Samstag, 26. Juni 2021

Sorgen und Ängste als Ursachen für Populismus?

In diesem Beitrag stellt Maren Dümeland folgenden Aufsatz vor:

Droste, Luigi (2019): Treiben Sorgen und Ängste den »populistischen Zeitgeist«? Eine Untersuchung von Erscheinungsformen, Verbreitung und Determinanten populistischer Einstellungen; in: Lübke/Delhey (Hrsg.): Diagnose Angstgesellschaft? Was wir wirklich über die Gefühlslage der Menschen wissen, transcript Verlag, S. 223-254, online unter: ResearchGate.

Populismus scheint sich in den westlichen Demokratien des 21. Jahrhunderts immer weiter zu etablieren. Es bildet sich ein „populistischer Zeitgeist“ (Mudde) und der Anteil von Wählern populistischer Parteien steigt. Wie kommt es zum Aufstieg der Parteien? Wer sind die Wähler und was treibt sie an? Diesen Fragen geht Luigi Droste in seiner 2019 veröffentlichten Untersuchung nach.

Als ein Grund werden „Ängste und Sorgen als Treiber der Popularität des Populismus“ genannt (S. 223): Statussorgen bei Teilen der gesellschaftlichen Mitte, bei der Globalisierung nicht mithalten zu können. Diese Angst führt zum Sympathisieren und Wählen populistischer Parteien. Bisher finden sich in der Literatur wenig empirische Studien über den Zusammenhang zwischen Populismus und Ängsten und Sorgen der Gesellschaft. Auch andere Stimmungslagen wie Frustration und Hilflosigkeit können eine Rolle spielen und werden in die Untersuchung miteinbezogen.

Im ersten Abschnitt klärt Droste die Frage, was Populismus ist und wie er messbar gemacht werden kann. Anhand von Erklärungen bisheriger Untersuchungen leitet Droste seine Forschungsfragen ab und gibt einen Überblick über seine Methode und Daten. Der Präsentation seiner Ergebnisse folgt eine Diskussion für weitere Forschungen auf diesem Gebiet.

Was ist Populismus?

Droste hält sich in seiner Definition an Cas Mudde und sein Verständnis des Populismus als eine „dünne Ideologie“, mit den Kernelementen des Anti-Pluralismus („zwei in sich homogene und konträre Gruppen“), Anti-Elitismus („reines Volk gegen korruptes Establishment“) und dem Glauben an „Volkssouveränität“ („Alleinvertretungsanspruch für das Volk“).

Während Populismus gewöhnlich über die Identifikation mit einer Partei oder Wahlprognosen operationalisiert wird, misst das von Droste gewählte Erhebungsinstrument Populismus entlang der drei bereits genannten populistischen Kernelemente . Er ermittelt also „ eine populistische Einstellung bzw. den populistischen Zeitgeist innerhalb der Wählerschaft als graduelles Merkmal“ (S. 226).

So können auch Nicht-Wähler und Unentschlossene in die Studie miteinbezogen werden. Es wird so das populistische Potenzial der Gesellschaft erfasst. Bisher wurde laut Droste nur in Belgien eine Studie zu möglichen Aspekten für eine populistische Einstellung innerhalb der Bevölkerung durchgeführt.

Warum ist Populismus so populär?

Droste geht der Frage nach, inwieweit die Ängste und Zukunftssogen der Grund für die Attraktivität des Populismus sind. Dieser „Statussorgenthese“ stellt Droste zwei weitere Erklärungsansätze gegenüber, die in der Literatur viel diskutiert werden: die „relative Deprivationsthese“, damit wird das Gefühl beschrieben, „ nicht das zu bekommen, was einem eigentlich rechtmäßig zusteht“ (S. 224), sowie die „Komplexitätsthese“. Diese beschreibt „die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit und Kontrolle“.

Statussorgen zeigen sich vermehrt in der Mittelschicht. Wahluntersuchungen zeigen, dass ein großer Anteil populistischer Wähler aus der mittleren Schicht unserer Gesellschaft stammt. Es stellt sich damit die Frage, ob sich ein empirischer Zusammenhang herstellen lässt. Sowohl Untersuchungen der Wählerschaft Trumps als auch der AfD zeigen, dass die Ängste um die eigene Zukunft größer sind als bei anderen Parteien. Populistische Parteien bilden eine neue Form der Gemeinschaft. Durch ein entstehendes Zusammengehörigkeitsgefühl, werden Sorgen geteilt und jedes Individuum gestärkt.

