Dienstag, 1. Juni 2021

Identitäre Bewegung und Ernst Jünger

In diesem Beitrag stellt Adrian Rudolph folgenden Aufsatz vor:

Marty, Christian (2019): Arbeiter statt Anarch: Die Identitäre Bewegung rezipiert Ernst Jünger; in: sub\urban. Zeitschrift für Kritische Stadtforschung, 7(1/2), S. 203–210, https://doi.org/10.36900/suburban.v7i1/2.467.

In dem Artikel „Arbeiter statt Anarch – Die Identitäre Bewegung rezipiert Ernst Jünger“ analysiert Marty die stark ausgeprägte Bezugnahme der Identitären Bewegung auf den deutschen Schriftsteller Ernst Jünger. Im Folgenden möchte ich die wichtigsten Aussagen des Artikels zusammenfassen.

Zunächst einmal betont Marty, dass die Identitäre Bewegung nicht als eine etablierte Partei oder als eine starre Organisation, sondern vielmehr als ein homogener Verbund von Rechtsextremen mit nationalistischer Weltanschauung zu verstehen ist. Dabei beschränken die Mitglieder sich jedoch nicht nur auf den intellektuellen Austausch, sondern treten in der Öffentlichkeit regelmäßig mit einem zielgerichteten Aktivismus auf.

Obwohl es für eine Bewegung mit sowohl rechtem als auch städtischem Profil schwer ist, in der Geistesgeschichte Vorreiter zu finden, suchen viele Anhänger der Identitären Bewegung vor allem in Ernst Jünger ihren „Ahnherren“. Bei genauerer Betrachtung von Jüngers Biografie wird klar, dass dies nur durch eine überaus selektive Rezeption des Schriftstellers möglich ist. Seine Biografen sind sich einig, dass sich Jüngers Werke, welche über eine Schaffenszeit von über acht Jahrzehnten entstanden sind, nicht auf einen einzigen Begriff reduzieren lassen.

Jünger hebt im Laufe seines Lebens – dahin vergleichbar mit Friedrich Nietzsche – eine Vielzahl von unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Aspekten hervor: In den 1920er-Jahren ist Jünger von dem „Arbeiter“, einem opferbereiten Mitgestalter der neuen Welt, fasziniert. Direkt nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 distanziert sich Jünger von den politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen der Zeit und wendet sich einem neuen Typen, dem „Anarch“, zu. Später idealisiert er in der Figur des „Waldgängers“ einen der Natur zugewandten Typen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass sich der Bezug der Identitären Bewegung auf Ernst Jünger in einem klassischen Sinne als Instrumentalisierung bezeichnen lässt.

Vor allem die Werke Jüngers, welche in den 1920er- sowie zu Beginn der 1930er-Jahre entstanden sind, erfreuen sich bei den zentralen Akteuren der Identitären Bewegung an Beliebtheit. Dazu gehören der 1932 erschienene Essay „Der Arbeiter“, die 1929 veröffentlichte Polemik „Das abenteuerliche Herz“ sowie die 1926 publizierte Streitschrift „Großstadt und Land“. Vor allem der in diesen Schriften auftauchende nationalistische, chauvinistisch-heimatliebende Charakter sowie der urbane, modernistische und technikbewusste Charakter Jüngers trifft bei den Anhängern der Identitären Bewegung auf großes Interesse.

Ernst Jünger sieht die Großstadt in dieser Zeit als idealen Raum für die "nationalistische Revolution" und nennt dafür drei Gründe: In intellektueller Hinsicht die durch Medienkonzerne gesteigerte Öffentlichkeitswirkung, in einer politischen Hinsicht die unmittelbare Nähe der Staatsmacht und in ökonomischer Hinsicht die Nähe zur Wirtschaftsmacht. Jünger ist in den 1920er-Jahren vor allem als Feind der Demokratie und der Weimarer Republik zu verstehen und stellt dieser einen „Nationalismus der Tat“ entgegen, den er in Form von nationalistischen, urbanen, heeres- und ordensähnlich organisierten Gruppierungen herbeisehnt und welcher wiederum bei den Mitgliedern der heutigen Identitären Bewegung auf offene Ohren stößt.

Diese erkennt sich in der von Jünger beschriebenen Rolle der schlagkräftigen Einheit wieder, welche vor allem in den urbanen Ballungsräumen des deutschsprachigen Raums agiert, um nationalistische Propaganda publik zu machen. Zusammenfassend lässt sich also ein äußerst selektiver, jedoch zugleich äußerst strenggläubiger Bezug der Identitären Bewegung auf Ernst Jünger feststellen.

Dass sich Jünger bereits ab dem Jahr 1933 von seinen nationalistischen Parolen sowie seiner Vorliebe für das „Moderne“ und „Großstädtische“ abwendet, scheint von Mitgliedern der Identitären oft strategisch überlesen zu werden. Die Position Jüngers als „Anarchen“, der sich als Grenzposten des Niemandslandes sieht, ist für eine nationalistische, aktivistische Bewegung, wie sie die Identitäre Bewegung darstellt, schlichtweg uninteressant.

Dabei ist der Wandel in der Position Jüngers besonders zu betonen, denn in seinem Spätwerk blickt er auf seine Lebensgeschichte zurück und bezeichnet seinen nationalistischen Aktivismus schlichtweg als Fehler. Ernst Jünger ist hierbei freilich nicht aus der Schuld zu nehmen, welche er mit der massiven Entgleisung in seinem Frühwerk auf sich geladen hat, verdient jedoch eine differenzierte Betrachtung und keine Instrumentalisierung für identitäre Strategien.

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