In diesem Beitrag stellt Johannes Kretz folgenden Text vor:
Zulehner, Paul Michael (2017): Rechtspopulismus in Österreich; in: Ost-West Europäische Perspektiven OWEP 3/2017, online unter: https://www.owep.de/artikel/1135-rechtspopulismus-in-oesterreich, erweiterte Version: https://services.phaidra.univie.ac.at/api/object/o:926198/diss/Content/get.
In diesem Beitrag geht der Autor auf die Hintergründe und den Aufstieg des Rechtspopulismus in Österreich ein, wie dessen Impulse (auch angesichts der Flüchtlingskrise) bis in die Parteien der Mitte ankommen und wie die Antwort der Kirchen und ihrer Funktionäre auf diese Entwicklungen lauten. Bei dem Autor handelt es sich um einen emeritierten Professor der Universität Wien für Pastoraltheologie. Er gliedert seinen Vortrag in vier Kapitel:
- ,,Aufstieg des Rechtspopulismus‘‘
- ,,Auswirkungen der Ängste auf die Ansichten und Haltungen in der Flüchtlingspolitik‘‘
- ,,Autoritarismus in Österreich von 1970 bis 2012‘‘
- ,,Die Christen und ihre Kirchen in der Flüchtlingszeit‘‘
Zu Beginn seines Beitrags nimmt Zulehner den Aufstieg des Rechtspopulismus in Österreich in den Blick. Er geht auf die jüngsten Entwicklungen ein: die Bundespräsidenten-Wahl in Österreich 2016. Er nimmt dieses Ereignis als Paradebeispiel zur Hand, dass der Rechtspopulismus im politischen Mainstream angelangt und auch eine europaweite Vernetzung zustande gekommen ist. Denn zum Ende der Wahl findet sich die Prominenz der europäischen Rechtspopulisten in Wien ein zur Feier des vermeintlich ersten Rechtspopulisten als Bundespräsidenten Österreichs, Norbert Hofer. Neben Hans-Christian Strache von der gastgebenden FPÖ sind dies unter anderem Marine Le Pen vom französischen Front National bis hin zu Geert Wilders aus den Niederlanden.
Auf die Rolle der Medien geht Zulehner auch ein. Die Sensationspresse, wie er sie nennt, macht er auch mitverantwortlich für den Aufstieg des Rechtspopulismus in Österreich. Denn jene reagiert laut seiner Aussage enttäuscht auf das Ergebnis, dass Hofer mit 46 Prozent deutlicher verloren hat als von diesen Medien erwartet. Unbeirrt scheint sich laut Zulehner die FPÖ auf die nächste Wahl 2018 einzustimmen. Verknüpft ist die Wahlkampfrhetorik vor allem stark mit der Flüchtlingsfrage.
Zulehner geht weiter in der Zeit zurück, findet die Ursachen dieser Entwicklung in der Finanzkrise 2008. Abstiegsängste der Unter- und auch Mittelschicht beschleunigten diese Entwicklung. Die früher etablierten Parteien SPÖ und ÖVP haben immer mehr an Stimmen und Zustimmung verloren, die politische Mitte sei laut Zulehner ,,implodiert‘‘. Nun imitieren sie die Antworten der FPÖ in der Flüchtlingskrise. Das heißt, dass unter anderem die Asylgesetze verschärft werden.
Es kristallisiert sich heraus, dass die typische ,,Politik der Angst‘‘, wie sie Rechtspopulisten im Allgemeinen betreiben und die FPÖ hier im Speziellen betreibt, adaptiert wird. Zulehner stellt hier zurecht die Frage, ob diese Imitierung durch ÖVP und SPÖ nicht dazu führt, dass diese Merkmale der Angst bedient, aber nicht abgebaut werden. Schlussendlich fördere dies am Ende nicht die Imitierenden, sondern den Urheber (also die FPÖ). Auch weist er darauf hin, dass es zu einem Imageverlust der "Altparteien" (SPÖ und ÖVP) führen kann und auch führt.
Parteienprofile verschwinden, es herrscht eine pragmatische Handhabung zum Machterhalt. Das ist auch ein Problem und ein Symptom des Erstarkens der Rechtspopulisten: Verlust der parteiprägenden Werte und Weltanschauungen bindet keine Wähler mehr, sie wandern ab, dazu kommen parteiinterne Spannungen (vor allem in der SPÖ, deren Jugend eine sozialistische Politik fordert, während die Partei einen Antiflüchtlingskurs fährt). Beispielsweise nennt Zulehner die Abnahme der Stimmanteile für die SPÖ in SPÖ-Kernbezirken in Wien hin zur Steigerung der FPÖ-Stimmen als ein klares Symptom. Bei der ÖVP scheint es einen Abwanderungstrend der traditionellen christlichen Wähler/innen zu geben. Also findet alles in allem in beiden Parteien eine Zäsur statt.
Im nächsten Kapitel setzt sich Zulehner mit den Auswirkungen der Ängste auf die Ansichten und Haltungen in der Flüchtlingspolitik auseinander. Er führt eine Umfrage an, die in Österreich durch ein Umfrage-Institut im Herbst 2015 (also kurz nach Beginn der Flüchtlingskrise) durchgeführt wurde und danach fragen ließ, welche Gefühle beim Thema Flüchtlingspolitik mitspielen. Zu dieser Zeit war eine absolute Mehrheit besorgt (52%), gefolgt von einem zuversichtlichen Teil (27%), ein kleinerer Teil, der Ärger fühlte (17%) und ein ganz kleiner, unentschiedener Teil (4%). Zulehner selbst wiederholte die Umfrage selbst ein Jahr später und stellte deutliche Unterschiede zum Vorjahr fest: 61% waren besorgt, 26% fühlten Ärger und die restlichen 13% fühlten Zuversicht.
