner, wie zum Beispiel Akademiker und Hochqualifizierte, rechtspopulistische Parteien wählen. Auch die Backlash-These weist Lücken auf, da die Werteorientierung nicht mit dem sozialen Status zusammenhängt.

Im Sozialraummodell nach Bourdieu werden drei soziale Klassen genannt, von denen sich alle drei von der „Islam- und Migrationspolitik“ in unterschiedlichem Maße bedroht sehen. In allen drei Klassen werden rechtspopulistische Meinungen vertreten, nur kennt man nicht die prozentuale Zahl. Ein weiterer Punkt für die politische Mobilisierung ist die soziale Deklassierung der sozialen Klassen. Dadurch, dass einzelne Gruppen aus sozialen Klassen absteigen und sie in eine andere gesellschaftliche Situation geraten, werden sie politisch mobilisiert. Man müsste noch umfassender betrachten, wie und wodurch sich der soziale Abstieg vollzieht, um die Mobilisierung rechtspopulistischer Wähler*innen genauer betrachten zu können, so Koppetsch.

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