Montag, 1. Juli 2019

Die „Ibiza-Affäre“: Warum ist die FPÖ (scheinbar) immun gegen Skandale?

Autor: Bastian Zoll

Europaweit nimmt die Wählerschaft und die Unterstützung rechtspopulistischer Parteien zu. Mit ihren reißerischen Thesen schüren sie oft Hass und spalten ganze Gesellschaften. Durch ihre rückwärtsgewandten, autoritären und konservativen Ansichten versuchen sie die etablierten Parteien zu schädigen und untergraben das soziale Wertesystem vieler Bürgerinnen und Bürger. Die FPÖ hat es in Österreich als drittstärkste Kraft sogar in die Regierung geschafft. Auch die Affäre um Johann Gudenus und Heinz-Christian Strache scheint der Partei laut aktuellen Umfragen nur wenig zu schaden. Doch warum ist diese Partei und ihre Anhängerschaft, durch solche Skandale nur so wenig zu beeinflussen? Und ist bei der sogenannten „Ibiza-Affäre“ überhaupt von einem Skandal zu sprechen oder handelt es sich dabei, wie Strache sagt, nur um eine „besoffene G´schicht“? Dies möchte ich im Folgenden genauer analysieren.

Die „Ibiza-Affäre“

Am Freitag, dem 17.05.19, veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung zusammen mit dem Spiegel Ausschnitte aus dem sogenannten „Ibiza-Video“ und mehrere Artikel, welche sich inhaltlich damit auseinandersetzten. Das Video zeigte den mittlerweile zurückgetretenen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Johann Gudenus im Gespräch mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte. Die scheinbare Oligarchen-Nichte stellte sich später jedoch als bosnische Studentin heraus und das heimlich aufgezeichnete Gespräch als Falle mit hochgradiger politischer Relevanz.

Die veröffentlichten Videoausschnitte zeigen die beiden Parteifunktionäre, wie sie der Dame staatliche Aufträge in Aussicht stellen, sofern sie Anteile an der österreichischen Kronenzeitung erwirbt und dafür sorgt, dass die FPÖ in einem guten Licht dasteht und andere „Leute, (die müssen) abserviert werden“ (H.C. STRACHE, zitiert nach „IBIZA-VIDEO“ TAGESSCHAU.DE, 2019). Im Gegenzug soll die Oligarchen-Nichte die staatlichen Aufträge bekommen, welche zurzeit der Strabag-Konzern innehat. In dem Video sagt Strache:
„Dann soll sie eine Firma wie die Strabag gründen. Alle staatlichen Aufträge, die jetzt die Strabag kriegt, kriegt sie dann." (H.C. STRACHE, zitiert nach „IBIZA-VIDEO“ TAGESSCHAU.DE, 2019).
Mit diesem illegalen Angebot versucht Strache gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Er will zum einen seine Wählerschaft durch mediale Manipulation erweitern und zum anderen seinen langjährigen „Intimfeind“ (TAGESSCHAU.DE 2019) Hans Peter Haselsteiner, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Strabag, schädigen.

Des Weiteren wird in den Videoausschnitten über eine mögliche finanzielle Unterstützung der FPÖ in Form von Parteispenden diskutiert, was prinzipiell nichts Illegales ist. Jedoch merkt Strache an, dass man große Parteispenden nicht offenlegen möchte und die Finanzierung über einen Verein laufen soll, um so den österreichischen Rechnungshof zu umgehen. Wörtlich sagt Strache:
„Es gibt ein paar sehr Vermögende. Die zahlen zwischen 500.000 und anderthalb bis zwei Millionen. (…) Es gibt ganz wenige, die an die Partei spenden, weil das an den Rechnungshof geht. Dann ist es offen. Das will keiner. (…) Der Verein ist gemeinnützig, der hat mit der Partei nichts zu tun. Dadurch hast du keine Meldung an den Rechnungshof.“ (H.C. STRACHE, zitiert nach „IBIZA-VIDEO“, TAGESSCHAU.DE 2019)

Auswirkungen der „Ibiza-Affäre“

Die Veröffentlichung des 2017 aufgezeichneten Gesprächs hatte, kurze Zeit vor der Europawahl, eine hohe politische Tragweite und führte dazu, dass die beiden Funktionäre ihren Rücktritt erklärten und der österreichische Kanzler Sebastian Kurz Neuwahlen ankündigte. Da das Video nur wenige Tage vor der Europawahl veröffentlicht wurde, konnte man davon ausgehen, dass es auch Auswirkungen auf die Wahlergebnisse der Rechtspopulisten haben würde.

