Samstag, 19. Juni 2021

Instrumentalisierung von Emotionen im Rechtspopulismus

In diesem Beitrag stellt Leonie Kaiser folgenden Aufsatz vor:

Scherke, Katharina (2021): Scham-Wut-Spiralen. Zur Instrumentalisierung von Emotionen im Rahmen des Populismus; in: Sonja A. Strube / Rita Perintfalvi / Raphaela Hemet / Miriam Metze / Cicek Sahbaz (Hg.): Anti-Genderismus in Europa, transcript Verlag, S. 271-282, https://doi.org/10.14361/9783839453155-020.

Der Beitrag von Katharina Scherke befasst sich mit der Instrumentalisierung von Emotionen und dem direkten Einsatz von rhetorischen Strategien im Rahmen des Rechtspopulismus. Diese werden aus einem emotionssoziologischen Blickwinkel betrachtet, und es wird dabei versucht, die prägnanten Emotionen Wut und Hass nachzuvollziehen. Zudem wird ein Blick auf den Einsatz der Nostalgie als Taktik rechtspopulistischer Parteien, in Bezug auf deren Kritik von political correctness, geworfen.

Im ersten Abschnitt des Textes befasst sich die Autorin mit einer kurzen Skizzierung des Rechtspopulismus und merkt an, dass es nach wie vor nicht möglich sei, Populismus allgemeingültig und einheitlich zu definieren. Somit ergibt sich für Scherke die Folgerung, dass Populismus „[...] einerseits einen Politikstil bezeichnen [kann] […] andererseits kann der Begriff auch eine konkrete Ideologie beschreiben“.

Trotz der Tatsache, dass vermutlich nie eine allgemein anerkannte Definition des Populismus möglich sein wird, beobachtet Scherke bestehende signifikante Charakteristika, die eine Bewegung als populistisch kennzeichnen. Diese Merkmale und spezielle rhetorische Stilmittel, die häufig von (rechts-)populistischen RednerInnen genutzt werden, führt die Autorin im weiteren Verlauf ihres Textes aus.

Als erste Strategie nennt sie die starke Komplexitätsreduktion bei der Darstellung scheinbarer politischer Missstände. Die häufig in Reden auftretenden Provokationen und Tabubrüche in der Sprache von RechtspopulistInnen führen dazu, dass sich deren VertreterInnen wiederum als durchschlagskräftig und kampfbereit präsentieren.

Als weiteres Stilmittel lässt sich ein Schema beschreiben, bei dem RechtspopulistInnen die Gesellschaft in zwei Gruppierungen aufteilt – für sie gibt es einerseits die für Missstände verantwortliche Elite, die ihr Feindbild darstellen, und andererseits das allgemeine gute Volk. Durch diese immer wieder präsente „Freund-Feind“-Indoktrination in rechtspopulistischen Reden versuchen sich die RednerInnen auf die Seite des Volkes zu stellen, um einen scheinbar besseren Weg, eine bessere Alternative zu den bisherigen Verantwortlichen aufzuzeigen und somit Anhänger zu gewinnen.

Des weiteren nennen RechtspopulistInnen häufig die Gefahr, die von "denen da oben" ("der Elite") ausgeht, und stellen "das eigene Volk" den "Fremden" gegenüber. Das Feindbild des fremden Volkes wird für gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht. Der stets präsente Volksbegriff in rechtspopulistischen Reden, „mit dem eine angeblich historisch gewachsene, homogene Gemeinschaft bezeichnet wird“, stellt eine weitere rhetorische Strategie dar.

Durch Parolen, die an die beschönigt dargestellte Vergangenheit erinnern, werden Emotionen bewusst angesprochen und eine bestimmte Stimmung hervorgerufen. Damit werden außerdem gesellschaftliche Modernisierungs- und Transformationsprozesse, wie beispielsweise der Wandel der Geschlechterverhältnisse, im Hinblick auf eine scheinbar bessere Vergangenheit, abgelehnt.

Auf die Instrumentalisierung von Emotionen geht die Autorin im Folgenden noch weiter ein und beschreibt dieses Vorgehen in zweifacher Weise: RechtspopulistInnen aktivieren antagonistische Emotionen gegenüber politischen Alternativen, was die eigene Partei als heilbringende Lösung erscheinen lässt. Andererseits greifen rechtspopulistische RednerInnen auch bereits vorhandene Emotionen auf, um somit die eigenen politischen Ansätze und Ziele für die ZuhörerInnen aktiv zu verstärken.

