Freitag, 18. Juni 2021

Argumentationsstrategien gegen Rechtspopulismus in der sozialen Arbeit

In diesem Beitrag stellt Anna Füllemann folgenden Aufsatz vor:

Bösing, Eike (2021): Argumentationsstrategien gegen Rechtspopulismus. Eine Analyse zur Anwendbarkeit in der Sozialen Arbeit; in: Lynen von Berg, Heinz (Hrsg.): Rechtspopulismus - eine Herausforderung für Demokratie und Soziale Arbeit?, Bremer Schriften zur Sozialen Arbeit Bd. 2, Hochschule Bremen, S. 49-57, online unter: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/72519.

Bösing beginnt seinen Beitrag mit einer Erklärung, was Rechtspopulismus ist, und zeigt hierbei die Ursachen des Rechtspopulismus auf. Anschließend geht er auf den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Rechtspopulismus ein. Er stellt drei Argumentationsstrategien gegen den Rechtspopulismus vor und analysiert diese hinsichtlich ihrer Anwendung im Bereich der sozialen Arbeit. Mit einer Schlussfolgerung für die soziale Arbeit schließt Bösing seinen Beitrag ab.

Was ist Rechtspopulismus?

Laut Bösing ist Rechtspopulismus antidemokratisch. Zentral ist hierbei die Umsetzung eines homogenen "Volkswillens". Die Interessen des vermeintlich "wahren Volkes" werden von "den Eliten" missachtet. Dies führt zu einem Wir-gegen-Sie-Denken und einer Trennung zwischen Volk und Elite. Nach Bösing zeichnet sich der Populismus durch folgende drei Dimensionen aus:

  • Anti-Establishment,
  • Pro-Volkssouveränität und
  • Anti-Pluralismus.

Merkmale des Rechtspopulismus sind laut Bösing zum Beispiel die Verteidigungpose, das ethnisch homogene Volk sowie übersteigerte Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus. „Der Rechtspopulismus dient als Eintrittstor für rechtsextreme Ideologie in die demokratische Öffentlichkeit“ (S. 49), dies bringt die Gefahr einer Normalisierung rechtsextremistischer Gedanken mit sich, welche aktuell immer größer wird. Als aktuelles Beispiel verweist Bösing auf die AfD.

Ursachen des Populismus

Bösing spricht hier von drei Dimensionen. Unter der sozialpsychologische Dimension, worauf Ressentiments und Autoritarismus verweisen, „entwickeln sich Gut-Böse-Kategorien, Feindbilder und der Wunsch nach autoritären Führungspersonen“ (S. 50). Laut der gesellschaftlichen Dimension ist der Populismus eine Reaktion auf [den] sozialen Wandel und Pluralisierungs- sowie Individualisierungstendenzen“ (S. 50) und wird als Gegenbewegung gegen die Modernisierung gesehen.

Laut Bösing ist eine weitere Ursache die soziokulturelle Veränderung im Sinne einer kulturellen Liberalisierung der Gesellschaft, des Multikulturalismus und des Kosmopolitismus. „Als Dritte Dimension können politische Bedingungen wie postdemokratische Entwicklungen genannt werden“ (S. 51), welche sich besonders auf das Verschwinden der politischen Alternativen beziehen.

Gesellschaftlicher und politischer Umgang mit Rechtspopulismus

Laut Bösing zeigt sich hier eine „Überforderung, die zu unklaren Strategien und ziellosen Kämpfen führt“ (S. 51). Die Strategien der politischen Rivalen in den Parlamenten sind wenig wirksam. Die Schwierigkeit liegt hierbei darin, die Argumente des Gegners zu widerlegen, jedoch ohne dass es zu einer Auseinandersetzung kommt. Innerhalb der Demokratie bedarf es der „Einhaltung klarer, rechtlich begründeten Trennlinien, die den demokratischen Diskurs von antidemokratischen und rechtsextremen Positionen unterscheiden“ (S. 51)

Jedoch muss auch die Meinungs- und Redefreiheit geachtet werden. Dies macht die Sache nicht gerade leichter. Bösing weist auf, dass der Rechtspopulismus in der Öffentlichkeit durch das „nicht von ihnen provozieren lassen“ dethematisiert werden kann. Zudem ist er der Meinung, dass man an den sozialen und strukturellen Ursachen arbeiten muss, um den Rechtspopulismus einzudämmen.

Argumentationsstrategien in der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus

„Mit der zunehmend rechtspopulistischen Mobilisierung mehren sich Ratgeber und Trainingsangebote zum richtigen Umgang mit diskriminierenden und populistischen Äußerungen“ (S. 52).

Bösing geht auf drei Ansätze ein und analysiert diese hinsichtlich der Nutzbarkeit für die soziale Arbeit. Das erste Argumentationstraining heißt „Politik wagen. Ein Argumentationstraining“ (2016), dieses soll den/die Leser*in für politische Diskussionen wappnen. Es soll dazu ermutigen, sich an politischen Auseinandersetzungen zu beteiligen, auch wenn diese zu unbequemen Auseinandersetzungen aufgrund verschiedener Meinungen führen können.

Durch das Training lernt man, seinen Gegenüber ernst zu nehmen und mit ihm ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen. Außerdem lernt man, populistische Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Laut dem Konzept wird populistisches Verhalten als Reaktion auf Desinteresse der Bürger*innen interpretiert, die Autorin kritisiert in ihrem Training Stammtischparolen auf harsche Weise.