Diese Auswirkungen fielen jedoch verhältnismäßig gering aus. Gerade einmal drei Prozent verlor die Partei im Vergleich zur vorangegangenen Europawahl (STATISTA.COM, 2019). Laut einer Umfrage von Research Affairs („Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Nationalratswahl wäre?“), welche am 6. Juni 2019 in der Tageszeitung „Österreich“ veröffentlicht wurde, verlor die Partei, im Vergleich zur Umfrage der „kleine Zeitung“ vor der Ibiza-Veröffentlichung, insgesamt vier Prozent. Somit blieb die FPÖ die drittstärkste Partei in Österreich (STATISTA.COM, 2019) und könnte in Koalition mit der ÖVP immer noch eine Regierung bilden.

Skandal oder “besoffene G´schicht” - Strafrechtliche Relevanz des “Ibiza-Videos”

Die “Ibiza-Affäre” hat sich zu einem, wie es die Medien betiteln, “politischen Skandal” ausgeweitet. Doch kann sie tatsächlich als Skandal gewertet werden oder handelt es sich, wie Strache sagt, nur um eine “besoffene G´schicht”? Dies möchte ich im Folgenden näher beleuchten und analysieren, ob sich Strache und Gudenus mit ihrem Verhalten strafbar gemacht haben und somit die Gesetze, welchen sie vor allem als Politiker und Vorbilder verpflichtet sind, verletzt haben.
“Man kann hinfallen und man kann Fehler machen, jedoch entscheidend ist, wieder aufzustehen. Solche kriminellen Methoden dürfen sich nicht durchsetzen. Es geht um Würde, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Mühlen Gottes mahlen langsam, aber gerecht. Ich habe mir Zeit meines Lebens nichts zu Schulden kommen lassen!” (STRACHE, 2019)
Mit diesem Statement wandte sich Strache auf Facebook am 12. Juni 2019 an die Öffentlichkeit, um seine Unschuld zu untermauern. Ob er sich tatsächlich nichts zuschulden hat kommen lassen, bezweifelt jedoch die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), weshalb sie am 13. Juni Ermittlungen gegen den ehemaligen FPÖ-Chef einleitete. Es besteht der Verdacht der Untreue (GEPP & WINTER, 2019). In den kommenden Monaten wird sich also zeigen, ob die “Mühlen Gottes” tatsächlich langsam und gerecht mahlen. Auch wenn ich mir als Laie nicht anmaßen möchte, ein juristisch korrektes Urteil fällen zu können, möchte ich dennoch im Folgenden den Straftatbestand auf Grundlage der österreichischen Gesetzgebung genauer analysieren.

Da die WKStA die Ermittlungen wegen Verdachts der Untreue eingeleitet hat, möchte ich mit “§ 153 StGB Untreue” beginnen. Darin steht:
“(1) Wer seine Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht und dadurch den anderen am Vermögen schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. (2) Seine Befugnis missbraucht, wer in unvertretbarer Weise gegen solche Regeln verstößt, die dem Vermögensschutz des wirtschaftlich Berechtigten dienen. (3) Wer durch die Tat einen 5 000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, wer einen 300 000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.”
Strache und Gudenus haben “wissentlich” versucht, potentielle Parteispenden durch die Umleitung über einen Verein am österreichischen Rechnungshof vorbeizuschleusen und so den Staat bzw. die Allgemeinheit, als “wirtschaftlich Berechtigten”, zu schädigen. Diese Schädigung ist ein Straftatbestand. Da die im Video genannten Summen, und die damit (potentiell) einhergehenden steuerlichen Schäden, deutlich die Grenze von 5.000 Euro überschreiten würden, könnte dieses Verhalten auch eine Freiheitsstrafe mit sich bringen.

