Freitag, 19. Juni 2020

Chronologie: Terroranschlag von Oslo und Utøya (2011)

Dies ist ein Hintergrundtext von Sandra Keller zu folgendem Eintrag in der Chronologie:

2011: Rechtsextremer Terroranschlag in Norwegen (Oslo, Utøya)

Die vierte Welle des Rechtspopulismus, die Anfang des 21. Jahrhunderts begann, fokussiert sich zunehmend auf die „Agenda-Setting“-Rolle rechtspopulistischer Parteien. Themen, denen in dieser Welle eine besondere Relevanz zukommt, sind zum Beispiel die Skepsis gegenüber Europa, Islamophobie und der Widerspruch gegenüber dem „do-goodism“ und der „political correctness“. Diese Einstellungen führen vermehrt zu einem nativistischen, autoritären und populistischen Diskurs innerhalb rechtspopulistischer Parteien in Europa (vgl. Mudde 2019, S. 22).

Auch in Norwegen ist zu erkennen, dass die rechtspopulistische Partei Fremskrittspartiet (FrP), die 1973 gegründet wurde, seit Beginn des Jahrhunderts einige Wahlerfolge feiert. Ein besonderes Hoch ist 2009 zu verzeichnen, als die Partei 22,9% der Stimmen auf sich vereinen konnte (vgl. Jochem 2019, S. 270). Das Profil der Partei lässt sich als neoliberal, populistisch und radikal rechts beschreiben. Zudem positioniert sie sich als einzige politische Kraft in Norwegen gegen Zuwanderung mit einem Feindbild im Islam und in Muslimen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung. o.J.).

Dieser Aufschwung rechtpopulistischer Parteien führte innerhalb der Gesellschaft zum Teil zu einer Radikalisierung, die am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der norwegischen Insel Utøya zu einem schrecklichen rechtsextremen Terroranschlag führte.

Es begann am Nachmittag im Regierungsviertel Oslos, als um 15:26 Uhr ein Sprengsatz detonierte. Dieser forderte das Leben von acht Personen. Ort des Anschlags war das 17-stöckige Hauptgebäude der Regierung, worin sich auch das Büro des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg befand. Auch das Ölministerium Norwegens geriet dabei in Brand.

Gegen 17 Uhr fielen die ersten Schüsse auf der nahegelegenen Insel Utøya im Tyrifijord. Zu diesem Zeitpunkt fand dort ein Sommerferienlager mit mehreren hundert Jugendlichen der sozialdemokratischen Partei statt. Der Attentäter gab sich als Polizist aus, der über den Anschlag in Oslo informieren wolle. Kurz danach begann hier der zweite Teil des Terroranschlags. Mit einer Pistole und einer automatischen Waffe schießt der Attentäter ca. 1,5 Stunden wahllos auf die Jugendlichen, mindestens 68 Personen sind hierbei ums Leben gekommen.

Nach 18 Uhr meldete sich der Attentäter telefonisch bei der Polizei, gesteht die Tat und bezeichnet sich selbst als „Kommandeur der ‚norwegischen antikommunistischen Bewegung‘“. Bei einem zweiten Anruf gibt er sich als „Mitglied der europäischen Tempelritter aus, die in der antikommunistischen, norwegischen Widerstandsbewegung organisiert seien“. Der Täter ergab sich kurz darauf widerstandslos der Polizei und wurde um 18.35 Uhr festgenommen (vgl. Tagesschau 2011).

Kurz vor dem Anschlag in Oslo verbreitete der Täter im Internet eine wirre Schrift, die 1516 Seiten umfasst und den Titel „2083. A European Declaration of Independence“ trägt. Darin erklärt er sein Tatmotiv. „Er habe Europa ‚vor dem Kulturmarxismus und Islamisierung‘ retten wollen“ (vgl. Spiegel 2011).

In der Schrift sind zwei Feindbilder zu erkennen: Zunächst der Islam, der als politisches System dargestellt wird, das nach weltweiter Herrschaft strebt. Zudem die „sogenannten Kollaborateure, die einer angeblich drohenden Islamisierung den Weg bereiten“ (vgl. Jung 2011). Hierbei ist auffällig, dass genau diese auch häufig die Feindbilder von Rechtspopulisten sind. Elemente wie „Fremdenhass“ und „Islamphobie“ sowie die Unterteilung in das „wahre Volk“ und „Eliten“ charakterisieren den Rechtspopulismus.

Der Täter kritisierte die „Eliten“ dahingehend, dass „sie sich nicht gegen die Islamisierung wehren“ und lehnt den „Kulturmarxismus“ ab (vgl. Jung 2011). Die sozialdemokratischen Parteien, welche das Modell des Wohlfahrtsstaates entwickelt haben und sich für dieses in ihrer inklusiven Form aussprechen, werden sowohl von der rechtspopulistischen Partei Norwegens als auch seitens des Attentäters als „Eliten in Skandinavien“ bezeichnet (vgl. Jung 2011).

Skandinavien zeichnet sich durch Mulitkulturalität aus und ist von dem Glauben an die Entwicklungsfähigkeit und Integrationskraft der Gesellschaft geprägt. Genau gegen dieses Gesellschaftsbild stellen sich Rechtspopulisten und definieren es als „Kulturmarxismus“. Dieses Bild vertritt auch die rechtspopulistische norwegische Fortschrittspartei, in der auch der Attentäter von 2009-2004 Mitglied war. Diese Partei beabsichtigt besonders Wähler anzusprechen, die von einem sozialen Abstieg bedroht sind und nutzt dabei eine gezielte Angst-Rhetorik. Hierbei gilt es zu betonen, dass der Täter ein Einzeltäter und zum Zeitpunkt des Attentats kein Parteimitglied mehr war (vgl. Jung 2011).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Attentäter einige rechtspopulistische Merkmale aufweist. Die Differenzierung zwischen Volk und Elite, dem eigenen Volk und Fremden sowie die Vereinfachung der Weltanschauung sind zentrale rechtspopulistische Elemente, die in seiner Schrift auftauchen. „Die da oben“ bezieht sich in diesem Fall auf die sozialdemokratische Partei, die aus Sicht des Attentäters für die „Überfremdung“ Norwegens verantwortlich ist. Er deklarierte seine Tat deshalb als „Kreuzzug gegen den norwegischen Staat und seine sozialdemokratische Elite“ (vgl. Schymik 2011).

Der Bombenanschlag in Oslo sowie das Massaker auf Utøya werden aus den genannten Gründen als „erster Terrorakt, der dem europäischen Rechtspopulismus angerechnet werden muss“ (Schymik 2011) definiert. Der Attentäter wurde zu 21 Jahren Gefängnis mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt, die Höchststrafe im norwegischen Gesetz (vgl. Dake 2012).

Literaturverzeichnis

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