Sonntag, 18. Juli 2021

Rechtspopulismus und Religion

In diesem Beitrag stellt Carlotta Koch folgenden Text vor:

Hidalgo, Oliver / Hildmann, Philipp W. / Yendell, Alexander (2019): Religion und Rechtspopulismus; in: Argumentation Kompakt 3/2019, Hanns-Seidel-Stiftung, online unter: https://www.hss.de/publikationen/religion-und-rechtspopulismus-pub1422/.

In ihrem Artikel stellen die Autoren sechs Thesen zum Verhältnis von Rechtpopulismus und Religion vor, woraus sich ein konkreter Handlungsbedarf für die aktuelle Politik mit christlicher Verantwortung ableiten lässt.

1. These: Die Religion betrifft eine Schlüsselfrage in der politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus.

Durch die beiden Hauptmerkmale fast aller rechtspopulistischen Parteien, die Inanspruchnahme des christlichen Erbes und die anti-islamische Rhetorik, versprechen sich rechtspopulistische Akteure einen Zuwachs an Legitimität. Während sich gemäßigte konservative Parteien in der Regel den christlichen Werten verpflichtet fühlen, rückt der Rechtspopulismus meist von den Kernbotschaften des Christentums ab und beansprucht die Religion lediglich als Identitätsmarkierung.

Dabei erheben Rechtpopulisten ihre politischen Ziele selbst zum Gegenstand religiöser Verehrung. Um ihrer oftmals rassistischen, fremdenfeindlichen und völkischen Rhetorik „einen Anschein von Legitimität zu verleihen“ (S. 2), benötigen sie „die“ Muslime und „den Islam“ als Feindbild.

2. These: Die Inanspruchnahme der christlichen Religion durch rechtspopulistische Akteure erfolgt primär aus strategischen Gründen.

Rechtspopulistische Parteien instrumentalisieren das Christentum auf unterschiedliche Weise. Durch die Berufung auf das Christentum verharmlost und relativiert beispielsweise die AfD ihre extreme Position und migrationsfeindlichen, islamophoben und nationalistischen Haltungen und stellt diese als gesamtgesellschaftliches Interesse dar. Zudem wird dadurch verschleiert, dass die meisten Repräsentanten der AfD weder religiöse noch kirchliche Bindungen aufweisen. So versuchen sie, „auch für die gesellschaftliche Mitte wählbar zu sein“ (S. 3).

Die Lega in Italien inszeniert sich als „Verteidiger christlicher Identität“ (S. 3) und relativiert die Ausgrenzung anderer Glaubensgemeinschaften und die Ablehnung liberaler Ideen durch den Bezug auf das Christentum. Ziel ist es, „den“ Islam als „Widerspruch zu den europäischen Idealen zu stilisieren“ (S. 3). Marine Le Pen, Vorsitzende des Rassemblement National in Frankreich, hingegen tritt demonstrativ für die laïcité, den Säkularismus, ein und kann so „den“ Islam leichter als Fremdkörper herausstreichen.

3. These: Die Haltung zu Demokratie und Religionsfreiheit markiert den zentralen Unterschied von konservativ-christlichen und rechtspopulistischen Positionen.

Zwischen konservativ-christlichen und rechtspopulistischen Positionen existieren Überschneidungen, wie beispielsweise „die positive Bewertung konventioneller Geschlechterrollen, das Bekenntnis zu einer abendländischen Identität (…) sowie eine eher restriktive Migrationspolitik“ (S. 3). Den zentralen Unterschied stellt dagegen die Haltung zur Religionsfreiheit und Demokratie dar.

Rechtspopulisten betreiben weit häufiger „Anti-Islamismus und Diskriminierung von Muslimen zugunsten der eigenen Glaubensgemeinschaft“ (S. 3). Ebenso missbrauchen sie das Christentum, um davon abzulenken, dass „die von ihnen als antielitär und basisdemokratisch dargestellte Volksherrschaft nicht wirklich zu den ansonsten an den Tag gelegten anti-egalitaristischen Autoritätsvorstellungen passen“ (S. 3).