Strache argumentiert in seiner Rücktrittserklärung, „Keine Spenden sind an die Partei oder gemeinnützige Vereine ergangen, von den besagten Namen die genannt worden sind.” (H.C. STRACHE RÜCKTRITTSERKLÄRUNG , 18.05.2019). Da es nicht tatsächlich zu einer Straftat in Form der Veruntreuung kam, weißt er die Schuld von sich. Allerdings sagt die österreichische Gesetzgebung, laut § 15 StGB:
“(1) Die Strafdrohungen gegen vorsätzliches Handeln gelten nicht nur für die vollendete Tat, sondern auch für den Versuch und für jede Beteiligung an einem Versuch. (2) Die Tat ist versucht, sobald der Täter seinen Entschluß, sie auszuführen oder einen anderen dazu zu bestimmen (§ 12), durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt. (3) Der Versuch und die Beteiligung daran sind nicht strafbar, wenn die Vollendung der Tat mangels persönlicher Eigenschaften oder Verhältnisse, die das Gesetz beim Handelnden voraussetzt, oder nach der Art der Handlung oder des Gegenstands, an dem die Tat begangen wurde, unter keinen Umständen möglich war.”
Da die beiden FPÖ-Funktionäre den “Entschluss” gefasst haben, “einen anderen (die vermeintliche Oligarchen-Nichte) dazu zu bestimmen”, eine Straftat zu begehen, und bereit waren, die finanziellen Mittel im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit anzunehmen, haben sich sowohl Strache wie auch Gudenus hinsichtlich der “Beteiligung an einem Versuch” strafbar gemacht. Da weder Strache noch Gudenus zu der in Absatz 3 §15 StGB erwähnten Gruppe zählen, sind sie beide nicht von der “Strafbarkeit des Versuches” ausgenommen.

In der Rücktrittserklärung Straches begründet er sein Verhalten mit „alkoholbedingtem Machogehabe“. Daher muss überprüft werden, ob Strache und Gudenus zur Zeit des Gesprächs voll zurechnungsfähig waren oder ob ihre Handlung unter §287 StGB fällt. In diesem Paragraphen wird geregelt, wie eine Straftat “im Zustand voller Berauschung” geahndet wird. Dieser Zustand muss natürlich vor Gericht durch Sachverständige an Hand des Videomaterials nachträglich analysiert werden. Augenscheinlich wirken Gudenus und Strache jedoch nicht, als wären sie “im Zustand voller Berauschung”. Unter diesen Paragraphen (§ 287 StGB) fällt man in Österreich ab einem Blutalkoholwert von über drei Promille. Dass die beiden FPÖler solch hohe Alkoholwerte zum Tatzeitpunkt intus hatten, lässt sich auf Grund von Artikulation und Motorik jedoch stark bezweifeln.

Des Weiteren könnte die österreichische Staatsanwaltschaft wegen dem “Mißbrauch der Amtsgewalt“ (§ 302 StGB) gegen die beiden FPÖ-Funktionäre ermitteln. Laut diesem Paragraphen macht sich ein Beamter strafbar, wenn er „mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich mißbraucht, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ (§302 StGB)

“Wissentlich” möchten Strache und Gudenus den „Strabag-Konzern“ durch die illegale Vergabe von staatlichen Aufträgen schädigen, wodurch sie sich potentiell strafbar machen. Auch hier ist eine Gegenargumentation durch das Nicht-Vollziehen der Straftat auf Grund des vorhergehend erwähnten Paragraphen 15 StGB (“Strafbarkeit des Versuches”) nicht gegeben. Weshalb Gudenus und Strache auch hier unter Umständen eine Straftat nachgewiesen werden könnte.

