Mittwoch, 7. Juli 2021

Rechtspopulismus und Klimaschutz am Beispiel der AfD

In diesem Beitrag stellt Sarah Voigt folgenden Aufsatz vor:

Sturm, Georg (2020): Populismus und Klimaschutz. Der AfD-Klimadiskurs; in: Soziologiemagazin, 13. Jg., Heft 2/2020, S. 69-92, online unter: https://elibrary.utb.de/doi/pdf/10.3224/soz.v13i2.06?download=true.

Im September 2019 erklärte Alexander Gauland den Kampf gegen den Klimaschutz nach dem Euro und der Zuwanderung zur neuen Hauptaufgabe der AfD. Seitdem die „Fridays for Future“-Bewegung in Deutschland aufgekommen ist, „versucht die AfD einen Gegendiskurs zu etablieren, indem sie sowohl den Klimawandel an sich infrage stellt als auch die Klimapolitik der Bundesregierung und die klimapolitischen Positionen anderer Akteur*innen grundsätzlich kritisiert“ (S. 70).

Der Aufsatz von Georg Sturm verfolgt das Ziel, zu untersuchen, „inwiefern die AfD mit ihrem Klimadiskurs populistisches Protestpotenzial adressiert“ (S. 70). Der Aufsatz ist wie folgt aufgebaut: Zu Beginn wird geklärt, was der Begriff Populismus eigentlich bedeutet und womit begründet werden kann, dass der Populismus in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt hat. Hierbei werden drei konkrete Erklärungsansätze vorgestellt, welche schließlich im zweiten Teil als Grundlage für eine inhaltsanalytische Untersuchung dienen. In dieser werden Pressemitteilungen des AfD-Bundesvorstands zum Thema „Klima“ aus dem Jahr 2019 ausgewertet. Anhand der Ergebnisse wird abschließend die Frage beantwortet, warum die AfD den Klimawandel zur neuen Hauptaufgabe erklärt hat (vgl. S. 70f.).

Um den Begriff Populismus zu konkretisieren, zieht Sturm zunächst die Definition des niederländischen Politikwissenschaftlers Cas Mudde hinzu, nach der Populismus durch zwei zentrale Merkmale gekennzeichnet ist: Zum einen gibt es der populistischen Ideologie zufolge in der Gesellschaft zwei homogene und antagonistische Gruppen: „´the pure people´ auf der einen und ´the corrupt elite´ auf der anderen Seite“ (S. 71). Zum anderen unterstellt der Populismus, dass es einen „volonté générale“, also einen homogenen Volkswillen gäbe, welchen die Populisten vertreten (vgl. S. 71). Der Autor ist jedoch der Auffassung, dass diese Definition den Charakter der AfD verharmlost und zieht deswegen noch das „Konzept des völkisch-autoritären Populismus des Sozialwissenschaftlers Alexander Häusler“ (S. 72) hinzu.

„Dessen Charakterisierung ist geeignet, da sie richtigerweise feststellt, dass die AfD als parteipolitisches Dach verschiedener Milieus sowohl (rechts)populistische als auch autoritäre, völkisch-nationalistische und extrem rechte Positionen und Strategien in sich vereint“. (S. 72)

Im darauffolgenden Kapitel geht Sturm auf das Verhältnis von Populismus und Demokratie ein. Während die einen im Populismus eine Gefahr für die Demokratie sehen, betonen die anderen „den demokratisierenden Charakter von populistischen Ausdrucksformen“ (S. 72). Im Anschluss beschäftigt sich Sturm mit der Frage, „wieso es in den letzten Jahren zu einem Aufstieg autoritär-populistischer Parteien in Europa kommen konnte“ (S. 72). Hierfür gibt es drei zentrale Erklärungsansätze: Eine ökonomische, eine kulturelle und eine politische Erklärung.