Bei der Deprivation handelt es sich um ein Gefühl der Schlechterstellung gegenüber Anderen, aus dem eine Unzufriedenheit resultiert. Wenn der eigene soziale Status als niedrig wahrgenommen wird, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, rechtspopulistische Parteien zu wählen. Dies zeigen internationale Umfragen. Es fehlt die Anerkennung der Leistung durch den Staat.

Die „Komplexitätsthese“ bezieht sich auf eine Gesellschaft, die in verschiedenen Bereichen immer komplexer wird (S. 231). Die Ungewissheit der Gesellschaft wird größer und der Ruf nach einer „einfachen“ Politik lauter. Diese Ungewissheit nutzen populistische Parteien, indem komplexe Sachverhalte simplifiziert werden. Angelehnt an die drei Thesen formuliert Droste seine drei Hypothesen, die er mit Hilfe der German Longitudinal Election Study untersucht hat:

  • (H1) „Sorgen vor eigenen zukünftigen Wohlstandseinbußen fördern populistische Einstellungen“
  • (H2) „das Ausmaß populistischer Einstellungen wird durch die Wahrnehmung bestimmt, im Vergleich zu anderen unrechtmäßig schlechter gestellt zu sein“
  • (H3) „populistische Einstellungen sind insbesondere bei Personen verbreitet, die die Welt als unüberschaubar wahrnehmen und einen Verlust epistemischer Kontrolle empfinden“

Die Untersuchung wurde in privaten Haushalten als computergestütztes persönliches Interview durchgeführt. Neben den drei Test-Items, mit denen die Hypothesen überprüft werden sollen, werden auch sozioökonomische Daten erhoben, ebenso wie demografische Daten. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Studie kurz vorgestellt.

22% der Befragten können als überzeugt-populistisch eingeordnet werden, wobei die Wähler der AfD „den höchsten Mittelwert auf der Populismus-Skala“ (S. 239) aufzeigen. Droste konnte keinen signifikanten Unterschied zwischen Männern und Frauen, sowie älteren und jüngeren Wähler:innen feststellen. Auf der Populismus-Skala erreichen Menschen aus Ostdeutschland höhere Werte als Westdeutsche (vgl. S. 240).

Wenn man die Bevölkerungsschichten betrachtet, wird sichtbar, dass Populismus „bis in die gesellschaftliche Mitte hinein“ (S. 241) reicht und keinesfalls nur die unteren Schichten betrifft. Betrachtet man die Schulabschlüsse, sind Befragte mit Hauptschulabschluss populistischer als Befragte mit Realschul- oder Gymnasialabschluss.

Sowohl H1 als auch H2 und H3 können bestätigt werden. Hierbei hat „die Furcht vor dem Weniger“ (H1, S. 241) weniger Einfluss auf populistische Verhaltensmuster als H2 und H3. Die Hauptursachen für die Attraktivität des Populismus sind somit „ein egozentriertes, materielles Ungerechtigkeitsempfinden“ sowie „das Gefühl des Kontrollverlusts in Bezug auf die gesellschaftliche Entwicklung“ (S. 242).

In seiner Diskussion erwähnt Droste, dass das „gesellschaftliche Ausmaß solcher Einstellungen beachtet und die Bedeutung struktureller Parameter keineswegs unterschätzt werden“ (S. 243) dürfen. Ein populistischer Zeitgeist wird gestärkt durch eine geringe Bildung, Orientierungslosigkeit sowie einem Empfinden, auf materieller Ebene Ungerechtigkeit zu erfahren (vgl. S. 243).

Als Aufgaben zukünftiger Forschung sieht Droste die Einbeziehung von Mediations- und Interaktionseffekten in Verbindung von Statussorgen, Schlechterstellung und Verunsicherung sowie die Entwicklung des von ihm bestimmten „latenten Populismus in expressiven Populismus“ (S. 244). In seinem abschließendem Satz weist Droste drauf hin, dass populistische Einstellungen in der sich immer weiterentwickelnden Welt „nur Scheinlösungen anbieten“ (S. 244).

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