Ein weiterer denkbarer strafrechtlich relevanter Aspekt wäre die Anklage wegen “Verhetzung” (§ 283 StGB). In diesem Paragraphen steht:
„(1) Wer öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, 1. zu Gewalt gegen (…) eine andere (…) Weltanschauung (…) oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe ausdrücklich wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe auffordert oder zu Hass gegen sie aufstachelt, 2. in der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, eine der in Z 1 bezeichneten Gruppen in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, oder 3. (…) gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe ausdrücklich wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe gerichtet ist und in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Gewalt oder Hass gegen solch eine Gruppe oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe aufzustacheln, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.“ (§ 283 StGB) „(2) Wer die Tat nach Abs. 1 in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine Weise begeht, wodurch die in Abs. 1 bezeichneten Handlungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich werden, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.“ (§ 283 StGB)
Da Strache durch den Anteilskauf der vermeintlichen Oligarchen-Nichte die Kronen Zeitung und so die öffentliche Meinung („in einem Druckwerk“) beeinflussen möchte, um andere, wie er sagt, „abzuservieren“ und so „diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich (zu) mach(en)t oder herab(zu)setz(en)t“, kann hier theoretisch von dem Versuch der „Verhetzung“ gesprochen werden. Da Strache in den veröffentlichten Videosequenzen allerdings nicht ausdrücklich definiert, wer “abserviert” werden soll und in welcher Form, ist ihm dieser Punkt voraussichtlich aber nur schwer nachzuweisen. In der anstehenden Gerichtsverhandlung wird die Staatsanwaltschaft jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach die kompletten Videoaufzeichnungen einsehen. Daher ist es durchaus möglich, dass die “Abzuservierenden” an anderer Stelle genauer definiert werden und so auch in dieser Hinsicht Ermittlungen eingeleitet werden.

Da sich sowohl Gudenus wie auch Strache möglicherweise strafbar gemacht haben und die ersten Ermittlungen gegen die beiden laufen, kann in jeder Hinsicht von einem Skandal gesprochen werden. Doch weshalb hatte dieser Skandal nur so geringe Auswirkungen auf den Wahlerfolg der FPÖ bei der Europawahl? Dies werde ich im nachfolgenden Kapitel näher beleuchten.

Gründe der (scheinbaren) Immunität

Seit dem Bekanntwerden des “Ibiza-Videos” geht ein politisches Beben durch Österreich. Die FPÖ-Funktionäre Gudenus und Strache sind zurückgetreten, Kanzler Sebastian Kurz hat Neuwahlen angekündigt und das Volk scheint entsetzt zu sein von dem Skandal. Aber dennoch verliert die FPÖ nur drei Prozent an Stimmen bei der Europawahl und bleibt gerade in ländlicheren Regionen stabil. Was sind die Gründe hierfür?

Gezielte Fehlinformationen

Ein bei Populisten beliebtes Werkzeug nach Holtmann ist die gezielte Streuung von Fehlinformationen (HOLTMANN 2018, S. 11-14). Vor allem im Netz, in sozialen Plattformen wie Facebook, Twitter und Co., werden immer wieder sogenannte “fake news” verbreitet und geteilt. Durch “click baiting”, also das gezielte Ködern durch reißerische Überschriften, und emotionalisierende Berichte generieren die Verbreiter teils deutlich höhere Leserzahlen als seriös recherchierte Berichte (BRODNIG 2017, S. 7).

Ein großes Problem hierbei ist, dass viele Bürger sich zu unreflektiertem Verhalten verleiten lassen und so unseriösen Quellen Vertrauen schenken und populistische Meinungen adaptieren. Brodnig, die sich intensiv mit der Thematik Lügen im Netz auseinandergesetzt hat und immer wieder, wie sie sie nennt, “besorgte Bürger” interviewte, sieht dies aber nicht als alleiniges Problem. Sie merkt an, dass die meisten Interviewten dieser Gruppe “(…) lesen wollen, was sie denken” (BRODNIG 2017, S. 8). In ihren Interviews begegnet sie immer wieder ähnlichen Argumentationen. Sofern eine populistische Aussage wiederlegt wurde, greifen die Gegenüber oft zu dem Argument, wenn es heute nicht passiert ist, dann kann es ja morgen passieren (BRODNIG 2017, S. 9). Dies ist natürlich keine schlüssige Argumentation, allerdings ist das Gegenteil auch kaum zu beweisen, weshalb eine objektive Auseinandersetzung mit der Thematik nur schwer möglich ist.

Die verbreiteten (Fehl-)Informationen führen meist zu einer Polarisierung und werden dazu genutzt, Vorurteile zu schüren. Auch dies ist ein typisches Merkmal populistischer Rhetorik (HOLTMANN 2018, S. 11-14). Dabei “geht es dann nicht mehr darum, ob eine Behauptung belegbar ist, sondern ob sie dem anderen politischen Lager schadet” (BRODNIG 2017, S. 9). Auch diese Methodik nutzte die FPÖ immer wieder im Wahlkampf. Die Folge solcher “Hetzkampagnen” ist, dass sich die Bruchlinien zwischen den Bürgern immer mehr vergrößern und sich die Fronten verhärten.

