Donnerstag, 10. Juni 2021

Rechtspopulismus und Medien am Beispiel der Schweiz

In diesem Beitrag stellt Laura Köhler folgenden Aufsatz vor:

Lucht, Jens / Udris, Linards (2019): Der Erfolg des politischen Populismus – eine Folge der Kommerzialisierung der Medien?; in: Mark Eisenegger et al. (Hrsg.): Wandel der Öffentlichkeit und der Gesellschaft, Springer, S. 89-112, online unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-27711-6_5.pdf 

Die Autoren gehen in der Einleitung darauf ein, dass Populismus in vielen Ländern wachsende Erfolge aufweist und es bereits einige Theorien gibt, die versuchen, diesen Erfolg zu erklären. Sie weisen aber auch darauf hin, dass diese Ansätze viele Defizite haben und gehen in diesem Aufsatz auf die Medien ein, die den Erfolg des Populismus erklären könnten.

Laut den Autoren ist die „politische Kommunikation“ (S. 91) ein Faktor, den man in Bezug auf den Populismus beachten sollte, da es oftmals um die Wahrnehmung von bestimmten Problemlagen geht und nicht unbedingt um das tatsächliche Problem. Die Wahrnehmung von Problemen wird jedoch maßgeblich durch die Medien vermittelt, da zum Beispiel Strukturprobleme rechtspopulistische Positionen unterstützt, aber die Medien die Akteure sind, die diese Einstellungen übermitteln.

Die Medien geben den politischen Akteuren zudem einen Raum, in dem sie „um Aufmerksamkeit kämpfen“ (S. 91) und andere Akteure beobachten können. Die Autoren merken hier auch an, dass alle Parteien, aber vor allem auch neue Parteien auf die Massenmedien angewiesen sind. Für die Autoren ist es zudem wichtig zu überprüfen welche Qualität die Medien haben und in welcher Beziehung sie zur Politik stehen. Sie überprüfen also, wie sich das Mediensystem aber auch der Populismus gewandelt hat.

Sie stellen fest, dass die Medien sich seit den 1980er Jahren stark verändert haben. Der Druck für die Medien ist durch die Kommerzialisierung enorm angestiegen. Deshalb werden Sachverhalte oftmals vereinfacht und die Medien dienen vielmehr als Unterhaltungsobjekt. Dadurch gewinnen „boulevardisierte Medientitel“ (S. 92) an Reichweite, wohingegen Qualitätsmedien diese verlieren. Dies führt dazu, dass politische Akteure Ereignisse so planen, dass sie möglichst viel Aufmerksamkeit in den Medien bekommen.

Populisten nutzen dies „[…] indem sie mit Tabubrüchen, stark verkürzten und komplexitätsreduzierten Aussagen, einem starken moralisch-emotionalen Kommunikationsstil und einer hohen Personalisierung arbeiten.“ (S. 93)

Die beiden Autoren stellen die These auf, dass der Strukturwandel der Öffentlichkeit dazu führt, dass Populisten bessere mediale und kommunikative Opportunitäten haben und die populistischen Politiker deshalb auch bessere Resonanzchancen in den Medien haben. Überprüft wird die These anhand des Fallbeispiels Schweiz, da dort sowohl eine schnelle Veränderung der Medienstruktur hin zu einem „kommerziali-sierten Mediensystem“ (S. 93) beobachtbar ist, aber auch weil es in der Schweiz einer rechtspopulistischen Partei regelmäßig gelang, Erfolge in den Wahlen zu erlangen.

Im ersten Schritt vergleichen die Autoren die Wahlresultate der jeweiligen Jahre. Der zweite Punkt in ihrer Analyse überprüft die „Wahlberichterstattung im engeren Sinne und prüft dort die Resonanz der verschiedenen Parteien“ (S. 94). Die Autoren sind der Meinung, dass die Resonanz der Parteien in der massenmedialen Öffentlichkeit eine Grundbedingung für den Erfolg einer politischen Partei ist. Sie erklären dies so, dass eine höhere Sichtbarkeit in den Medien automatisch zu einer höheren Bekanntheit in der Gesellschaft führt. Die politischen Akteure kämpfen eben genau um diese Aufmerksamkeit, und wenn sie keine erlangen, haben sie auch keine Chancen, eine Wahl zu gewinnen, da sich die Wähler*innen dann auch nicht mit der Partei auseinandersetzen. Insbesondere untersuchen sie in ihrer Analyse, ob Populisten mehr Aufmerksamkeit in den Medien bekommen als andere Parteien.

