In diesem Beitrag stellt Kim-Marie Raizner folgenden Aufsatz vor:
Hoven, Elisa (2020): Populismus und Strafrecht; in: Hoven, Elisa / Kubiciel, Michael (Hrsg.): Zukunftsperspektiven des Strafrechts: Symposium zum 70. Geburtstag von Thomas Weigend, Nomos Verlag, S. 101-116, online unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748907978-101/populismus-und-strafrecht.
In dem Aufsatz „Populismus und Strafrecht“ skizziert Elisa Hoven die Wirkungsweisen und Gefahren populistischer Kriminalpolitik. Des Weiteren zeigt sie die Risiken einer überzogenen und stigmatisierenden Populismus-Kritik auf und beleuchtet, welche Auswirkungen die populistische Politik in den nächsten Jahrzehnten auf das Strafrecht haben wird.
Zu Beginn des Beitrags legt Hoven ihr Verständnis von Populismus zugrunde. Den Kern populistischer Denkweisen bilde die Annahme eines Antagonismus zwischen dem einfachen Volk und den Eliten. Die populistischen Parteien sehen sich selbst als Fürsprecher des Volks, dessen Interessen von den Regierenden verkannt und ignoriert würden. Personen, welche die Werte und Ansichten der Populisten nicht teilen, stellen den Alleinvertretungsanspruch populistischer Parteien infrage, und können nicht als ein Teil des "wahren Volks" angesehen werden (vgl. S. 102).
Populisten berufen sich auf einen "wahren Volkswillen", welcher gesellschaftliche Homogenität voraussetzt und den Populismus als antipluralistisch kennzeichnet (vgl. S. 102). Zudem sind Populisten wahre Künstler der Rhetorik. Sie besitzen die Fähigkeit, Menschen durch Reden und Gestiken in ihren Bann zu ziehen. Im Zentrum von Hovens Populismus-Begriffs steht infolgedessen die Annahme, dass die populistische Politik Ausdruck des Volkswillens sein soll und die Macht dem Volk und nicht den Eliten zugesprochen gehört.
Das Strafrecht eignet sich in besonderer Weise als Betätigungsfeld für populistische Politik. Es lassen sich zwei Arten benennen, wie sich die populistischen Parteien das Strafrecht zunutze machen. Zum einen dient die propagierte Bedrohung durch Kriminalität der Konstruktion gesellschaftlicher Homogenität und zum anderen der Verschärfung eines vermeintlichen Konflikts zwischen Volk und Elite. Populisten fordern eine strengere Bestrafung im Strafrecht und formulieren dadurch klare Feindbilder. Straftäter verletzten grundsätzliche gesellschaftliche Verhaltensnormen und stellen sich dadurch gegen die Gesellschaft und "das wahre Volk" (vgl. S. 103).
Besonders hervorgehoben werden dabei die ausländischen Straftäter. Diese werden nicht nur aufgrund ihrer Taten, sondern wegen ihrer nationalen, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit nicht in der Gesellschaft anerkannt. Die populistische Kriminalitätsrhetorik überdramatisiert die Gefahren für die Sicherheit des Volks durch die ausländischen Straftäter und zeichnet das Bild einer von Verbrechen bedrohten Gemeinschaft (vgl. S. 103). Es handelt sich somit um eine populistische Emotionalisierung sowie eine politische Instrumentalisierung. Die ausländischen Straftäter wenden sich nach den Populisten gegen die Werte der Rechtsgemeinschaft und haben aufgrund dessen keinen Platz in der Bevölkerung.
Des Weiteren behaupten Populisten, dass sich die Sicherheitslage in Deutschland stets verschlechtert und suggerieren eine zunehmende Kriminalitätsbelastung (vgl. S. 104). Nach den Populisten sind die politischen Eliten für die durch Zuwanderer begangenen Gewalttaten verantwortlich, da diese die Grenzen für Flüchtlinge kontinuierlich offenlassen. Dadurch entstehe eine "Überflutung" des Landes mit "illegalen Ausländern".
„Anstatt strafbares Handeln von Zuwanderern konsequent zu ahnden, würden bestehende Kriminalitätsprobleme [durch die politischen Eliten] geleugnet und Kritiker als ausländerfeindlich gebrandmarkt.“ (S. 104)
Infolgedessen werfen die populistischen Parteien den Regierungsparteien vor, die legitimen Sicherheitsbedürfnisse des Volks zu ignorieren. Durch diesen Vorwurf wird die Spaltung zwischen dem Volk und den Eliten kontinuierlich vertieft. Populisten verfügen über eine emotionalisierende und verallgemeinernde strafrechtspopulistische Rhetorik, welche es ermöglicht, einen erheblichen Einfluss auf die Verbrechensängste der Bevölkerung zu nehmen (vgl. S. 105).
Aus Angst und Sorge fordert die Bevölkerung daraufhin ein konsequentes Handeln vom Strafgesetzgeber, indem dieser die Strafgesezte verschärft. Durch diese Forderung gerät der Gesetzgeber in Bedrängnis. Kommt er der Forderung nach, erweckt der Gesetzgeber den Eindruck, dass ein tatsächliches Kriminalitätsproblem existiert, wodurch weitere Unsicherheiten in der Bevölkerung geschürt werden.