Der ökonomische Ansatz begründet das Erstarken des autoritären Populismus mit den materiellen Folgen des mit der Globalisierung einhergehenden Strukturwandels. Zwar stieg das globale Entwicklungsniveau, jedoch stieg auch die Ungleichheit in den westlichen Industrieländern. So stiegen in Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre die Haushaltseinkommen der oberen sechzig Prozent, die der unteren vierzig Prozent stagnierten hingegen. Aus dieser Entwicklung ergaben sich Abstiegsängste, und die Sorge vor Veränderungen am Arbeitsplatz durch die Globalisierung und Digitalisierung wurde immer größer. Das Gefühl der sozialen Verunsicherung stellte den perfekten Nährboden für den Aufstieg der AfD dar (vgl. S. 73f.).

Der kulturelle Erklärungsansatz begründet den Aufstieg mit dem Wertewandel (Stichwort Post-Materialismus, Multikulturalismus und Feminismus), der mit der oben genannten Entwicklung einhergeht. Den Populismus kann man als eine Art Gegenbewegung bzw. Gegenreaktion verstehen (vgl. S. 74).

Der dritte Ansatz versucht, den Aufstieg politisch zu erklären: Er geht davon aus, dass politische Eliten eher kosmopolitisch eingestellt, die unteren und Teile der mittleren Gesellschaftsschichten hingegen kommunitaristisch. Das führt dazu, dass sich die Menschen nicht ausreichend von den Institutionen repräsentiert fühlen (vgl. S. 75f.).

Im anschließenden Kapitel stellt der Autor die Methodik seines Forschungsvorhabens vor: Sturm möchte den AfD-Diskurs zum Thema Klimaschutz unter Berücksichtigung der oben genannten Erklärungsansätze inhaltsanalytisch auswerten. Als Grundlage dienen die Pressemitteilungen des AfD-Bundesvorstands zum Thema „Klima“ (vgl. S. 76).

„Das Vorgehen stellt eine Kombination aus deduktiver Kategorienanwendung und induktiver Kategorienbildung dar“ (S. 77).

Die Analyse wird auf Basis der drei Erklärungsansätze durch drei deduktive Oberkategorien strukturiert: Ökonomische Unsicherheit, kultureller Wertewandel und politische Entfremdung. Zudem untersucht Sturm, ob und wie die drei Erklärungen zueinanderstehen (vgl. S. 77).

„Die drei Oberkategorien wurden im Zuge der Auswertung mit induktiv aus dem Quellenmaterial entwickelten Kategorien präzisiert. In Bezug auf das Abstraktionsniveau wurden alle Argumente und Stellungnahmen im Material zu den jeweiligen klimapolitischen Themen und Fragestellungen in induktive Kategorien codiert. In diesem Fall sind diese induktiven Kategorien gleichbedeutend mit sogenannten Frames.“ (S. 78)

Nachdem Sturm die Methodik vorgestellt hat, beginnt er mit der Analyse des AfD-Klimadiskurses: Die Sonderkategorie „Klimahysterie“ bildet die Grundlage für die drei Oberkategorien. Sie ist in allen drei Frames enthalten. Mithilfe der Klimahysterie versucht die AfD, den Klimaschutz als ideologisch getriebenes Projekt darzustellen. Zudem leugnet sie den Klimawandel als solchen. Hierzu liefert der Autor ein Beispiel aus einer Pressemitteilung zur Rede der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel im September 2019. In dieser wird die Schwere des Klimawandels geleugnet und dessen Ausmaße als reine Einbildung dargestellt:

„Weidel sagt, die Bundesregierung verschwende ´Abermilliarden´, um imaginierte Weltuntergänge in ferner Zukunft abzuwenden´“. (S. 79

Mit dieser Aussage wird die Klimaschutzpolitik „als rein ideologisches und vernunftbefreites Projekt geframed“ und als „Klimahysterie“ bezeichnet (vgl. S.79). Im Anschluss hebt Sturm hervor, dass außerdem die Energiewende besonders häufig angesprochen wird: Der Frame „Bürger*innen zahlen Klimaschutz“ umfasst hierbei alle Aussagen, „die auf die (vermeintlichen) finanziellen Folgen für die Bürger*innen abzielen und die Kosten von Energiewende und Klimaschutz in den Vordergrund rücken“. (S. 80)