Gerade in den sozialen Medien ist zunehmend zu beobachten, wie sich die Menschen teils auf unterstem Niveau und weit entfernt von jeglicher Argumentationsstruktur “anhaten”. Das Problem solcher verhärteten Meinungen in Kombination mit dem “lesen wollen, was sie denken” ist, dass sich nur wenige dieser “besorgten Bürger” durch sinnvolle Argumente und Fakten von anderen Meinungen überzeugen lassen. Dies ist mit Sicherheit ein Aspekt, weshalb Skandale wie die “Ibiza-Affäre” einen Großteil der Wählerschaft von der FPÖ “kalt lassen”.

Wählerschaft

S. M. Lipset formulierte 1959 die These des „working class authoritarianism“. Laut dieser These “existieren in der Arbeiterklasse spezifische Sozialisations- und Deprivationserfahrungen, die die Ausbildung autoritärer Einstellungs- und Persönlichkeitsmuster begünstigen und Klassenangehörige deshalb für autoritäre Politikangebote radikaler Parteien und Bewegungen empfänglich machen“ (zitiert nach SCHEUREGGER & SPIER 2007, S. 60).

Scheuregger und Spier bezogen diese These in ihrer Forschung auf die Wahl von rechtspopulistischen Parteien. Dabei konnten sie nachweisen, dass von einem “signifikanten Effekt der Klassenlage sowohl auf die Rechtswahl, als auch auf die Ausbildung autoritärer psychischer Dispositionen und autoritärer Einstellungen gesprochen werden kann. Weiterhin konnte ein Effekt des Autoritarismus auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien nachgewiesen werden” (SCHEUREGGER & SPIER 2007, S. 77).

Diese autoritären Aspekte weist die FPÖ deutlich stärker auf als beispielsweise die SPÖ oder die Grünen. Zudem gilt die sogenannte “Arbeiterklasse” im allgemeinen als weniger gebildet, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass sie weniger bildungsbedingte Kompetenzen hat, um politische Handlungen, Programme und Tatsachen rational zu reflektieren und entsprechend zu reagieren bzw. zu wählen. Diese These unterstützt auch die Auswertung des “Standards”, der die Wählerzusammensetzung nach Schulabschluss für die Wahlergebnisse von 2017 aufgeschlüsselt hat. Hier ist klar zu sehen, dass die Wählerschaft der FPÖ bei zunehmendem Bildungsgrad signifikant abnimmt (DERSTANDARD 2017).

Diese Feststellungen lassen sich auch darauf beziehen, weshalb die FPÖ-Wählerschaft auf dem Land prozentual stärker vertreten ist als in den Städten und nach dem “Ibiza-Skandal” verhältnismäßig stabil blieb (DELEJA-HOTKO 2019). Auf dem Land ist die “Arbeiterklasse” deutlich stärker vertreten, da es im Verhältnis faktisch mehr Arbeiter-Berufe auf dem Land gibt als in den Städten. Auch die Bildungs- bzw. Schulsituation ist auf dem Land eine andere als in der Stadt. Allein schon auf Grund der größeren Entfernung zu den entsprechenden Bildungseinrichtungen ist nicht für jeden Schüler bzw. jede Schülerin eine optimale Bildung gewährleistet, was Einfluss auf die in Korrelation mit niedrigerer Bildung stehende FPÖ-Wählerschaft hat. 

Rahmenbedingungen im österreichischen politischen System

Ein anderer Grund, weshalb die FPÖ in Österreich so stark ist, besteht darin, dass die Partei im Vergleich zur AfD in Deutschland deutlich etablierter ist und sich als “Altpartei” bzw. “Traditionspartei” sieht und gesehen wird (PELINKA 2002, S. 3). Die FPÖ wird laut Pelinka in einem “(…) engen Zusammenhang mit dem politischen System und der politischen Kultur Österreichs gesehen (…)” (PELINKA 2002 S. 3).