Die Globalisierungs- und Modernisierungsfolgen, die Zuwanderung, die Digitalisierung sowie der Terrorismus im 21. Jahrhundert führen zu einer gesellschaftlichen Verunsicherung und Kriminalitätsfurcht. Andererseits wird der Wunsch nach Stabilität und der Rückkehr zu einer geschlossenen Gesellschaft laut (vgl. S. 106).
„Eine Verschärfung des Strafrechts erscheint als Bekräftigung des gemeinsamen Wertekonsens und als Ausdruck eines starken und schützenden Staates.“ (S. 106)
Weiterführend ist eine zweite Populismus-Diskussion zu unterscheiden. Diese umfasst die Kritik am Populismus. Die Warnung vor der populistischen Kriminalpolitik ist durchaus berechtigt, birgt jedoch die Gefahr, kontroverse Positionen zu diskreditieren und notwendige Diskussionen zu unterbinden (vgl. S. 107). Ein inflationärer Gebrauch des Populismus-Vorwurfs führt dazu, dass sich der Begriff abnutzt und seine Wirkkraft als Mittel zur kriminalpolitischen Kritik einbüßt. Der Begriff Populismus erweist sich infolgedessen nicht als geeigneter Maßstab für die Bewertung kriminalpolitischer Unternehmungen, da eine Forderung nicht dadurch delegitimiert wird, dass sie von Populisten mitgetragen wird (vgl. S. 115).
Folglich ersetzt die Etikettierung als populistisch nicht die sachliche Auseinandersetzung mit einer Position. Ferner kann nicht jede Forderung nach einem höheren Strafmaß per se als populistisch betitelt werden. In der Strafrechtswissenschaft herrscht eine weitgehend geteilte Überzeugung, dass die Verhängung von milden Strafen erstrebenswert und Ausdruck eines funktionierenden Rechtsstaats sei (vgl. S. 108). Die Aufgabe des Staates ist es jedoch, Rechtsgüter vor der Gefahr und dem Missbrauch auf allen Ebenen zu schützen. Daher dürfen neue Kriminalitätsprobleme nicht ignoriert werden. Ein gerechtes Strafurteil muss maßvoll und der Straftat angemessen sein. Es bleibt die Frage, welche Rolle populistische Strömungen für die Zukunft des Strafrechts spielen werden.
„Entfernen sich die Strafvorstellungen des Volks und der Elite zu weit voneinander, entsteht das klassische populistische Szenario.“ (S. 110)
Die populistischen Parteien werden sich dann als Vertreter des Volks durchsetzen und die Strafrechtsexperten übertrumpfen. Wenn die Distanz zwischen dem Volk und der Volksvertretung zu einer Entfremdung wird, entstehen Probleme. Diese Entfremdung entsteht, wenn die Bevölkerung das Gefühl gewinnt, dass ihre Anliegen nicht ernstgenommen werden. In Bezug auf das Strafrecht besteht diese Gefahr, wenn die Öffentlichkeit die Höhe der verhängten Strafen nicht nachvollziehen kann (vgl. S. 111).
Das Unverständnis und die Wut über zu milde Strafurteile bilden den Nährboden der populistischen Kriminalitätspolitik. Ziel muss aufgrund dessen eine Strafrechtspolitik sein, welche von der Gesellschaft akzeptiert wird, ohne den Rufen nach mehr Strafe zu folgen. Diese Strafrechtspolitik muss auf den Faktoren der Transparenz und der gesellschaftlichen Einbindung in die kriminalpolitischen Entscheidungen basieren. Unter Transparenz kann verstanden werden, dass die Höhe einer Strafe auch demjenigen erklärbar sein muss, der intuitiv anders urteilen würde (vgl. S. 112).
„Erforderlich sind klare, gesetzlich formulierte Kriterien für die Bemessung von Strafe.“ (S. 112)
Zudem muss diskutiert werden, ob sich der Gesetzgeber stärker für die Vorstellungen der Gesellschaft öffnen sollte, indem er diese bei der Einführung und Abschaffung von Straftatbeständen miteinbezieht (vgl. S. 113). Dies ist vor allem bei gesellschaftlichen Wertentscheidungen denkbar, welche keine praktische Expertise oder strafrechtliche Dogmatik erfordern. Dafür muss in Zukunft über die richtige Vorgehensweise diskutiert werden.
Abschließend kann festgehalten werden, dass sich das Strafrecht in besonderer Weise als Betätigungsfeld für populistische Politik eignet (vgl. S. 101). Populisten schüren Angst vor der Kriminalität und konstruieren dadurch eine gesellschaftliche Homogenität, welche sich vom (ausländischen) Straftäter und der politischen sowie strafrechtlichen Elite abgrenzt. Dadurch entstehen Gefahren wie beispielsweise eine übersteigerte Kriminalitätsfurcht oder eine überzogene Erwartungshaltung an das Strafrecht (vgl. S. 115). Der Populismus erreicht dadurch eine Divergenz zwischen den Strafvorstellungen der Elite und der Bevölkerung. Aufgrund dessen muss das Ziel eine transparente, gesellschaftlich anerkannte Kriminalpolitik sein, welche die Entfremdung zwischen der Justiz und der Bevölkerung verhindert.
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