Donnerstag, 15. Juli 2021

Rechtspopulismus und Genderdebatte

In diesem Beitrag stellt Lena Eberle folgenden Aufsatz vor:

Küpper, Beate (2018): Das Thema Gender im Rechtspopulismus – empirische Befunde zur Anschlussfähigkeit bei Frauen und Männern; in: Femina Politica, 1/2018, S. 61-75, online unter:
https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v27i1.06.

Im Artikel geht es um die Zusammenhänge zwischen Rechtspopulismus und der Ablehnung des Konzepts Gender. Es werden empirische Befunde, mit besonderem Blick auf Frauen, dargestellt.

„Der Beitrag schließt dabei an die Beobachtung an, nach der Anti-Genderismus ein zentraler Bestandteil antidemokratischer, rechter Strömungen ist, über den althergebrachte Vorstellungen und Ansprüche von sozialen Hierarchien, von Vormachtstellung und Privilegien zwischen diversen sozial konstituierten Gruppen kommuniziert und implementiert werden. Dies wird derzeit in vielen europäischen Ländern deutlich.“ (S. 62).

Als zentrale Logik des Rechtspopulismus wird zum einen die Polarisierung auf der vertikalen Dimension, also zwischen ‚denen da oben‘ (Politikern, Eliten und Medien beziehungsweise dem "System") und ‚uns hier unten‘, dem betrogenen, einfachen Volk, und zum anderen auf der horizontalen Ebene, also ‚Wir gegen die Anderen‘, identifiziert.

„Während das ‚Wir‘ bemerkenswert vage gehalten wird, sodass sich viele auf den näheren Blick recht unterschiedliche Personen davon angesprochen fühlen können, wird das ‚die Anderen‘ jeweils recht flexibel mit unterschiedlichen sozialen Gruppen gefüllt, die als zum ‚Wir‘ abwei­chend betrachtet werden: Eingewanderte und Geflüchtete, Muslim*innen, Jüd*in­nen, Roma, aber auch homosexuelle, arme, manchmal auch behinderte Menschen, Linke und eben auch Feministinnen sowie all jene, die für die Gleichwertigkeit und Gleichstellung dieser verschiedenen sozialen Gruppen eintreten.“(S. 63).

Der Rechtspopulismus besteht also im Kern aus der Inszenierung gegen das System und der Abwertung von unterschiedlichen Minderheiten. Die antidemokratische Komponente zeigt sich laut der Autorin in der Behauptung, dass nur durch den Rechtspopulismus "das wahre Volk" repräsentiert werde und alle anderen Meinungen unwahr seien. Die Ablehnung und Abwertung bestimmter Personengruppen aufgrund von z.B. sozialer, religiöser oder genderbezogener Gruppenzugehörigkeiten dient der Aufwertung und dem Zusammenhalt innerhalb der eigenen Gruppe.

Im Rechtspopulismus tritt eine Anti-Gender Haltung vor allem durch Homophobie, Sexismus und der Ablehnung von Gleichstellungsmaßnahmen auf. Antifeminismus bilde […] das „Scharnier“ zwischen rechten bzw. rechtpopulistischen und konservativen Parteien und dem „reaktionären Mob“ […] (S. 64). Antifeminismus stellt also eine Art Verbindung zwischen Rechtspopulismus und konservativer Einstellung dar, was dazu führt, dass er salonfähiger wird.

Laut der Autorin wird in Verbindung mit der Genderdebatte im Rechtspopulismus immer wieder der Islam aufgegriffen. Sie beschreibt eine ambivalente Einstellung zum Thema Gender, die sich wie folgt zeigt: Auf der einen Seite werden Feminismus und Gleichstellungsbestrebungen als Übertreibung abgetan und insgesamt abgelehnt, auf der anderen Seite werden in der rechten Szene Behauptungen über Vergewaltigungen und Straftaten gegen Frauen durch Muslime, Eingewanderte und Geflüchtete aufgestellt.

„Die Zuweisung patriarchaler und gewalttätiger Eigenschaften an den 'Orient‘ bedient also den Mythos, Geschlechtergleichheit (und Gewaltfreiheit) seien ‚Kulturgüter‘ des Westens. Zugleich wird eine kritische Diskussion über Sexismus, Gewalt gegen Frauen, Homophobie und Antisemitismus in der Eigengruppe auf diese Weise bequem und selbstwertdien­lich abgewehrt.“ (S. 65).

Diese Strategie führt zur Aufwertung der eigenen Gruppe und der Abwertung der anderen Gruppe. Den Grund für die immer größere Verbreitung des Anti-Genderismus sieht die Autorin darin, dass immer mehr Menschen der breiten Öffentlichkeit sich mit Anti-Rassismus und Gleichstellung beschäftigen und sich die rechtpopulistische Szene deshalb für eine Rückkehr zur biologischen Geschlechterordnung und zu patriarchalen Verhältnissen einsetzt.

Küpper bezieht sich im Artikel auf Informationen aus der Mitte-Studie 2016 der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und einer Bevölkerungsumfrage zu Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Personen 2016 durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Der Index Rechtspopulismus setzt sich, laut Artikel, aus den Merkmalen Demokratie-Misstrauen, Law-and-Order Autoritarismus und der pauschalen Abwertung von Eingewanderten, Muslim*innen, Asylsuchenden und Roma zusammen. Den Untersuchungen zufolge sei die Mehrheit der deutschen Bevölkerung grundsätzlich offener gegenüber Vielfalt und Gleichwertigkeit geworden, jedoch vertrete trotzdem ca. ein Fünftel der Befragten eine rechtspopulistische Einstellung und ca. ein Drittel lehne Vielfalt ab.

