Mittwoch, 23. Juni 2021

Rechtspopulismus in Ungarn und jüdische Gemeinschaften

In diesem Beitrag stellt Grace Quante folgenden Aufsatz vor:

Hrotkó, Larissza (2021): Jüdische Gemeinschaften im Kontext des ungarischen Rechtspopulismus und Ethnonationalismus; in: Anti-Genderismus in Europa, edited by Sonja A. Strube, Rita Perintfalvi, Raphaela Hemet, Miriam Metze and Cicek Sahbaz, transcript Verlag, S. 201-214, https://doi.org/10.14361/9783839453155-015.

Dieses Kapitel aus dem 2021 erschienenem, Sammelband „Anti-Genderismus in Europa“ befasst sich mit dem Zusammenhang von Religion, genauer gesagt dem Judentum, und Rechtspopulismus in Ungarn. Larissza Hrotkó geht hierbei auch auf geschichtliche Ereignisse ein, um die heutige "politische Instrumentalisierung des Glaubens von rechts außen" (Hrotkó, S. 201) zu erläutern.

Zunächst werden die Begriffe Rechtspopulismus und Ethnonationalismus definiert. Ein Merkmal der Rechtspopulist*innen ist es, "im Interesse der ›einfachen Leute‹ zu handeln." (Hrotkó, S. 201). Sie unterstützen aber ausschließlich die Gleichgesinnten. Des Weiteren wird mit den Emotionen der Wähler*innen gespielt und es werden simple Lösungen für komplexe Probleme angeboten.

Zu den Feindbildern der Rechtspopulisten gehören zum einen "die korrupten Eliten", zum anderen Migrant*innen. In Bezug auf Letztere wird ein Bedrohungsszenario verbreitet: angeblich ist die ungarische Kultur gefährdet. Diese Anschauung vertritt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, was sich auch in der Migrationspolitik zeigt.

"Demokratische Werte wie die multikulturelle Gesellschaft und die Toleranz werden von Orbáns Regierung als Zeichen des Niedergangs der westlichen Ideologie dargestellt." (Hrotkó, S. 210).

Um zu verstehen, was mit dieser westlichen Ideologie gemeint ist, ist es hilfreich, die verschiedenen Definitionen des Nationalismus anschauen.

"Anthony D. Smith unterscheidet zunächst recht konventionell zwischen einem westlichen Typus von Nation – »›civic‹ model of the nation« mit historischem Territorium und demokratischer Verfassungsordnung als Kernelementen – und dem nicht-westlichen, der Nation als ethnische Konzeption im Sinne von Abstammungsgemeinschaft begreife (»›ethnic‹ conception of the nation«)." (Dieter Langewiesche, zit. nach Hrotkó).

Viktor Orbán ist seit langer Zeit Vorsitzender der ethnonationalistischen Partei Fidesz. Er betont oft historische Wunden (indem er unter anderem Verschwörungstheorien verbreitet) und "die bedauerlichen aktuellen Verletzungen der Nationalgefühle der Ungar*innen"(Hrotkó, S. 204), beispielsweise das Verbot der ungarischen Sprache im öffentlichen Raum in der Ukraine.

Im nächsten Abschnitt blickt die Autorin historisch zurück. Dieser Rückblick ist relevant, da er auf die Rolle der katholischen Kirche eingeht, die der jüdischen Religion gegenübersteht. Viele Angehörige einer Religion (beispielsweise Juden), die nicht zur dominierenden Religion im Land gehören, erfahren Diskriminierung. "Das Endziel solcher Diskriminierung kann die Vernichtung der ausgestoßenen Gruppen sein" (Hrotkó, S. 205).

"Die Gegenüberstellung von ›Jüdischem‹ und ›Ungarischem‹ ist als ein wesentlicher Charakterzug des ungarischen Ethnonationalismus und Rechtspopulismus zu betrachten." (Hrotkó, S. 207).

In Ungarn verändern Rechtspopulist*innen gerne gezielt geschichtliche Ereignisse. Ein Beispiel dafür ist die Leugnung der Mitschuld an der Deportation und Tötung von Juden im Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig findet man immer mehr "Denkmäler für antisemitische Politiker des idealisierten Horthy-Regimes im Land" (Hrotkó, S. 207). Dieses autoritäre Regime von Miklós Horthy (1868-1957) existierte von 1920 bis 1945.

Die Partei Fidesz behauptet, dass das ungarische Volk wieder solch eine Nationalregierung will. Aufgrund von Populismus und Ethnonationalismus kommt es zu mehr ethnisch und religiös motivierten Konflikten. Dazu gehören die Ausbreitung von Antisemitismus und die zunehmende Verbreitung von Verschwörungstheorien über Juden. Viktor Orbán fühlt sich nicht dafür verantwortlich. Er "präsentiert sich gern als Beschützer des ungarischen Judentums" (Hrotkó, S. 209).

Ein Beispiel für die Ausbreitung von Antisemitismus und die zunehmende Verbreitung von Verschwörungstheorien sind die verbalen Attacken des Anführers der rechtsradikalen Partei Unsere Heimat am 2. März 2020, in denen Juden als Sündenböcke für ungarische Misserfolge beschuldigt wurden.

"Der Vorwurf der jüdischen Beteiligung an der ungarischen Räterepublik des Jahres 1919, wo 18 von 26 Kommissaren tatsächlich jüdisch waren, ist eine der beliebtesten rechtspopulistischen rhetorischen Strategien in Ungarn." (Hrotkó, S. 207).

Um das Judentum in Ungarn konkreter zu beschreiben: das traditionelle Judentum Ungarns ist neolog. "Es wird durch die Union ungarischer jüdischer Gemeinschaften (Magyarországi Zsidó Hitközségek Szövetsége, kurz: Mazsihisz) vertreten." (Hrotkó, S. 208). Mazsihisz verteidigt sich öffentlich, in Form von Protesten beispielsweise, gegen Rechtsverletzungen und den verbreiteten Verschwörungstheorien, "was zu häufigen Auseinandersetzungen mit der Regierung führt." (Hrotkó, S. 208).

In Ungarn lebt in Opposition zu den Mazsihisz die von Chabad Lubavitsch inspirierte orthodoxe Vereinigte Israelitische Gemeinschaft Ungarns (Egységes Magyarországi Izraelita Hitközség, kurz: Emih). Aus politischen Gründen erfährt Emih "größere Sympathie innerhalb der ungarischen Regierung als Mazsihisz. Emih zögerte nicht, mit der Orbán-Regierung zu kooperieren, um Mazsihisz als traditionelle jüdische Gemeinschaft zu diskreditieren." (Hrotkó, S. 208).

Die konservativen Vorstellungen der regierenden Parteien (Fidesz und KNDP) über die Rolle der Frau gleicht den Vorstellungen "der jüdischen Neo-Orthodoxie Ungarns" (Hrotkó, S. 209). Die Frau ist da, um Kinder zu gebären und zu erziehen. Erlaubt ist die Zweigeschlechtlichkeit, und es werden keine "Gender-Neuerfindungen" geduldet.

Wie kann man gegen diese rechtsradikalen Parteien vorgehen? Die Autorin schildert das Problem, dass man nazistische Gruppierungen verbieten kann, aber dass diese meist wieder in einer neuen Form beziehungsweise unter einem neuen Namen auftauchen. Das Verbot ändert schließlich nicht, wofür diese Menschen stehen und kämpfen.

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