Die Energiewende wird von der AfD häufig als „Albtraum“ für die Bevölkerung dargestellt, und die AfD betont immer wieder, „dass die ´verkorkste Energiewende´ und der ´überhastete Kohleausstieg´ die Bürger*innen ´immer tiefer in die Tasche greifen´ lasse und die Stromversorgung in Gefahr […] sei“. (S. 80) Mit solchen Aussagen versucht die AfD, besonders diejenigen Bevölkerungsschichten zu erreichen, deren Löhne in den letzten Jahren stagnierten. Zudem schürt die AfD Ängste, indem sie auf die drohende Gefährdung der Versorgungssicherheit mit Strom verweist. (vgl. S. 80).

In mehreren Pressemitteilungen betont die AfD zudem den Unterschied zwischen „normalen Leute“ und der „großstädtischen Elite“, welche sie als Feind darstellt. (vgl. S. 82) Zudem „plädiert die AfD für ´eine Umweltpolitik, die nicht alleine der Klimaindustrie dient, sondern unsere Heimat, ihre Menschen und ihre Natur schützt´“. (S. 83) Der AfD ist der heimische Umweltschutz wichtiger als der globale. Die AfD prognostiziert die Vernichtung der heimatlichen Umwelt (als Beispiel werden sterbende Vögel aufgrund von Windkraftanlagen genannt), womit Ängste geschürt werden sollen. (vgl. S. 83)

Zudem stellt der Autor fest, dass die AfD besonders häufig die ´nicht-majoritären´ Organisationen der EU kritisiert. So bezeichnet das AfD-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Limmer den Green Deal als „größte[n] und schwerwiegendste[n] Angriff auf die freie Gesellschaft in Europa seit dem Fall der Berliner Mauer“. (S. 84) In diesem Zusammenhang wirft sie der Kommission vor, ihre Kompetenzen eigenmächtig zu erweitern, und verweist auf die „gesunkene Responsivität des politischen Systems“ (S. 84). Auf der einen Seite lehnt die AfD das koordinierte Vorgehen der EU ab, auf der anderen Seite betont sie immer wieder die Begrenztheit des Klimaschutzes bei nationalem Alleingang. (vgl. S. 85)

Im Anschluss wertet Sturm die Analyse aus und geht dabei vor allem darauf ein, wie häufig welche Frames aufgetreten sind: Er kommt zum Schluss, dass der Frame „Gefährdung von Wohlstand und Arbeitsplätzen“ am häufigsten auftritt. An zweiter Stellt folgt der Frame „Bürger*innen zahlen Klimaschutz“. (vgl. S. 85) Auf Seite 86 werden die Häufigkeiten aller Oberkategorien dargestellt.

Im abschließenden Fazit werden die Forschungsergebnisse vom Autor zusammengefasst: Dabei wird festgestellt, dass „die Frames innerhalb der Oberkategorie ´ökonomische Unsicherheit´ etwa dreimal häufiger verwendet werden als die Frames der beiden anderen Oberkategorien, die etwa gleich häufig vorkommen.“ (S. 87) So wird von der AfD also besonders häufig die Angst vor ökonomischen Einbußen thematisiert und soziale Abstiegsängste adressiert. (vgl. S. 87)

Alles in allem überrascht es den Autor und auch mich als Leser dieses Aufsatzes nicht, „dass die AfD dieses Thema zur neuen Hauptaufgabe der Partei ausgewählt hat. Der Klimaschutz und der damit verbundene Strukturwandel sind mit einschneidenden Veränderungen verbunden. Daher bietet sich das Thema an, um an die Ängste der Bevölkerung vor sozialem Abstieg und Veränderung zu appellieren.“ (S. 88).

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