Danach werden die Themen untersucht, die in der Wahl eine wichtige Rolle gespielt haben. Vor allem „identitätspolitische Themen“ (S. 95), die zu den Kernthemen der SVP gehören (z.B Migration), im Vergleich zu anderen (z.B. sozioökonomische Themen). Dies ist laut den Autoren in die Analyse mitaufzunehmen, da das Themenumfeld einen Wahlkampf maßgeblich dadurch beeinflusst, dass sich die Themen auf die Resonanz der Berichterstattung auswirken. Kernthemen einer Partei bieten den Parteien aber auch die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Für eine Partei ist es wichtig, ein „issue“ (S. 98) zu besetzen, da eine Partei als glaubwürdiger und kompakter angesehen wird, wenn man sie mit einem Thema positiv in Verbindung bringen kann.

Diese drei Themen werden anhand von Parlamentswahlen aus den Jahren 2007, 2011 und 2015 untersucht und im Mittelpunkt steht die SVP, die seit 1999 die stärkste Partei in der Schweiz ist. Die Kernthemen der Partei sind „[…] identitätspolitische Themen wie Migration, Europa oder andere Öffnungs-/Schließung-Debatten über Patriotismus oder Tradition“ (S. 99).

Ergebnisse für das Wahljahr 2007

Die SVP hat 2007 einen Wählerzuwachs von circa 2% auf 29% der Wählerstimmen erhalten. Zudem hatten sie eine starke Medienresonanz vor den Wahlen von 41%. In diesem Jahr war das Medieninteresse mit 28% auch vergleichsweise hoch und das Thema Migration ist 2007 auch mit einem 8%-igem Anteil relativ stark vertreten, wohingegen sozio-ökonomische Themen mit 9% vergleichsweise wenig vertreten sind.

Diesen Erfolg erklären sich die Autoren dadurch, dass die SVP im Jahre 2007 die Wahlberichterstattung dominierte und der Wahlkampf ein präsentes Thema in den Medien ist. Die SVP profitiert zum einen von der Personalisierung auf Wahlplakaten, aber auch dadurch, dass die Medien identitätspolitische Themen in den Vordergrund rücken, welche Kernthemen der SVP sind.

Ergebnisse für das Wahljahr 2011

2011 verliert die SVP die Stimmen, die sie 2007 dazugewonnen hat, wieder. Trotzdem erlangen sie noch die meisten Stimmen. Auch die Resonanz der Partei sinkt auf 31%. Dies ist zwar auch noch der stärkste Resonanzanteil, aber der Abstand zu den darauffolgenden Parteien geht deutlich zurück. Das Medieninteresse war auch generell weniger stark ausgeprägt und liegt bei nur 12%. In diesem Jahr spielen sozio-ökonomische Themen mit 21%-igem Anteil eine große Rolle wohingegen das Thema Migration (5%) weniger präsent ist.

Die Stimmenverluste in diesem Jahr lassen sich also dadurch erklären, dass die Wahlkampagnen weniger Resonanz erhalten als zum Beispiel im Jahr 2007 und zudem waren die Kernthemen der SVP in diesem Jahr weniger präsent.

Ergebnisse für das Wahljahr 2015

2015 steigert sich der Stimmenanteil erneut um fast 3% auf 29,4%, was das bisher beste Wahlergebnis der Partei war. Dieses Mal erhält die SVP eine Resonanz von 29%, jedoch ist festzuhalten, dass die SVP durch die Verteilung der Resonanz auch auf kleinere Parteien nicht mehr so stark im Mittelpunkt stand, wie dies noch 2007 der Fall war. 2015 liegt das Medieninteresse bei 18%. Wie auch 2007 ist das Thema Migration mit 9% sehr präsent, wohingegen sozio-ökonomische Themen mit 2% kaum eine Rolle spielen.

Ähnlich wie auch im Jahr 2007 erklären sich die Autoren den Stimmenzuwachs dadurch, dass auch in diesem Jahr durch den Anstieg des medialen Interesses Resonanzgewinne sichtbar werden und Migrationsthemen wieder stärker in den Fokus rücken.

Danach fokussiert sich die Analyse auf den Wahlkampf 2007. In diesem Jahr wurde der Wahlkampf sehr stark von den Medien miteinbezogen und deshalb wird das „[..] Beziehungsspiel zwischen Rechtspopulismus und Medien […]“ (S. 102) in Bezug auf die Faktoren Sichtbarkeit, Reaktion und Legitimität analysiert. Es ist nämlich wichtig, dass eine Äußerung eines Akteurs nicht nur sichtbar ist, sondern eben auch, dass diese eine Reaktion hervorruft.