„Frauen und Männer unterscheiden sich nicht signifikant in der Häufigkeit ihrer Zustimmung zum Index Rechtspopulismus.“ (S. 67).

Sexismus wurde in der Mitte-Studie durch Aussagen wie „Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen.“ (S. 67) ermittelt und Meinungen zur traditionellen Rollenverteilung durch Aussagen wie “Es ist besser, wenn Frauen sich um kleine Kinder kümmern, als wenn Männer das tun“ (S. 67). Die Unterschiede bei Männern und Frauen waren bei der Auswertung erstaunlicherweise nur unwesentlich. Durch die FES-Mitte-Studie wird eine interessante Korrelation zwischen Sexismus und Rechtspopulismus deutlich:

„Wer sexistischen Einstellungen zustimmt, neigt auch häufiger insgesamt zum Rechtspopulismus und umgekehrt: Von den zusammengefasst knapp 9% der Befragten, die sich in der FES-Mitte-Studie 2016 für eine traditionelle Rollenverteilung zu Lasten von Frauen aussprechen […], lassen sich 45% als deutlich rechtspopulistisch eingestellt beschreiben, während dies unter denjenigen, die Sexismus nicht teilen, nur auf 18% zutrifft. Umge­kehrt sind von den eindeutig rechtspopulistischen Eingestellten auch 19% zugleich sexistisch, während es unter den nicht rechtspopulistisch Eingestellten nur 6% der Befragten sind“ (S. 67).

Küpper erklärt, dass die Polarisierung immer mehr zunimmt. Bei der Befragung stimmen die meisten Menschen ihrem Standpunkt voll und ganz zu, egal ob für Demokratie, Vielfalt und Gleichwertigkeit oder für eine rechtspopulistische Haltung. Es wird außerdem deutlich, dass ein rechtspopulistischer Standpunkt mit kollektiver Wut bezüglich der Zuwanderung und Gewaltaffinität zusammenhängt. Frauen machen ca. ein Drittel der Wählerschaft der AfD aus. Bei ihnen wird deutlich, dass sie weniger gewaltaffin sind, jedoch trotzdem Gewalttaten verbal unterstützen und Männer zu deren Ausübung animieren.

Gründe für des Erstarken des Rechtspopulismus sieht die Autorin zum einen in einer Angst vor Abstieg, finanziellem Verlust und Globalisierung bzw. bei der Hauptwählerschaft der AfD, der Mittelschicht, Angst um den Wohlstand. Zum anderen jedoch sieht sie die größere Problematik in der subjektiven Wahrnehmung, mit anderen Gruppe, also Muslim*innen, Zugewanderten und Geflüchteten, zu konkurrieren bzw. schlechter gestellt zu sein als sie und in Wohlstand und Lebensweise durch sie bedroht zu sein (vgl. S. 69). Bei Frauen stehen Armut und eine rechtspopulistische Einstellung in deutlicher Relation, so Küpper.

„Bemerkenswert ist in diesem Zusammen­hang auch, dass niedrig qualifizierte Frauen aus den ostdeutschen Bundesländern signifikant am meisten zu fremdenfeindlichen, rassistischen und muslimfeindlichen Einstellungen neigen. Dies sind jene Frauen, die nach der Wende 1989 häufig keine Arbeit mehr gefunden haben und die sowohl nach eigener als auch nach Einschätzung anderer statusmäßig auf der sozialen Leiter am weitesten unten stehen.“ (S. 69)

Sexismus und Anti-Genderismus ist laut der Autorin kein rein männliches Problem, sondern Frauen sind genauso beteiligt. Sie treten aktiv für patriarchale Strukturen ein, um eigene Vorteile wie Gruppenzugehörigkeit und Macht zu erlangen. Durch die Abwertung von Feminismus oder einer eigenen sexistischen Einstellung versprechen sie sich Selbstaufwertung und Zugehörigkeit zu Männern als soziale Gruppe.

„Damit signalisieren sie zugleich die eigene Bereit­schaft zur Ein- und Unterordnung in die gegebenen geschlechterabhängigen Hierar­chiestrukturen, also auch ihre Ungefährlichkeit für Männer, von denen sie sich damit mehr Akzeptanz versprechen.“ (S. 70).

Die These von der eigenen Statuserhöhung durch den Rechtspopulismus und die damit verbundene Abwertung von Minderheiten erklärt, warum Personen, die selbst den abgewerteten Gruppen zugehören, wie zum Beispiel Homosexuelle, Frauen oder Geflüchtete, rechtspopulistische Meinungen aktiv vertreten bzw. als Akteur*innen in rechtspopulistischen Gruppen oder Parteien agieren.

Zusammenfassend zeigt sich laut Küpper der demokratiefeindliche Charakter des Rechtspopulismus darin, dass durch das Versprechen der Zugehörigkeit zu einer sozial privilegierten Gruppe und durch die Abwertung anderer Bevölkerungsgruppen vermeintlich wieder soziale Gleichheit hergestellt wird, während sie eigentlich nur eine Gruppe hierarchisch höherstellen soll.

„Letztlich gibt es hier einen Angriff auf einen Grundpfeiler der demokratischen Verfasstheit und der menschenrechtlichen Vorgaben: die Gleichwertigkeit aller Personen unabhängig ihres Geschlechts, ihrer Herkunft usw.“ (S. 66)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen