In diesem Beitrag stellt Lukas Gotthelf folgenden Aufsatz vor:
Decker, Frank / Lewandowsky, Marcel (2017): Rechtspopulismus in Europa: Erscheinungsformen, Ursachen und Gegenstrategien; in: Zeitschrift für Politik 64 (1), S. 22-39, online unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0044-3360-2017-1-21/rechtspopulismus-in-europa-erscheinungsformen-ursachen-und-gegenstrategien-jahrgang-64-2017-heft-1.
In dem Artikel nehmen die beiden Autoren den Rechtspopulismus in Europa in den Blick. Zunächst beschäftigen sie sich mit der Frage, wie Populismus zu definieren sei, welche Besonderheiten Ideologie und Feindbilder aufweisen und wie sich der Populismus im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklung verhält. Anschließend widmen sie sich organisatorischen Merkmalen, der Rhetorik und grenzen Populismus von Extremismus ab. Schließlich nehmen Decker und Lewandowsky explizit Deutschland und Mittel- und Osteuropa in den Fokus und zeigen abschließend geeignete Strategien im Umgang mit Rechtspopulisten auf.
Was ist Populismus?
Populisten sehen sich als die Vertreter des „wahren Volkes“ und agitieren gegen die „Eliten“ (S. 23) und das „Establishment“ (S. 23). Speziell der Rechtspopulismus zeichnet sich durch eine weitere Abgrenzung aus: Zusätzlich zum „Establishment“ hat man auch die „Ausländer“ (S. 23) als Widersacher ausgemacht. Rechtspopulismus ist also anti-elitär und anti-pluralistisch. Populistische Bewegungen erhalten den größten Zulauf, wenn Menschen in eine Identitätskrise geraten, ausgelöst beispielsweise durch gesellschaftlichen Wandel oder radikale Umbrüche.
Identität und Feindbilder
Die ideologische Basis bildet das „wahre Volk“. Je nach politischer Ausrichtung des Populismus unterscheiden sich die Formen der Abgrenzung des „Volkes“ (S. 25): Beim Linkspopulismus erfolgt die Abgrenzung nach sozialer Klasse, während für den Rechtspopulismus die Nationalität, beziehungsweise die Herkunft, determinierender Faktor ist. Außerdem grenzen sich diese auch von den „Fremden“ (S. 25) ab, also zum Beispiel „ethnische, kulturelle und religiöse Minderheiten“ (S. 25) oder auch Menschen mit vom Ideal abweichender politischer oder sexueller Orientierung.
Dieses „Volk“ gilt es, vor den „finsteren Machenschaften“ des „Establishments“ (S. 23) zu bewahren, wobei sämtliche Missstände auf das Wirken der „Eliten“ zurückgeführt werden. Die konkreten Feindbilder der Rechtspopulisten haben sich im Laufe der Zeit geändert, jedoch waren bereits von Anfang an Asylbewerber als Wurzel allen Übels ausgemacht. Im Laufe der Zeit erweiterte sich dieses Narrativ um Menschen muslimischen Glaubens.
Populismus und Modernisierung
Eine wichtige Rolle spielt die Globalisierung. Sie bringt nicht nur Vorteile mit sich, sondern vergrößert auch den Spalt in der Gesellschaft zwischen Arm und Reich. Und auch die Digitalisierung trägt ihren Teil dazu bei: Einige Berufsgruppen werden durch den technischen Wandel und Fortschritt obsolet. Doch nicht nur die unmittelbare Betroffenheit, auch die Angst vor einem solchen Schicksal treibt die Wähler*innen den Populisten zu.
Ebenfalls zu berücksichtigen sind die Wandlungsprozesse auf kultureller und politischer Ebene: Durch den Zuzug von Migrant*innen wurde die Gesellschaft kulturell heterogener, was bei einigen mit einer Identitätskrise einherging. Und politisch näherten sich die Parteien des „Mainstreams“ (S. 27) einander immer weiter an, so dass deren programmatische Differenzen immer geringer wurden. So entstand der Eindruck einer politischen „Elite“, welche nur zum Selbstzweck existiert. Da politische Entscheidungen durch „supranationale“ (S. 27) Institutionen immer komplexer und intransparenter werden, verstärkt sich der Vertrauensverlust in die Politik.
Organisatorische Merkmale
Populistische Parteien lassen sich bezüglich ihrer Organisationsstruktur in drei Kategorien unterteilen: Die „charismatische Partei“ (S. 28) ist auf eine Einzelperson fokussiert, „institutionalisierte Strukturen und demokratische Verfahren treten in der Organisation hinter der Autorität des Anführers zurück; es gilt das Prinzip der loyalen Gefolgschaft“ (S. 28).