Weiter geht er auf die jeweils extremen Lager an beiden Enden ein: einmal das Lager ,,Ärger‘‘ und auf der anderen Seite das Lager der Zuversichtlichen. Er beschreibt die Menschen, die dem Lager ,,Ärger‘‘ angehören unter anderem als nicht zugänglich für Argumente und damit nicht offen für Fakten. Als ,,Gallionsfigur‘‘ dieses Lagers gilt für ihn Viktor Orban, der die Grenzen dicht machen will. Zulehner geht auch darauf ein, dass ,,Grenzgänger‘‘ dieses Lagers, wie er sie nennt, zu psychischer, gar physischer Gewalt neigen (von Hasspostings bis hin zu einzelnen Gewaltdelikten). Ironischerweise macht Zulehner die Feststellung, dass die Kriminalität seitdem gestiegen ist, aber nicht - wie von Vertretern dieses Lagers propagiert wird - durch Flüchtlinge, sondern von ihren eigenen Vertretern.
Das Lager am anderen Ende, das der Zuversichtlichen, beschreibt er als auf das Recht auf Asyl pochend, welche auf volle Integration der Flüchtlinge setzen. Dies geschieht für sie über drei Dimensionen: Sprache, Wohnen und Arbeiten. Sie erkennen, dass dies eine Mammutaufgabe ist, wie ihnen aber auch klar ist, dass es unter den Flüchtlingen auch schwarze Schafe gibt. Sie suchen nach Lösungen und decken dabei auf, dass in der Politik nicht die richtigen Probleme in Angriff genommen werden (wie die relativ hohe Arbeitslosigkeit), sondern eher sekundäre wie auch unwichtige Dinge wie die Diskussion um das Burka-Verbot (und dafür teilweise Flüchtende als Spielball benutzt werden).
Im vorletzten Kapitel seines Beitrags geht Zulehner auf einen mit der Angst korrelierenden Zustand ein, der in Österreich lange anhielt und wieder aufkommt: den Autoritarismus. Den Autoritarismus zeichnet aus, dass sich Menschen Autoritäten unterwerfen. ,,Recht hat, wer oben ist‘‘, schlussfolgert Zulehner. Bis in die 1970er-Jahre war dieser Wert in der österreichischen Gesellschaft sehr hoch, bis er dann abflachte und ab 1996 wieder steigt, vor allem bei der Jugend, die nach Zulehner ,,sich von der Freiheit entledigen‘‘ wolle.
Zulehner führt dafür mehrere Gründe an: die Globalisierung, die Europäisierung und vor allem unausgereifte Persönlichkeitsbildung wie auch die damit zusammenhängenden, durchökonomisierten und deshalb überforderten Familiensysteme, die nicht mehr richtig auf die Herausforderungen des Lebens vorbereiten.
Wie Zulehner weiter ausführt, neigen Autoritäre (laut ihm ,,unterwürfige Menschen ohne Selbstvertrauen‘‘) zur Ablehnung des Fremden und Unbekannten, vertreten meistens klassische Geschlechterrollen, haben keine eigene Identität, sind anti-pluralistisch und suchen sich am Ende politische Führer, denen sie sich unterwerfen und die sie zu schützen versprechen. Auch auffällig ist die Tatsache, dass Autoritäre meistens Ärger und Besorgnis fühlen in der Flüchtlingspolitik. All dies sind Symptome und Merkmale, die wir mit dem Rechtspopulismus deckungsgleich betrachten können und die dessen Aufstieg in Österreich miterklären können.
Das letzte Kapitel hält die kirchliche Haltung in der Flüchtlingskrise fest, auch im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Rechtspopulismus. Es wird im Text eine Diskrepanz zwischen Laien und der Obrigkeit klar: die katholische wie auch die evangelische Kirchenleitung vertreten eine Pro-Asyl-Politik und gehen so weit, dass sie selbst osteuropäische kirchliche, hauptsächlich katholische, Funktionäre (wie den Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz) ermahnen, im Sinne der Nächstenliebe nicht gegen Flüchtende zu agieren.
Doch die Laien sind sehr unterschiedlich aufgestellt. Während diejenigen Gläubigen, die sich dem Lager ,,Ärger‘‘ zuordnen lassen, zu 67% meinen, dass man ein guter Christ sein kann, auch ohne sich für Flüchtlinge einzusetzen, sehen das bei denjenigen, die dem Lager ,,Zuversicht‘‘ zuzuordnen sind, nur 6% so. Umso wichtiger ist die Tatsache, dass an sich viele der Kirchenmitglieder für ein positives Asyl-Recht einstehen. Meistens engagieren sie sich auch in kirchlichen Organisationen wie den Pfarrgemeinden, und die Kirchen verteidigen und unterstützen dies auch.
Trotzdem sticht aber auch heraus, dass viele christlich geprägte Wähler Norbert Hofer als Bundespräsident gewählt haben, da er neben der harten Flüchtlingspolitik auch christlich-konservative Werte wie ,,Nein zur Abtreibung‘‘ vertritt. Hier sieht Zulehner die wichtigste Aufgabe der Kirchen, um dem Rechtspopulismus entgegenzutreten: die Kirchen sollen die Menschen ‚,entängstigen‘‘, um Anti-Asyl-Tendenzen und damit rechtspopulistische Tendenzen zu vermeiden.
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