Freitag, 11. Juni 2021

Mit direkter Demokratie gegen Populismus?

In diesem Beitrag stellt Leon Glückert folgenden Aufsatz vor:

Stojanovic, Nenad (2018): Direkte Demokratie gegen Populismus; in: Sozialalmanach 2018: Wir und die Anderen: Nationalismus. Luzern: Caritas-Verlag, online unter: https://nenadstojanovic.ch/wp-content/uploads/2018/02/Stojanovic_2018_DDgPopulismus.pdf 

Dr. Nenad Stojanovic von der Universität Luzern behauptet, dass „eine lebendige Direkte Demokratie den Erfolg populistischer Bewegungen konstant und strukturell untergraben [kann]“ (Stojanovic 2018). Anhand der vorliegenden These besteht das Ziel des Essays darin, die allgemeine Skepsis vor einer direkten Demokratie abzumildern bzw. gänzlich zu nehmen.

Ein gelungenes Beispiel für direkte Demokratie bildet für Stojanovic das Schweizer Modell, insbesondere mit seinen Instrumenten „Volksinitiative und faktitives Referendum“ (Stojanovic 2018). Ob es nun der Föderalismus, Neutralität oder das Bankgeheimnis war, alle wurden in den letzten Jahren stark reformiert. Die Direkte Demokratie hingegen gilt nach wie vor als „heilige Kuh“ der Eidgenossenschaft (vgl. Stojanovic 2018).

Im Hinblick auf benachbarte Staaten steht die Schweiz mit ihrem Modell und dessen Beliebtheit relativ exponiert da. Nahezu alle europäischen Staaten fürchten sich mehr oder weniger vor mehr direkter Beteiligung bei politischen Entscheidungen, obwohl die Nachfrage innerhalb der Bevölkerung relativ hoch ist. Umfragen zufolge wünschen sich allein in Deutschland knapp 72% der Befragten mehr Elemente direkter Demokratie wie Volksabstimmungen (vgl. RND 2017).

Nach Stojanovic gibt es zweierlei Gründe für die große Skepsis vor direkter Demokratie. Erstens fürchten sich vor allem die akademischen, wirtschaftlichen und politischen Eliten innerhalb der Länder, dass es zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse kommen könnte (Stojanovic 2018), falls man mehr Elemente direkter Demokratie einbauen würde. Davon könnten Populisten profitieren und eine Demokratie womöglich untergraben werden.

Der zweite Grund basiert darauf, dass die meisten Populisten selbst mehr direkte Demokratie fordern. Ob nun die UKIP (UK Independence Party), Schwedendemokraten oder die AfD (Alternative für Deutschland) fordern sie allesamt mehr direkte Demokratie. Ein AfD-Politiker ging sogar so weit, dass er eine „Verschweizerung Deutschlands“ forderte (Stojanovic 2018). Stojanovic nennt in vier Abschnitten, was für eine direkte Demokratie spricht, welche Reformen es bedarf und was man tun könnte, um populistischen Strömungen entgegenzuwirken.

Volk ist nicht homogen

Das wohl bekannteste Muster von Populisten ist ihre Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen. Nach Jan-Werner Müller lautet deren Anspruch stets „Wir - und nur wir - vertreten das wahre Volk“ (Müller, 2016 ,S. 129). Populisten sehen das Volk also immer als Einheit bzw. homogen an, welches sich stets gegen die korrupten Eliten auflehnen möchte. Fakt ist jedoch, dass man die Meinung der gesamten Masse nie gänzlich erfassen und reproduzieren kann. Daraus folgernd ist es für populistische Parteien auch so einfach, „im Namen des Volkes“ zu argumentieren, da man schlichtweg nicht weiß, wie dieses Volk letzten Endes argumentieren bzw. abstimmen würde (vgl. Stojanovic 2018).

Ventilfunktion von Volksinitiativen 

Bezogen auf die Schweiz sorgten Volkinitiativen dafür, dass die Bürger eine Art Ventilfunktion innehatten, um ihrem Frust Gehör zu verschaffen. Stojanovic ist der Ansicht, „wer mitentscheiden darf, schürt nicht unbedingt Ängste und Konflikte auf der Straße“. Denn mit dem Blick auf Deutschland haben wir hierzulande mit wesentlich schlimmeren Gruppierungen (z.B. PEGIDA) zu kämpfen als die Schweiz. Womöglich ist ein „Ja oder Nein“ alle paar Jahre zu wenig, um das Gefühl zu haben, etwas verändern zu können. Dadurch kommt es erst zur Bildung einiger gefährlicher Gruppen.

Gründe zur Skepsis gegenüber der direkten Demokratie

Eine direkte Demokratie wird auch deshalb eher abgelehnt, da man Angst hat, dass eine dumme und ignorante Mehrheit von Bürgerinnen und Bürgern den „sachpolitischen Akademikern“ den Rang abläuft. Im Grunde ist es so, dass es auch in repräsentativen Demokratien zu dummen oder fraglichen Entscheidungen kommen kann. Als Paradebeispiel zählt Stojanovic die nationalsozialistische Partei Deutschlands auf, welche im Juli auf 37% und auf 33% im November 1932 kam.

Ein anderes Beispiel bildet Bosnien, wo im November 1990 75% der wahlberechtigten Menschen den ethnonationalistischen Parteien ihre Stimme gegeben hatten. „Wenige Monate später brach der schlimmste Krieg in Europa seit 1945 aus“ (Stojanovic 2018).

Folglich gibt es immer einen ungebildeten Teil, eine überrepräsentierte Gruppe (z.B. hoher Männeranteil von Abgeordneten im Bundestag, Juristen & Lehrer etc.) oder ignorante Menschen. Dies hat jedoch nicht zwangsläufig etwas mit dem Demokratiemodell zu tun.

Reformbedarf

Bei all den positiven Aspekten darf man jedoch nicht außer Acht lassen, dass auch die Direkte Demokratie (schweizerischer Kontext) Reformen benötigt. „Die Vorprüfung der Volksinitiativen und Transparenz bei der Finanzierung der Unterschriftensammlung und Abstimmungskämpfe“ (ebd. 2018) müssen einer Reform unterzogen werden, damit es nicht zu einem Machtmonopol durch bestimmte Gruppen kommen kann.

Ausblick

Direkte Demokratien sind kein Steilpass für Populisten (ebd. 2018). Sie können als Ventil für abgehängte Bürger oder den Volkszorn bestimmter Gruppen dienen. Darüber hinaus ist es ein Mythos, dass ein Volk homogen ist und gänzlich schlechte bzw. einseitige Entscheidungen treffen wird. Daraus resümierend ist die direkte Demokratie Risiko und Chance zugleich (vgl. ebd. 2018).

Ein sinnvolles Modell (bezogen auf Deutschland) wären direktdemokratische Elemente, welche zunächst auf lokaler Ebene eingeführt werden, und man dann die daraus resultierenden Effekte beobachten und auswerten kann. Schließlich muss sich die Bevölkerung an neue Instrumente zunächst gewöhnen, ehe man weitere Schritte wagt.

Literatur (innerhalb des Aufsatzes):

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