Deshalb haben Lucht und Udris ein Projekt in ihren Aufsatz miteingebunden. Dieses zeigt auf, wie oft Akteure das Thema ethnische Minderheiten ansprechen und dadurch sozusagen sichtbar werden. Im nächsten Schritt wurde dann analysiert, wie oft auf ein solches Statement reagiert wird. Die Autoren haben dabei festgestellt, dass die SVP ihr issue (Migration) auch einsetzt und deshalb die Partei ist, die am häufigsten auf das Thema ethnische Minderheiten eingeht. Zudem reagieren andere Akteure auch am häufigsten auf die SVP, wenn es um das Thema „Minderheiten-Problematisierung“ (S. 103) geht.

Als letztes bleibt festzuhalten, dass die Statements durch die SVP deutlich geringer ausfallen als die Reaktionen auf die SVP durch andere Akteure. Daraus wird geschlossen, dass die SVP von einer „passiven Resonanz“ (S. 103) profitiert. Das bedeutet, dass die Partei selbst nicht viele Statements abgibt, aber dadurch, dass andere Akteure sie erwähnen, präsent wird. Die Konflikte, die durch die SVP bewusst eingespielt werden, rufen also Reaktionen hervor, die zu einer erhöhten Präsenz der SVP führen.

Die Autoren nennen auch noch Beispiele, die aufzeigen, dass die SVP im Wahljahr 2007 provokative Initiativen ergreift, die darauf abzielen, Aufmerksamkeit zu erregen und in den Medien präsent zu sein. 2007 wurde dies auch erreicht, da heftige Reaktionen sogar von der Bundespräsidentin und einem anderen Mitglied des Bundesrates folgen und sich die SVP schließlich sogar in die Opferrolle stellen konnte, da eine Wahlkampfveranstaltung von Demonstranten gestört wurde.

Aus diesem Zusammenspiel zwischen Medien und Populisten und dem Wahlerfolg der SVP im Jahre 2007 folgern die Autoren, dass die SVP zwar negativ in den Medien erscheint, dies aber keinesfalls ein schädliches Bild auf die SVP wirft, sondern eher tatkräftig, machthaltig und effektiv wirkt (vgl. S.104). Die SVP kann damit zeigen, dass sie dominiert, und Kernthemen können präsentiert werden. Zudem kann durch die negativen Reaktionen das Gefühl „[…] wir gegen alle anderen […]“ (S. 104) transportiert werden.

Fazit

In ihrem Fazit fassen die Autoren zusammen, dass die SVP häufig die Partei ist, die am meisten Resonanz erhält, und in den Wahlkämpfen, in denen die Resonanz hoch ist, die besten Wahlergebnisse erreicht werden. Zudem konnte festgestellt werden, dass sachpolitische Themen wie Migration und ethnische Minderheiten mit einer hohen Resonanz korrelieren. Außerdem konnten die Autoren daraus schließen, dass die SVP bewusst Provokationen einsetzt, um hohe Medienresonanz zu erreichen, aber auch, dass die Problematisierung durch die Partei weniger stark ausgeprägt ist, als die Reaktionen von anderen Akteuren auf die SVP. Die SVP nutzt die negativen Reaktionen, um das „wir gegen alle anderen“ (S. 104) Gefühl zu stärken.

Daraus schließen Lucht und Udris, dass sich die „[…] These der Wahlverwandtschaften zwischen dem Medienpopulismus und dem (Rechts-) Populismus für die Schweiz bestätigen lässt.“ (S. 107) Durch den Wandel des Mediensystems wollen die Medien, wie auch die politischen Akteure, immer mehr Aufmerksamkeit erlangen. Davon profitieren vor allem rechtspopulistische Akteure, da sie diese Medienlogiken gut bewirtschaften können und dadurch hohe Resonanzen erlangen, was eine Voraussetzung für den Wahlerfolg ist. Folgen davon sind auch der Rationalitätsverlust und das Aufkommen einer „moralisch-emotionalen Urteilsbildung“ (S. 107).

Als letztes gehen die Autoren noch darauf ein, dass die Populismusforschung im Moment zunimmt und auch ländervergleichende Perspektiven noch Erkenntnisse liefern werden. Dies sollte dann dazu führen, dass Wissenschaftler Handlungsempfehlungen zum Umgang mit dem Populismus aussprechen und die Qualität dadurch wieder zunehmen sollte. Zum Beispiel wäre ein Schritt, nicht mehr auf populistische Provokationen zu reagieren.

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