Mittwoch, 17. Juli 2019

Was ist Identitätspolitik?

Ein Beitrag von Isabell Klenk

Seit einer Weile wird auch außerhalb von Europa über Identität und somit auch über Identitätspolitik gesprochen und diskutiert. Auch in Nordamerika ist es zu einem Thema geworden, über das häufiger gesprochen wird (vgl. Ayyash 2019, S. 1). Doch der Identitätspolitik wird aktuell auf Grund verschiedener Debatten ein eher schlechter Ruf nachgesagt (vgl. Clemens 2018). Aber was steckt eigentlich dahinter? Es stellt sich die Frage, was wir eigentlich genau unter Identitätspolitik verstehen und welche Auswirkungen diese Art von Politik auf unsere Demokratie und auf die Gesellschaft hat.


Wenn über Identitätspolitik gesprochen wird, liegt der Blick immer auf den Interessen von einzelnen Menschen der Gesellschaft. Die Menschen fühlen sich durch ihre durchaus unterschiedlichen Interessen ganz automatisch verschiedenen Gruppen zugehörig. Doch ein Einzelner kann auch durch andere Merkmale oder Kategorien einer bestimmten Gruppe zugeschrieben werden. So lassen sich die Menschen beispielsweise durch ihr Geschlecht, die Herkunft oder die Hautfarbe einer Gruppe zuordnen. Diese Kategorisierung der Gesellschaft hat eine Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Gruppen zufolge. Diese Abgrenzung macht sich die Politik zunutze. Das politische Handeln nämlich richtet sich in gewisser Weise immer nach einer bestimmten Gruppe und somit auch nach deren Interessen (vgl. Ayyash 2019, S. 1).

Auch die Populisten ziehen eine Grenze zwischen dem „wahren Volk“ und der „korrupten Elite“ (Ayyash 2019, S. 1). Die Kritik an der Elite ist an dieser Stelle von großer Bedeutung, denn sie ist Ausgangspunkt für den Populismus, wie wir ihn kennen. Das „wahre Volk“ stellt sich jedoch als eine Gruppe heraus, in der nicht nur die Elite ausgeschlossen ist. Vielmehr zählen alle Menschen in der Gesellschaft, die eine andere Politik als die Politik der Populisten unterstützen, nicht wirklich zum „wahren Volk“.

Auch in Nationen außerhalb Europas tut sich diese Grenze auf. So werden die politischen Gegner von Donald Trump als „unamerikanisch“ oder einzig und allein die Briten, die den Brexit unterstützen, von Nigel Farage als wirkliche Briten bezeichnet („real people“). Die Frage nach der Zugehörigkeit und Identität spielt im Populismus also eine sehr große Rolle: „Es geht nicht ohne Identität, die dem 'wahren Volk' zugesprochen wird (Müller 2019, S. 1).

Die Beschreibung des "wahren Volkes" muss deutlich genug sein, um eine offensichtliche Grenze zu allen anderen Gruppen zu schaffen und die Unterschiede sichtbar zu machen. Durch diese Grenzziehung kommt es zu einer immer weiteren Teilung und Abgrenzung der Gesellschaft (vgl. Müller 2019, S. 1).
„Idealerweise spaltet sich die Gesellschaft in eine Mehrheit des 'wahren Volkes' und eine oppositionelle Minderheit, die eigentlich gar nicht richtig dazugehört, deren Existenz aber wiederum den Populisten erlaubt, die Destinktion zwischen 'wahrem Volk' und den Anderen immer wieder zu verdeutlichen beziehungsweise Bedrohungsszenarien heraufzubeschwören“ (Müller 2019, S. 1).
Doch diese homogene Gesellschaft, dieses homogene Volk bildet nicht die Wirklichkeit ab. Es ist lediglich ein gedankliches Konstrukt, eine „Fantasievorstellung“ in den Köpfen der Populisten (vgl. Müller 2019, S. 1).