Somit ist es gesellschaftlich weniger verwerflich, die rechtspopulistische Partei zu wählen, als beispielsweise in Deutschland. Zudem kommen auf die “emotional aufgeladene Wählerprotestkultur (…) neue sozio-ökonomische Bedrohungslagen wie Modernisierungs- und Marginalisierungsängste” und die Angst vor sozialem Statusverlust im Kontext einschneidender internationaler Veränderungen (PLASSER 1996, S. 96). Gegen diese, in der Wählerschaft negativ konnotierten, Ereignisse möchte die FPÖ durch ihre Politik vorgehen und die “alten Werte” der eher älteren Wähler verteidigen.

Die FPÖ hat, wie Plasser sagt, schon immer von den aktuellen “Themen- und Problemkonjunkturen” profitiert, welche in den Massenmedien vermittelt wurden. Vor allem soziale Missstände, das “Ausländerthema”, die Kriminalität und die Konflikte in den aktuellen Koalitionen treiben ihr die Wähler in die Arme. Er beschreibt die Wahlerfolge der Partei als “wellenförmiges Auf und Ab”, welches in Abhängigkeit zur aktuellen Thematik in den Massenmedien steht (PLASSER 1996, S. 96).

Gerade diese Massenmedien, wie in Österreich die Kronenzeitung, werden überwiegend von eher weniger gebildeten Bürgerinnen und Bürgern gelesen, welche die Hauptwählerschaft der FPÖ ausmachen. Diese durch emotionale Themen leicht beeinflussbaren und weniger reflektierten Menschen lassen sich durch rechtspopulistische Aussagen und Lügen leicht beeinflussen, auch da sie “lesen wollen, was sie denken” (BRODNIG 2017, S.8). Dies hat zur Folge, dass einschneidende Skandale wie die “Ibiza-Affäre” nur wenig Einfluss auf die Wählerschaft hat.

Aktuelle Flüchtlingssituation

Ein weiterer ausschlaggebender Punkt, weshalb in ganz Europa rechtspopulistische Parteien zunehmend mehr Stimmen bzw. anhaltend viele Stimmen bekommen, ist die sogenannte “Flüchtlingswelle” aus den Krisengebieten im Nahen Osten und Afrika. Auch wenn diese schon stark abgeflacht ist und die Asylanträge in Österreich massiv zurückgehen, fühlen sich viele FPÖ-WählerInnen immer noch “bedroht”. Gerade die “Arbeiterklasse” hat Angst, ihre Arbeitsplätze auf Grund von Schwarzarbeit, Lohndumping und zunehmender Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu verlieren.

Auch die vermeintliche Zunahme der Kriminalität durch die Zugezogenen bereitet vielen Österreichern Sorgen, obwohl die Kriminalität in Österreich seit Jahren rückläufig ist (POLIZEILICHE KRIMINALSTATISTIK 2019). Diese nachweislich nicht der Wahrheit entsprechenden Thesen werden jedoch immer wieder von Rechtspopulisten verbreitet, dies verunsichert die Bevölkerung immer noch und treibt viele Bürger zur rechten Wählerschaft. Die Adaption solcher populistischer Thesen lässt sich auch auf den Bildungsgrad vieler Wähler und die gezielt gestreuten Fehlinformationen zurückführen.

Rechtfertigungen der populistischen Politiker – am Beispiel der Rücktrittserklärung Straches

Ein weiterer Grund, weshalb die Wählerschaft der FPÖ der Partei treu bleibt, besteht darin, dass ihre Vertreter nur selten Fehler eingestehen und wenn, dann kaschieren sie diese meist durch ihre emotionalisierende und mit Lügen gespickte Rhetorik. Dies möchte ich im Folgenden an einem Ausschnitt der Rücktrittserklärung Straches verdeutlichen.