Eine „Unternehmerpartei“ (S. 28) ähnelt der „charismatischen Partei“ (S. 28), allerdings geht sie aus einer Unternehmerpersönlichkeit hervor und wird auch mit deren Mitteln finanziert. Die „Bewegungs- oder Rahmenpartei“ (S. 28) „besteht aus einem locker verbundenen Netzwerk von Aktivisten, die aus der Gesellschaft hervortreten“ (S. 28).
Stilmittel des Populismus
Der Populismus bedient sich einiger rhetorischer Mittel, um sein Publikum anzusprechen. Dazu zählen: einfache Lösungsvorschläge für komplexe Probleme, es wird suggeriert man könne solche Situationen mit gesundem Menschenverstand meistern. Oder das Fordern von „radikalen Lösungen“ (S. 30). Auch die Verbreitung von Verschwörungstheorien und das Kreieren von Feindbildern gehört zum Repertoire der Populisten, ebenso wie gezielte „Provokation und Tabubruch“ (S. 30). Außerdem wird mit den Ängsten der Bürger*innen gespielt und die Debatte absichtlich emotionalisiert, unter anderem durch die „Verwendung von biologistischen und Gewaltmetaphern“ (S. 30).
Populismus und Extremismus
Populistische Parteien können extremistisch sein, müssen dies aber nicht. Umgekehrt müssen extremistische Parteien nicht unbedingt populistisch sein. Vom Extremismus spricht man, wenn die Partei eine „offene Systemfeindlichkeit“ (S. 31) praktiziert. In Europa sind die „nicht-extremistischen populistischen“ (S. 31) Parteien deutlich erfolgreicher als die „nicht-populistischen extremen“ (S. 31), da sie gemäßigte Wähler*innen nicht abschrecken. Dies heißt jedoch nicht, dass eine rechtspopulistische Partei im Falle einer Regierungsbeteiligung nicht versuchen würde, die Demokratie nach ihren Vorstellungen umzugestalten.
Rechtspopulismus in Deutschland: AfD
Die AfD wurde ursprünglich als eurokritische Partei durch konservative Ökonomen gegründet, jedoch waren von Beginn an rechtspopulistische Züge vorhanden. Diese wurden nur nicht unmittelbar nach außen präsentiert. Im Laufe der Zeit fokussierte sich die Partei dann aber zunehmend auf Themen wie die Migrationspolitik. 2015 kam es zur Spaltung der AfD, der ehemalige Vorsitzende Lucke verlor die Abstimmung und trat mit seinen Getreuen aus der Partei aus. Fortan wurde die AfD immer mehr zu einer offen rechtspopulistischen Partei, was sich an der Themensetzung erkennen lässt.
Rechtspopulismus in Mittel- und Osteuropa
Der Rechtspopulismus in Mittelosteuropa weist einige Unterschiede zu Westeuropa auf. So sind dort nicht unbedingt zugewanderte Muslime Zielscheibe der Populisten, sondern andere gesellschaftliche und ethnische Minderheiten, wie zum Beispiel „Sinti und Roma“ (S. 34). Auch die Religion spielt hier eine größere Rolle als in den „säkularisierten Gesellschaften Westeuropas“ (S. 34). Gemeinsam ist den beiden Ausprägungen des Populismus der Antielitarismus.
In Mittelosteuropa sind rechtspopulistische Parteien sehr stark, dies ist mit der Geschichte dieser Staaten zu erklären. In Ungarn und Polen sind die Rechtspopulisten sogar alleinige Regierungspartei und versuchen dort ihr Verständnis von Demokratie durchzusetzen.
Strategien der Auseinandersetzung
Der Umgang mit den rechtspopulistischen Parteien unterscheidet sich in Europa von Land zu Land. Jedoch scheinen die gewählten Strategien „Isolation“ (S. 36), „Imitation“ (S. 36) und „Kooperation“ (S. 36) nicht zu wirken. Stattdessen schlagen Decker und Lewandowsky vor, die politische Konfrontation zu suchen statt zu scheuen und die Rechtspopulisten auf inhaltlicher Ebene zu stellen.
Außerdem plädieren sie für eine Rückbesinnung auf die Wohlfahrtsstaatlichkeit, eine eigene Wertepolitik der etablierten Parteien, verbesserte Transparenz und Kommunikation im Rahmen supranationaler Projekte, sowie eine Öffnung der Parteien und der Politik gegenüber den Bürger*innen.
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