In diesem Beitrag stellt Lea Kopp folgenden Aufsatz vor:
Rippl, Susanne / Seipel, Christian (2018): Modernisierungsverlierer, Cultural Backlash, Postdemokratie: Was erklärt rechtspopulistische Orientierungen?; in: KZfSS - Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 70, S. 237-254, online unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s11577-018-0522-1.pdf.
Im Rahmen ihres Beitrags thematisieren Rippl und Seipel Ursachen für den Aufschwung rechtspopulistischer Orientierungen. Hierbei prüfen sie drei Hypothesen zur Erklärung der Wahlabsicht für die AfD. (vgl. S. 237) Entsprechend der gängigen Kategorisierung nehmen Rippl und Seipel eine ökonomisch-, kulturell- und politik-orientierte Ursachenanalyse vor. Zu beachten ist, dass die verschiedenen Ursachen im Zusammenspiel betrachtet werden müssen. (vgl. S. 239)
Ökonomisch-orientierte Perspektive (Modernisierungsverlierer-These)
Innerhalb der ökonomisch-orientierten Perspektive spielen Globalisierungsprozesse und die damit einhergehende Modernisierung eine große Rolle. In diesem Zusammenhang stehen soziale Abstiegsängste und Gefühle der ökonomischen Deprivation. (vgl. S. 239) Daher stellen Rippl und Seipel in Bezug auf die Wahlabsicht für die AfD folgende Hypothese auf:
„Materielle Deprivation und ökonomische Bedrohungsgefühle mobilisieren die Sympathie für die AfD“ (Modernisierungsverlierer-Hypothese, S. 240).
Die Mobilisierung wird zudem durch die politische Strategie der „Kulturalisierung“ von Konflikten, welche die AfD häufig verwendet, verstärkt (vgl. S. 242).
„Der AfD ist es gelungen, soziale Konflikte als kulturelle Konflikte darzustellen und Verteilungskämpfe (etwa die Folgen zunehmender sozialer Ungleichheit, die Verteuerung von Wohnraum, Armut) zu kulturellen Kämpfen umzudefinieren, wobei Zuwanderung und Flüchtlinge für Entwicklungen verantwortlich gemacht werden, die tatsächlich die langfristigen Folgen einer neoliberalen Politik darstellen“ (S. 251).
Kulturell-orientierte Perspektive (cultural backlash-These)
Die kulturell-orientierte Sichtweise blickt auf kulturelle Veränderungsprozesse und damit einhergehende Ängste und Bedrohungsgefühle. So wird ein hohes Maß an Diversität und Toleranz vereinzelt als eine Gefahr für das traditionelle Wertesystem wahrgenommen. Aufgrund der Angst vor „Überfremdung“ im eigenen Land ist in diesem Zusammenhang eine Ablehnung von Zuwanderung und Multikulturalismus charakteristisch.
Aber auch andere Themenfelder, wie beispielweise die Emanzipation der Frau oder die Ehe für alle, stehen im Widerspruch zu den traditionellen Wert- und Ordnungsvorstellungen und werden daher vereinzelt als Bedrohung bzw. kultureller Rückschlag wahrgenommen. (vgl. S. 240) Hieraus folgt die cultural backlash-Hypothese:
„Kulturelle Bedrohungsgefühle mobilisieren die Sympathie für die AfD“ (S. 240).
Politik-orientierte Perspektive (Postdemokratie-These)
Aus der politik-orientierten Perspektive stellten Rippl und Seipel die Postdemokratie-Hypothese auf. Demnach „erweisen sich die Politikverdrossenheit und die Unzufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie als wichtige Prädiktoren für die Sympathie für die AfD“ (S. 241). So stehen viele Wähler*innen rechtspopulistischer Parteien den etablierten Parteien skeptisch und ablehnend gegenüber und beklagen den Rückbau des demokratischen Einflusses. Sie fühlen sich politisch nicht repräsentiert, machtlos und abgehängt. (vgl. S. 241)
Mittels einer Analyse von zufällig auserwählten Stichproben der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage (ALLBUS) sollen die gebildeten Hypothesen geprüft und ein Profil der Personen erstellt werden, die der AfD zugeneigt sind. (vgl. S. 243)
Auf dieser Datenlage basierend charakterisieren Rippl und Seipel AfD-Sympathisanten als vorwiegend männlich mit einem niedrigen bis mittleren Bildungsniveau. Nicht nur das Bildungsniveau, sondern auch die Schichtzugehörigkeit und das Einkommen sind leicht unter dem Durchschnitt. Auch ihre wirtschaftliche Lage bewerten sie pessimistischer als die Personengruppe, die keine Wahlabsicht äußert. Aufgrund der dennoch bestehenden Heterogenität der AfD-Wählerschaft ist zu betonen, dass sich diese nicht ausschließlich aus den unteren Schichten der Gesellschaft zusammensetzt. (vgl. S. 245f.)
Im weiteren Verlauf betonen Rippl und Seipel den Einfluss des Bildungsniveaus auf die Entwicklung von Bedrohungswahrnehmungen. Es zeigt sich zudem, dass die cultural backlash-Hypothese mit ihren kulturellen Faktoren die bedeutsamste Mobilisierungsquelle darstellt. Die Modernisierungsverlierer- und Postdemokratie-Hypothese spielen für die Hinwendung zur AfD zwar auch eine Rolle, zeigen jedoch im Vergleich zu kulturellen Bedrohungsängsten eine geringere Wirkung. (vgl. S. 247f.)
Darüber hinaus beleuchten Rippl und Seipel die Radikalisierungsthese, wonach sich „die politischen Ansichten der ‚Mitte‘ (…) in den letzten 20 Jahren nach rechts verschoben und radikalisiert“ hätten (S. 242). Nach dieser These sei vor allem die (untere) Mittelschicht vom möglichen Abstieg bedroht, weshalb sie eher zur Unterstützung konservativer und rechter Bewegungen neige. (vgl. S. 241)
Als besonderen Indikator ziehen Rippl und Seipel Veränderungen im Bereich fremdenfeindlicher Haltungen heran (vgl. S. 248). Im Gegensatz zur These hat der Anteil fremdenfeindlicher Haltungen in der Mitte jedoch nicht zugenommen. Radikale Ansichten vertritt daher nur ein kleiner Anteil der sonst politisch heterogenen Mitte. (vgl. S. 250)
Ausgangspunkt waren drei Ansätze für die Erklärung der Wahlabsicht für die AfD. Sowohl von der Modernisierungsverlierer-These als auch von der Postdemokratie-These lassen sich Effekte nachweisen. Die cultural backlash-These und damit einhergehende kulturelle Bedrohungsgefühle ist jedoch für die Erklärung der Wahlabsicht für die AfD am bedeutsamsten. Durch die Schaffung klarer Feindbilder und die „Kulturalisierung“ von Ängsten schafft es die AfD, Wähler für sich zu gewinnen. (vgl. S. 250f.)
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