Donnerstag, 8. Juli 2021

Rechtspopulismus in Brasilien

In diesem Beitrag stellt Miriam Nonnenmacher folgenden Aufsatz vor:

Flemes, Daniel (2018): Wahl in Brasilien: Rechtspopulismus auf dem Vormarsch; in: GIGA Focus Lateinamerika 5/2018, Hamburg: GIGA German Institute of Global and Area Studies - Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien, Institut für Lateinamerika-Studien, online unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-59176-2.

Der Artikel von Flemes wurde zwei Wochen vor der brasilianischen Präsidentschaftswahl 2018 geschrieben. Hier werden rechtspopulistische Merkmale von Jair Bolsonaro analysiert, die tiefe Krise Brasiliens, welche einen fruchtbaren Boden für Autoritarismus bildet, wird beschrieben und die Gegenkandidaten werden mit Bolsonaro verglichen.

Wahlen im Schatten der Krise

Flemes beginnt mit der Vorgeschichte Brasiliens und erläutert, wie es zur Krise in Brasilien kam. Er beginnt mit der Amtszeit von Lula da Silva und der Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores). Mit ihr kam es zu einem globalen Aufstieg Brasiliens. Unter anderem durch die hohen Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt, aber auch durch Umverteilungsprogramme wurde das Hungerleiden der Bevölkerung erfolgreich bekämpft.

Die positive Stimmung im Land änderte sich 2014 durch den Korruptionsskandal "Operation Lava Jato" (Waschstraße), bei dem alle großen Parteien, eine Vielzahl von privaten Konzernen und halbstaatliche Wirtschaftsriesen involviert waren. Flemes erläutert, dass das Ausmaß der Korruption auf einen maroden Staatsapparat hinweist und viele Brasilianer ihr Vertrauen in die Elite verloren (vgl. S. 3).

Flemes sieht eine Reform als überfällig: „Allein um die Grauzone im Verhältnis zwischen Regierung und Parteien im Zuge des Koalitionspräsidentialismus zu beseitigen, bedürfte es einer Reform des Parteiensystems, des bestehenden föderalen Systems und schließlich der brasilianischen Verfassung. Ein zielführender erster Schritt wäre die Einführung einer Sperrklausel, um der Zersplitterung des Parlaments entgegenzuwirken. Doch diese politischen Reformen werden im Wahlkampf gar nicht ernsthaft debattiert.“ (S. 8).

Flames macht deutlich, dass auch die Staatsform der Demokratie an Zustimmung verlor: „Die brasilianische Demokratie scheint nach weniger als 30 Jahren nicht stabiler als ein Kartenhaus.“ (S. 3).

Stattdessen vertraut die brasilianische Bevölkerung eher der Kirche oder den Streitkräften. Das macht sich Jair Bolsonaro geschickt zunutze, er propagiert mit autoritären Werten des Militärs und christlich-traditionellen Glaubensvorstellungen. Das wird auch durch sein Leitmotiv: „Brasilien über alles und Gott über alle“ deutlich. Zudem hat er eine radikale Law-And-Order-Rhetorik durch sein politisches Konzept, die Gewaltkriminalität durch die Bewaffnung der Zivilbevölkerung zu bekämpfen (vgl. S. 9).

Immense Herausforderungen

Flemes beschreibt die immensen politischen Herausforderungen in Brasilien. Der Übergangspräsident Temer entwickelte eine umstrittene Arbeitsmarktreform zur Begrenzung der Staatsausgaben. Diese Reform und auch die anstehende Rentenreform gehen zulasten der mittleren und unteren Einkommensschicht. Hier zeigt sich für Flemes das zentrale und strukturelle Problem der sozialen Ungleichheit in der brasilianischen Bevölkerung.

Er weist darauf hin, dass von Bolsonaro durch seine frauenfeindlichen, homophoben und rassistischen Äußerungen keine Lösungen für diese Probleme zu erwarten sind. Durch seine polemische und aggressive Rhetorik bekommt Bolsonaro Gegenwind von Frauen und der LGBT-Community (vgl. S. 9f.).

Wahlkampf

„Bolsonaros einfache Lösungen für komplexe Probleme sind mit Zweifeln an der Demokratie und mit der Verherrlichung der Militärdiktatur gewürzt. Die populistischen Rezepte richten sich an all jene, die sich längst verächtlich von der konventionellen Politik abgewandt haben.“ (S. 3)

Flemes analysiert, dass Bolsonaro durch sein rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild eine vergessene Wählergruppe erreicht, denen der gesellschaftliche Wandel der PT-Ära zu schnell voranging. Und trotzdem erreicht er auch einige Lula-Wähler durch sein väterliches Versprechen, „die Ruder in die Hand zu nehmen“. Hier findet eine starke Personalisierung statt, was Bolsonaro zugutekommt. Er hatte kein starkes Parteienbündnis hinter sich, und die Brasilianer halten ihre Parteien nicht für vertrauenswürdig (vgl. S. 4ff.).

Zudem setzt sich Bolsonaro in den Medien als Anti-Establishment-Kandidat in Szene, auch wenn er ein langjähriger Parlamentarier ist. Flemes sieht durch die Forderungen der Deregulierung, Entbürokratisierung und Steuersenkung Parallelen zu Donald Trump im Wirtschaftsprogramm. Außerdem setzt er sich in seinem Wahlprogramm nicht mit Detailfragen auseinander und sieht sich viel eher als „Trainer“ seines Landes, der gute Minister erwählen wird.

Im Wahlkampf konzentriert sich Bolsonaro geografisch auf die Wähler in kleinen und mittelgroßen Städten im Hinterland. Aber er richtet sich auch an die konservativ ländliche Elite durch die Kritik am Widerspruch zwischen hoher Steuerquote und mangelnder Bereitstellung öffentlicher Güter.

Durch die Skandale wurden für die Wahlen keine privaten Spenden zugelassen, stattdessen erhielten die Parteien öffentliche Gelder. Diese wurden an der Sitzzahl im Kongress gemessen, dadurch standen Bolsonaro mit der PSL (Partido Social Liberal) nur 0,5 Prozent zu. Ein weiterer Nachteil war, dass die TV-Wahlwerbung auch an die Stimmenanteile der Parteien gekoppelt war. Das lieferte dem Populisten noch mehr Munition, um gegen die Demokratie zu schießen. Deshalb machte Bolsonaro in den sozialen Medien Werbung und konnte mit seinen 5,9 Millionen Facebook-Fans viele Menschen erreichen. Das war der erste Wahlkampf in Brasilen, in dem die sozialen Medien eine bedeutende Rolle neben dem Fernsehen hatten (vgl. S. 10ff.).

Fazit

Auch wenn die Wahl jetzt schon einige Jahre zurückliegt, zeigt Flemes in seinem Aufsatz, dass Jair Messias Bolsonaro es geschafft hat, rechtsextreme Positionen und Autoritarismus in Brasilien wieder gesellschaftsfähig zu machen. Zudem hat der Rechtspopulist den traditionellen Lagerwahlkampf zwischen der linken Arbeiterpartei und den konservativen Sozialdemokraten aufgebrochen.

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