Sonntag, 20. Juni 2021

Demokratie, autoritärer Populismus und Kapitalismus

In diesem Beitrag stellt Ibrahim Büyükasik folgenden Aufsatz vor:

Van Dyk, Silke (2019): Über den Wandel des Politischen. Die Demokratie im Zangengriff von autoritärem Populismus und autoritärem Kapitalismus; in: Nicole Burzan (Hg.): Komplexe Dynamiken globaler und lokaler Entwicklungen. Verhandlungen des 39. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Göttingen 2018, online unter: https://publikationen.soziologie.de/index.php/kongressband_2018/article/download/1155/1276.

Einleitend wird die These aufgestellt, dass die aktuelle Gefährdung demokratischer Systeme nur zu verstehen ist, wenn der antidemokratische Zangengriff von autoritärem Populismus und autoritärem Kapitalismus analysiert wird (S. 1). Um diese These zu untersuchen, wird zu Beginn der „Aufstieg der neuen Rechten“ thematisiert. Demnach sind die Wahlerfolge Donald Trumps, der FPÖ, der AfD sowie das Erstarken weiterer populistischer Akteure wie z.B. Viktor Orban oder Jair Bolsonaro ein deutliches Indiz dafür, dass „rechte und nationalistische Kräfte auf dem Vormarsch sind.“ (S. 1).

Diese politischen Kräfte, die eine typisch populistische Politik verfolgen, inszenieren sich als eine starke Führung, die sich als Ziel gesetzt hat, die Interessen des homogenen Volkes gegen das „Establishment“ zu verteidigen. Die durchaus gerechtfertigte Kritik an den autoritären Populisten beschreibt Van Dyk hierbei als Problematisierung jener Populisten, die jedoch auch mit einem Entproblematisieren der Verhältnisse im Neoliberalismus zusammenhängt.

Der zeitgenössische Kapitalismus weist Parallelen zu totalitären Gesellschaften auf, da dieser das Prinzip der Einheitspartei deutlich konfliktloser und effizienter gelöst hat, indem es diese durch eine Einheitsalternative ersetzt hat, nämlich der des Marktes. So trifft aufgrund des Verhältnisses von Demokratie und Kapitalismus ein System der politischen Gleichheit auf ein System, welches soziale Ungleichheit überhaupt erst erzeugt.

Die Tatsache, dass die Marktlogik des Kapitalismus keine Alternativen in zentralen Punkten, wie z.B. der Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft, zulässt, beschreibt van Dyk als „demokratiezerstörend“ und „antipluralistisch“ (S. 3). Um diesen Gedanken weiter auszuführen, wird diese Einheitsalternative des Marktes mit dem angeblichen Einheitswillen des Volkes verglichen, auf welchen sich populistische Politiker zumeist berufen. So ist die von liberalen Politikern beschriebene Alternativlosigkeit des Marktes maßgeblich mitverantwortlich für das Erstarken von autoritären Populisten sowie für die Establishment-Kritik, so van Dyk.

Hinzu kommt die Tatsache, dass während der Weltwirtschaftskrise 2008 – trotz vorangegangener Sparmaßnahmen im Sozialbereich und bei der Infrastruktur - hunderte Milliarden zur Bankenrettung zur Verfügung gestellt wurden. Seither wurde diese alternativlose Politik des neoliberalen Kapitalismus immer mehr hinterfragt, weshalb von einer Hegemoniekrise des neoliberalen Kapitalismus gesprochen wird. Der dadurch zunehmend autoritärer werdende Kapitalismus ist so zum Nährboden der Rechten geworden.

Im weiteren Verlauf des Aufsatzes beschreibt van Dyk das Zusammenspiel zwischen dem autoritären Kapitalismus und dem autoritären Populismus. Trotz dem gemeinsamen antipluralistischen Charakter gibt es deutliche Unterschiede: Während beim autoritären Kapitalismus eine progressive Einwanderungspolitik, eine Anti-Diskriminierungspolitik und Gendermainstreaming eher unproblematisch erscheinen, sind dies Konzepte, die im autoritären Populismus kritisch betrachtet werden.

Interessant wird es hierbei in Gebieten, in denen der autoritäre Kapitalismus mit einem Erstarken des autoritären Populismus konfrontiert wird. Menschen, die das Vertrauen in die Alternativlosigkeit des liberalen Kapitalismus verloren haben, treffen hier auf eine nationalistisch und völkisch eingestellte Alternative, die die Kritik an den liberalen Eliten opportunistisch zu nutzen weiß.

Trotz der vorangegangenen Ausführungen ist die Annahme, dass die Anhängerschaft der Populisten lediglich aus „Abgehängten und Verunsicherten“ (S. 5) des Neoliberalismus besteht, inkorrekt. Grund hierfür ist der Fakt, dass diese These die unteren Schichten entlastet und Rassismus und Sexismus „nicht als eigenständige Phänomene“ (S. 6) wahrnimmt, sondern lediglich als Begleiterscheinungen erkennt. Darüber hinaus wird postuliert, dass Anti-Rassismus und Anti-Sexismus eine „unabdingbare Basis jeder emanzipatorischen Politik“ (S. 6-7) sind, die sich jeder Mensch unabhängig von dessen sozio-ökonomischer Lage leisten kann.

Den Begriff „Protestwähler“, den einige PolitikerInnen verwenden, um die AfD-Wählerschaft zu beschreiben, ist demnach ebenfalls kritisch zu bewerten, da dies Kurzschlüsse aktueller Debatten offenbart. Zum einen die Ignoranz gegenüber empirischen Forschungsergebnissen und zum anderen ein verkürztes Rassismus-Verständnis. So ist dahinter eine „rassistische Reaktion“ (S. 7) zu erkennen, die aufgrund von Enttäuschung über neoliberale Sozial- und Wirtschaftspolitik hervorgerufen wurde. Tief verankert durch diesen Rassismus ist der Gedanke, dass eine Ressourcenhoheit existiert, die „etablierte Vorrechte und Privilegien als Normalität“ (S. 8) erscheinen lassen.

Abschließend konkludiert van Dyk, dass die neoliberalismuskritische Position die eigenständige Bedeutung von Sexismus, Rassismus und Nationalismus vernachlässigt, indem sie diese lediglich als Folgen des autoritären Kapitalismus darstellt. Demgegenüber steht die liberale Kritik am autoritären Populismus, der die „sozialen und demokratiefeindlichen Verwerfungen“ (S. 8) des autoritären Kapitalismus entproblematisiert. Van Dyk argumentiert, dass ein erfolgreicher Gegenangriff nur eine Erfolgschance hat, wenn wir erkennen, dass die Demokratie durch einen „Zangengriff von autoritärem Populismus und autoritärem Kapitalismus bedroht wird“ (S. 8).

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