Auf politische und gesellschaftliche Bedingungen und Ursachen des (Rechts-) Populismus wird nicht eingegangen. Laut Bösing wird ein nutzbares Kommunikationsmodell dargestellt. Jedoch fehlt ihm für das komplexe Phänomen des (Rechts-) Populismus die Auseinandersetzung mit den Ursachen und Bedingungen und er bezweifelt, dass dieses Konzept auch bei emotional und moralisch aufgeladenen, herausfordernden rechtspopulistischen Äußerungen wirksam ist und hierbei Sicherheit vermitteln kann.

Das zweite Argumentationstraining „Das Argutraining – ‚Wieder_sprechen für Demokratie“ (2019) verfolgt das Ziel, eine demokratische Kommunikationskultur zu entwickeln. Das Konzept soll die Leser*innen Diskriminierung verstehen lassen und zur Selbstreflexion auffordern sowie das Bewusstsein über die eigene Position anregen. Es soll Handlungsfähigkeit in konfliktbelasteten Situationen schulen.

Laut Bösing handelt es sich bei diesem Konzept lediglich um ein Kommunikationstraining, da die Auseinandersetzung mit Sachargumenten ausbleibt. Für die Auseinandersetzung mit Diskriminierung ist es allerdings angemessen. Bösing sieht dieses Konzept geeignet als Auffrischung von Grundkenntnissen der Gesprächsführung, findet aber nicht, dass es darüber noch weiter hinausgeht.

Das dritte Argumentationstraining „Anleitung zum Widerspruch“ (2019) soll der eigenen Hilflosigkeit gegenüber Hetze und hasserfüllten Aussagen entgegenwirken, was durch die intensive Auseinandersetzung mit Sachargumenten geschieht. Es fokussiert sich somit auf die inhaltlichen Aspekte des Rechtspopulismus, es findet allerdings auch hier keine explizite Beschäftigung mit dem Rechtspopulismus statt.

Die im Konzept behandelten Kommunikationsstrategien beziehen sich auf Haltungsfragen und Basisstrategien. Hier wird besonders die Meinungsfreiheit betont. Nach Bösing stellt der Fokus auf die Sachargumente und die Gegenargumente eine Stärke dar. „Im besten Fall wird Aufklärung auf Basis von Fakten und Wissensvermittlung ermöglicht“ (S. 55). Er sieht allerdings auch die Gefahr, dass dies in der sozialen Arbeit dazu verleiten kann, sich „auf argumentative Auseinandersetzungen mit Adressat*innen zu verlassen und zum Ausdruck gebrachte Bedürfnisse zu vernachlässigen“ (S. 55).

Schlussfolgerung für die soziale Arbeit

Alle drei Argumentationsstrategien zielen laut Bösing auf die „Wiederherstellung von Handlungsfähigkeit in politischen und alltäglichen Diskursen“. Sie haben eine „offene Haltung gegenüber ggf. schwer aushaltbaren politischen Positionen und Äußerungen“ und fordern eine „klare Abgrenzung zu demokratie- und menschenfeindlichen Aussagen“ ein und „zielen damit auf das Ermöglichen demokratischer Diskurse“ (S. 55).

Keine der Strategien beschäftigt sich intensiv mit dem Rechtspopulismus, obwohl dies für die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen und diskriminierenden Aussagen essentiell ist. Für die soziale Arbeit ist der Rechtspopulismus in politischer Hinsicht wie in der Arbeit mit Adressat*innen eine Herausforderung. Die drei Argumentationsstrategien betonen eine offene Haltung gegenüber den Gesprächspartner*innen. Laut Bösing ist die „Grenze zwischen legitimer Meinungsäußerung und Diskriminierung“ (S. 56) eine Herausforderung im Umgang mit Rechtspopulisten in der sozialen Arbeit. Doch wie soll mit diesem Spannungsfeld umgegangen werden?

Nach Bösing „braucht es Strategien, die dem gesellschaftskritischen Selbstverständnis der Profession entsprechend Diskriminierung entgegenwirken, die Meinungsfreiheit und politische Subjektivität der Adressat*innen respektieren und gleichzeitig das eigentliche Anliegen der sozialarbeiterischen Intervention nicht behindern“ (S. 56). Doch wie lässt sich dies umsetzen? Zum einen ist es wichtig, seinen Dialogpartner als gleichberechtigt anzusehen, auch wenn dieser sich diskriminierend äußert.

Sozialarbeiter sollen empathisch sein und sich zudem gegen Diskriminierung äußern. Mit Widerspruch ist jedoch vorsichtig umzugehen, denn „moralisierende Kommunikation und vorwiegend argumentative Auseinandersetzung wird wohl in erster Linie Reaktanz auslösen und hinderlich für die weitere Zusammenarbeit sein“. Wiederspruch kann allerdings auch „Bestandteil einer authentischen und gelingenden Beziehungsarbeit sein“ (S. 57).

Zusammenfassend ist Bösing der Meinung, dass der alleinige Austausch von Sachargumenten nicht immer zielführend ist. Es braucht stattdessen Strategien, die über die Wissensvermittlung hinausgehen und Alternativen zu rechtspopulistischen Gesellschaftsbildern und Haltungen zu vermitteln. Fachkräfte sollten sich seiner Meinung nach intensiv mit dem Thema Rechtspopulismus und seinen Bedingungen und Ursachen auseinandersetzen. Sie sollten Methoden aufgreifen, die an den Bedürfnissen und dem Willen ihrer Adressaten anknüpfen und auf dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit beruhen, die Adressat*innen anerkennen und ihnen gegenüber Empathie und (kritische) Solidarität zeigen.

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