Folglich lässt sich eine komplexe Verknüpfung von Emotionen und Populismus erkennen. Die Autorin führt an, dass sowohl die genannten rhetorischen Stilmittel und Strategien als auch die Analyse des populistischen Umgangs mit der Vergangenheit wichtig für das Verständnis der Wirkung von Scham und Wut seien.

Im zweiten Abschnitt des Textes erläutert die Autorin einige emotionssoziologische Konzepte, die beim Verständnis rechtspopulistischer Reden und Beiträgen helfen sollen. Das sogenannte Emotionsmanagement meint eine Anpassung des Handelns und Darstellung der Emotionen an „zumeist an in ihrem Umfeld gültige Gefühlsregeln […]“ bestimmter Menschen. Als Beispiele werden folgende Hinweise genannt: „Sich ein Lächeln verkneifen“ oder „die Wut hinunterschlucken“.

Scherke erläutert auch das Deep acting, eine Strategie, die RednerInnen nutzen, um erwartete Emotionen mit der eigenen Verfassung zu vereinen. Eine andere emotionssoziologische Methode ist das surface acting. Wie die deutsche Übersetzung (“Oberflächenwirkung“) vermuten lässt, geht es hierbei darum, dem Publikum bestimmte Emotionen vorzuspielen und nach außen hin die passende Emotion vorzutäuschen.

Es lässt sich feststellen, dass viele rechtspopulistische PolitikerInnen diese Strategien und Konzepte oder auch die Emotionen Scham, Wut und Nostalgie einsetzen, um den Anhängern das scheinbar erwartete und gewünschte Gefühl zu vermitteln. Ob die PolitikerInnen dabei diese Emotionen wirklich verspüren oder sie ausschließlich als Methoden einsetzen, bleibt unergründbar.

Weiterhin wichtig ist die Rolle der Medien und deren Zusammenhang mit den daraus resultierenden Emotionen. Als Beispiel kann die Amtsantrittsrede von Donald Trump, aus dem Jahr 2016 dienen. Der berühmte Slogan „Make America Great Again“ vereint sowohl nostalgische Vergangenheitsbezüge als auch konkrete politische Provokation. Diese Nostalgie löst bei den ZuhörerInnen Wiedererkennungseffekte aus und ruft Assoziationen hervor.

Ein weiteres emotionssoziologisches Konzept ist die Scham-Wut-Spirale nach Thomas Scheff, die ebenfalls für das Verständnis und die Analyse rechtspopulistischer Strategien und rhetorischer Merkmale eingesetzt werden kann. Scham und Stolz geben seiner Ansicht nach Auskunft über den Status sozialer Bindungen in einer Gemeinschaft.

Verhält sich der/die Einzelne konform zu Gruppennormen, “[…] wird er/sie Stolz verspüren […]. Verstößt hingegen der/die Einzelne gegen gewisse Gruppennormen, so werden negative Bewertungen durch andere die Folge […] sein. Ein Gefühl der Scham entsteht, wodurch zugleich die Bedrohung sozialer Bande sichtbar wird. Das Vermeiden dieses negativen Gefühlszustandes spielt eine wesentliche Rolle für das Handeln von AkteurInnen“ (vgl. Scheff 1990: 74-77).

Genau diese Schamgefühle beziehungsweise die aus ihnen resultierende Erregung können eine Lenkung bestimmter Emotionen und Gefühle bewirken und beispielsweise Wut bei Zielgruppen und Anhängern hervorrufen. Man könnte diese Strategie als ein wichtiges Machtinstrument kennzeichnen.

Die Frage, wie populistische Rhetorik und aktivierte Schamgefühle genutzt werden können, um AnhängerInnen zu aktivieren, beantwortet die Autorin, indem sie abschließend einen Bogen zu aktuellen Diskursmustern der rechtspopulistischen AfD spannt und unter anderem einige Beispiele nennt, wie die Partei Scham, Wut und Nostalgiegefühle nutzt, um neue AnhängerInnen zu mobilisieren.

Die Kombination aus Nostalgie und Abwertung der bestehenden Verhältnisse in öffentlichen Diskursen schafft für RechtspopulistInnen einen „Nährboden“ für genau diese Mobilisierung. Scheff deutet an, dass ein Bruch des Scham-Wut-Mechanismus zwar nicht unmöglich sei, „RechtspopulistInnen machen [aber wiederum] genau das Gegenteil: Sie befeuern die Scham-Wut-Spirale, indem sie die angebliche Kritik und Verachtung der ›Elite‹ gegenüber den ›einfachen Menschen‹ betonen, womit sie Scham verstärken und diese zugleich als ungerechtfertigt darstellen.“.

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Scheff, Thomas (1990): Microsociology. Discourse, Emotion and Social Structure, University of Chicago Press.

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