Mittwoch, 22. Juli 2020

Chronologie: Jörg Haider wird FPÖ-Vorsitzender (1986)

Dies ist ein Hintergrundtext von Maximo Winter zu folgendem Eintrag in der Chronologie:

1986: Jörg Haider wird FPÖ-Vorsitzender

Jörg Haider war eine polarisierende Persönlichkeit und hat die politische Landschaft in Österreich nachhaltig geprägt. 

Kurze Übersicht FPÖ

Die FPÖ entstand 1956 aus dem Verband der Unabhängigen (VdU), einem deutsch-nationalen Lager (vgl. Ager 2013, S.229). Viele ehemalige Nationalsozialisten fanden sich unter den frühen Mitgliedern und Wählern. Nach Ager durchlief die FPÖ fünf Phasen:
  • Bis ca. 1960: Irrelevanz in der politischen Landschaft als Ein-Programm-Partei.
  • Bis ca. 1975: Ausweitung des Programms unter Friedrich Peter mit einer Annäherung an die SPÖ.
  • Bis 1986: Kursänderung zu einer liberalen Politik mit der ersten Regierungsbeteiligung.
  • Bis 2000: Jörg Haider übernimmt den Vorsitz der FPÖ und führt diese zu großen Wahlerfolgen durch Ruck zum Rechtspopulismus. Zusätzlich findet eine Abgrenzung von den anderen Parteien statt.
  • Ab 2000 und nach dem Rücktritt Haiders nähert sich die FPÖ der ÖVP an (vgl. Ager 2013, S.230 f.).

Erstes politisches Auftreten

Jörg Haider war früh politisch aktiv. Von seiner langjährigen Funktion als Klassensprecher über leitende Positionen in Schülerverbindungen zum Engagement in Burschenschaften konnte er durchgehend seine rhetorischen Fähigkeiten unter Beweis stellen (vgl. Steiner 2016, S. 48 f.). Sein späteres Engagement im Ring Freiheitlicher Jugend führte zu einem raschen Aufstieg, bis er schon mit unter 30 Jahren in den österreichischen Nationalrat (Steiner 2016, S. 50) einzog.

FPÖ-Vorsitz

Haider kam in einer Zeit des innerparteilichen Machtkampfs als Vertreter des deutsch-nationalen Flügels an die Macht innerhalb der Partei (vgl. Ager 2013, S. 235). Mit seinem Wahlerfolg gab es somit einen deutlichen Rechtsruck innerhalb der Partei. Haiders Aussage: „Rechts von der FPÖ dürfe es keine demokratische Alternative geben“ (Steiner 2016, S.53) ist eine Einladung für alle Unterstützer „aus rechtsextremen und rechtsradikalen Kreisen“, wobei Haider für diese als eine Art charismatischer „Führer“ (Steiner 2016, S. 53) fungiert.

Der Personenkult um Haider und sein Einfluss auf den Erfolg der FPÖ zeigt sich schon „bei den Nationsratswahlen im Jahr 1986, [bei denen] 50 Prozent der Wähler/Innen aufgrund der Person Jörg Haiders die FPÖ gewählt haben“ (Steiner 2016, S. 65). In dieser Zeit kam es dann auch in der Gesellschaft zu einem Rechtsruck als Folge der „Enttabuisierung von nationalsozialistischer und antisemitischer Sprache“ (Ager 2013, S. 283).

Im Laufe seiner Amtszeit ließ sich Haider weitgehende Befugnisse erteilen. Dazu gehört ein „Vetorecht [bei] Personalfragen“ (Steiner 2016, S. 77) durch das nur ihm treues Personal die Schlüsselpositionen der FPÖ besetzen konnte. Haider traf wichtige Entscheidungen selbst, andere Parteimitglieder waren unter seinem „autoritären Führungsstil“ geradezu „Marionetten“ zu seiner freien Verfügung (vgl. Steiner 2016, S. 77).

Äußerungen und Strategien

Die späte Aufarbeitungsarbeit der Nazi-Zeit führte zu einer Spaltung der Gesellschaft, in der vor allem die FPÖ unter Haider frühere Soldaten in Schutz nimmt und die lange gepflegte Opferrolle Österreichs aufrechterhält (vgl. Ager 2013, S. 240). Haider beschreibt in mehreren Reden, zum Beispiel der „Krumpendorf-Rede“ (Ager 2013, S. 241) vor Waffen-SS-Veteranen, Wehmachtsoldaten als „anständig“, „treu“, pflichtbewusst und als Vorarbeiter für „die Demokratie in Europa“ (Ager 2013, S. 241).

Haider betrieb eine aktive Geschichtspolitik entgegen der „offizielle[n] Geschichtsschreibung“ und machte „rechtsextreme Äußerungen […] salonfähig“ (Ager 2013, S. 250). Ein Faktor davon ist die „Politik [der] Feindbilder“ (Steiner 2016, S. 58), mit der Haider und die FPÖ Österreich durch „Anti-Immigrationsparolen [und Schüren von Ängsten] von einem bis dato flüchtlingsfreundlichen“ (Steiner 2016, S. 58 f.) zu einem flüchtlingsfeindlichen Staat wandelte.

Unter Haider wurden die Parolen und das Programm der FPÖ zunehmend emotionalisiert (vgl. Steiner 2016, S. 59). Angst und Hass wurden zu politischen Mitteln, mit denen die Partei erfolgreich Wählerstimmen sammeln konnte. Dafür streute Haider Gerüchte und Unwahrheiten, die auch nachdem sie enttarnt wurden, schon ihren Schaden angerichtet haben.

Jörg Haider war in den Medien geradezu omnipräsent, dabei schienen sowohl positive als auch negative Berichterstattung Haiders Erfolg zuträglich gewesen zu sein (vgl. Steiner 2016, S. 64). Die Opferrolle der Partei wurde gestärkt und die Medien im gleichen Zug angegriffen.

Aktuelle Bedeutung

Auch heute noch, nach seinem Tod in einem von Verschwörungsmythen umwachsenen Autounfall 2008, hat die Persönlichkeit Haider nachhaltigen Einfluss auf den Erfolg der FPÖ. Durch seine Umformung der „politischen Kultur […] innerhalb Österreichs“ (Steiner 2016, S. 67) wurden die Österreicher zunehmend gegenüber rechtspopulistischem bis hin zu rechtsextremem Gedankengut desensibilisiert.

Quellen:
Weiterführende Literatur:
  • Dorner-Hörig, C. (2013). Habitus und Politik in Kärnten: Soziogenetische und psychogenetische Grundlagen des Systems Jörg Haider (Figurationen. Schriften zur Zivilisations- und Prozesstheorie (9)) (German Edition) (2014. Aufl.). Springer VS.
  • Haserer, W. (2002). Der Rechtspopulist Jörg Haider. Bedey Media GmbH.
  • Kräh, G. (1996). Die Freiheitlichen unter Jörg Haider Rechtsextreme Gefahr oder Hoffnungsträger für Österreich? Peter Lang Ltd. International Academic Publishers.

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