Die rechtspopulistischen Parteien üben eine Identitätspolitik aus, die vor allem Menschen anspricht, die mittlerweile mit dem Gefühl leben, auf der Strecke geblieben zu sein. Darunter fallen unter anderem Menschen der älteren Generation oder Personengruppen ohne Migrationshintergrund, die sich von anderen überholt fühlen (vgl. Newmark 2017). Diese Anderen sind beispielsweise Flüchtlinge oder homosexuelle Menschen.

Mittlerweile gibt es immer mehr Gruppen, die sich für Minderheiten („Frauen, Schwule, Migranten, People of Color und so weiter“, Newmark 2017) einsetzen und Gleichheit für alle fordern. Dem wollen die Rechtspopulisten durch ihre eigene Identitätspolitik entgegenwirken (vgl. Newmark 2017).

Dieses Phänomen zeigt sich laut dem Politikwissenschaftler Mark Lilla auch am Wahlergebnis der Präsidentschaftswahl in Amerika im Jahr 2016. Nach Meinung von Lilla habe Trump „die abgehängte weiße Arbeiterschaft für sich gewonnen, weil Hillary Clinton zu häufig für andere marginalisierte Gruppen eingetreten sei, wie Schwarze, Frauen oder LGBT-Communitys“ (Schmidt 2016, S. 1).

Den Linken wird dabei also vorgeworfen, den Blick für die Arbeiterklasse und somit in gewisser Weise auch den Blick für das Wesentliche verloren zu haben (vgl. Schmidt 2016, S. 1). Doch Jan-Werner Müller, Professor für politische Theorie an der Princeton University, vertritt in dieser Hinsicht einen ganz anderen Standpunkt. Laut ihm ist die Niederlage Clintons nicht auf die von den Demokraten geführte Identitätspolitik zurückzuführen.
„Er argumentierte, dass die mediale Berichtserstattung in Bezug auf Clinton eigentlich nur von drei Themen geprägt war: Erstens der Gebrauch ihres privaten Emailservers sowie zweitens die möglicherweise anrüchigen Machenschaften der Clinton-Stiftung und drittens der Bengasi-Anschlag, ein Attentat in Libyen, bei dem ein amerikanischer Diplomat ums Leben kam. Andere Themenkomplexe hätten während des Wahlkampfes keine Rolle gespielt.“ (Clemens 2017)
Demzufolge ist anzunehmen, dass die Identitätspolitik Clintons von der Arbeiterklasse eher weniger kritisch gesehen wurde und somit keinen allzu großen Einfluss auf das Wahlergebnis hatte. In dieser Hinsicht wäre es viel plausibler zu sagen, dass Clinton die Minderheiten durch ihre Identitätspolitik für sich hätte gewinnen müssen (vgl. Clemens 2017).

Identitätspolitik wirft immer eine Grenze zwischen „dem Eigenen (die dazu gehören) und dem Andern (die ausgeschlossen sind)“ (Susemichel 2019) auf. Dabei vertritt eine Gruppe ihre eigenen Interessen und setzt sich für ihre Rechte ein (vgl. Susemichel 2019). Doch die Identitätspolitik als solche steht nicht automatisch und in keinem Falle zwingend mit dem Populismus in Zusammenhang. Sie ist also im Allgemeinen betrachtet keine Gefährdung für die Demokratie (vgl. Müller 2019, S. 1).

Die ursprüngliche Idee der Identitätspolitik war, laut Schmidt, „zu zeigen, dass die Möglichkeiten des Einzelnen, in der Gesellschaft erfolgreich zu sein, durch Eigenschaften bedingt werden, für die er nichts kann. Sei es das Vorhandensein ökonomischen oder kulturellen Kapitals in der Familie, die Hautfarbe oder sexuelle Orientierung“ (Schmidt 2016).

Trotz allem wird die Identitätspolitik auch aus anderen Blickwinkeln kritisch hinterfragt. Es steht der Vorwurf im Raum, dass Identitätspolitik bestimmte Gruppen, zum Beispiel Schwarze oder Transsexuelle, gegenüber anderen Gruppen, etwa „von der Weltwirtschaft abhängige Weiße“ (Schmidt 2016, S. 1), bevorzugt (vgl. Schmidt 2016, S. 1).

Literaturverzeichnis:

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