Die programmatische Flexibilität im Sinne einer „Catch all-Partei“ (S. 3) ist dabei der Versuch, „das Label des Extremismus abzustreifen“ (S. 3).

4. These: Die Abwertung des Islam durch Rechtspopulisten bei gleichzeitiger Bezugnahme auf christliche Werte ist emotional konnotiert und insofern sozialpsychologisch zu erklären.

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen: „Islam- und muslimfeindliche Einstellungen lassen sich primär auf Ängste und Bedrohungsgefühle in der Mehrheitsbevölkerung zurückführen“ (S. 4). Besonders relevant ist dabei die symbolische Bedrohung, also die Angst, dass die „eigenen Werte und Weltanschauungen in Gefahr geraten und nicht mehr kulturell reproduziert werden“ (S. 4).

Rechtspopulisten befördern die Spaltung, indem sie „die Erfolge des politischen Islam übertreiben und mit dem Verlust „westlicher Werte“ gleichsetzen“ (S. 4). Dadurch kommt es auf beiden Seiten zu „Abgrenzungs- und Radikalisierungsprozessen“ (S. 4), welche zu einer Spirale der Gewalt führen können.

Zusätzlich finden sich „überdurchschnittlich viele Menschen mit autoritären Einstellungsmustern und narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen (im) Wählerkreis der islamfeindlichen AfD“ (S. 4), womit oftmals ein Mangel an Empathie einhergeht. Die Demokratie ist jedoch auf die Empathie der Bürger angewiesen. Deshalb sollte die Politik wie auch die politische Bildung bestehende Ängste abbauen und soziale Empathie fördern.

5. These: Die (pseudo-)religiöse Note des Rechtspopulismus besitzt eine starke Affinität zum Säkularismus, nicht zu einer authentischen „Religionsfreundlichkeit“.

Rechtspopulisten äußern ihre „Forderungen zur Diskriminierung von Muslimen nicht offen antiliberal, sondern als fadenscheinige Verteidigung des Liberalismus gegen einen angeblich (…) antiliberalen Islam“ (S. 5). Dabei schüren sie bewusst vorhandene Ängste indem sie „den“ Islam als kulturalisiert, homogenisiert und stark problematisiert und ihn wie auch „den“ Westen als gegensätzliche, abgeschlossene Einheiten darstellen.

So können rechtspopulistische Akteur*innen muslimische Stimmen marginalisieren und „das Problem antimuslimischen Rassismus ausblenden“ (S. 5). Religion wird so zu einem Identitätsmerkmal degradiert, das Zugehörigkeit unabhängig von religiösen Glaubensinhalten vermittelt („belonging without believing“ (S. 5)).

6. These: Eine Politik aus christlicher Verantwortung muss die identitätspolitische Falle, in die Rechtspopulisten die Religion stoßen wollen, vermeiden.

„Einseitig zugespitzte, verkürzte Debatten wie die missverständliche Frage, ob „der“ Islam zu Deutschland gehört oder nicht, laufen Gefahr“ (S. 5), die von Rechtspopulisten bewusst verwendete Vereinfachung performativ zu übernehmen. Dazu gehört die Ansicht, der „Glaube an eine bestimmte Religion würde die Identität von Individuen ultimativ determinieren“ (S. 5), wie auch die Verkennung der Vielfalt an Glaubensgemeinschaften.

Die Herausforderung ist, die von rechtpopulistischen Akteuren erschaffenen Freund-Feind-Bilder nicht auf „den Bereich des Religiösen abfärben zu lassen“ (S. 6), die „Verschiedenartigkeit auf dem religiösen Sektor anzuerkennen“ (S. 6) und im Sinne einer christlichen Identität „jeder rechtspopulistischen Identitätspolitik mitsamt ihren simplen Polarisierungen entgegenzuwirken“ (S. 6).

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