Nach der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ erklärte Strache seinen Rücktritt von allen Regierungs- und Parteiämtern und nutzte seine Rücktrittserklärung, um sein Verhalten zu erklären, aber vor allem um sich als Opfer darzustellen. Strache eröffnet seine Erklärung mit:
„Das Gerücht lag schon länger in der Luft, dass über das Ausland wahlbeeinflussendes dirty campaining oder geheimdienstlich gesteuerte Aktionen zu befürchten sind. Man hat in der Vergangenheit schon öfter versucht mich zu Fall zu bringen. Zum Beispiel durch bewusst gestreute Drogengerüchte, durch Versuche mich ins rechtsextreme Eck zu drängen und auf unterschiedlichen Ebenen zu diskreditieren. (…) Was aber hier vor zwei Jahren inszeniert wurde, hat eine völlig neue Dimension. Hier wurde im Silbersteinmanier eine Schmutzknüppel- und Desinformationskampagne gestartet, die an Perfidie und auch an Niederträchtigkeit nicht zu übertreffen ist.“ (H.C. STRACHE RÜCKTRITTSERKLÄRUNG, 18.05.2019)
Mit dieser Formulierung versucht Strache sich und Gudenus aus der Täter- in die Opferrolle zu rücken und die Schuld vermeintlichen „geheimdienstlich gesteuerten Aktionen“ zuzuschieben. Schon in dieser Eröffnung lassen sich drei typische Merkmale populistischer Rhetorik erkennen. Das Merkmal des „Opferpathos“, die „Beeinflussung durch fremde Mächte“ und zum dritten das „Wähnen von Verschwörern“ (HOLTMANN 2018, S. 11-14). Die klare Faktenlage gegen die beiden FPÖ-Funktionäre lässt er hierbei außen vor und versucht gleich zu Beginn, die Schuld fremden und nicht genau definierten Mächten zuzuschreiben.

Zudem erklärt er, dass die „beiden Lockvögel“ die damalige private Situation von Johann Gudenus (Tod des Vaters) und seine hieraus resultierende „emotionale Angeschlagenheit“ ausnutzten. Auch dieses Schüren von Erregung und Empörung gilt nach Holtmann als typisches populistisches Merkmal (HOLTMANN 2018, S. 11-14). Nach dieser Eröffnung gibt Strache die Geschehnisse vor dem „Ibiza-Gespräch“ wieder und betont dabei wiederholt, wie (scheinbar) perfide die Lockvögel sich das Vertrauen der beiden FPÖ-Funktionäre erschlichen hatten. Zur Entstehung des Videomaterials sagt Strache folgendes:
„Unter Missbrauch von Video- und Abhörgeräten wurde versucht, Gudenus und mich, zu Straftaten zu bestimmen. Beziehungsweise zu Statements zu verleiten, die strafrechtlich bedenklich sein könnten. Beziehungsweise durch ausgewählte Ausschnitte, die aus dem Gesamtkontext gerissen sind, uns gezielt beschädigen sollten.“ (H.C. STRACHE RÜCKTRITTSERKLÄRUNG , 18.05.2019) 
Auch hier versucht er sich und seinen Parteikollegen in der Opferrolle zu inszenieren. Allerdings fällt auf, dass Strache hier klare Fehlinformationen streut, was auch, wie bereits erwähnt, ein gängiges Mittel populistischer Parteien ist (HOLTMANN 2018, S. 11-14). Da sowohl die Idee der illegalen Form der Parteienfinanzierung und die Beeinflussung der öffentlichen Medien in dem „Ibiza-Video“ von ihm kommen. Er rechtfertigt sich damit, dass die Videoausschnitte aus dem Kontext gerissen sind und ihn durch das Zusammenschneiden verunglimpfen sollen. Ob dies den Tatsachen entspricht, lässt sich zwar stark bezweifeln, jedoch auch nicht eindeutig nachweisen, da weder der „Spiegel“, noch die „Süddeutsche Zeitung“ das komplette Videomaterial öffentlich gemacht haben. Auch merkt er an:
„Keine Spenden sind an die Partei oder gemeinnützige Vereine ergangen, von den besagten Namen die genannt worden sind. Und auch niemand anderer in der Partei hatte mit dieser Dame und diesem deutschen Bekannten der Dame Kontakt. Nämlich es war ein rein privates Treffen, wo nur wir beide diesen Kontakt hatten.“ (H.C. STRACHE RÜCKTRITTSERKLÄRUNG , 18.05.2019)
Damit impliziert Strache, dass es keine Straftat oder ein rechtswidriges Verhalten gegeben hat, sondern nur ein „privates Treffen“, bei welchem man auf Grund von „alkoholbedingtem Machogehabe“ Fehler gemacht habe. Allerdings betont er, dass er „(…) immer wieder penibel auch auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen unseres Rechtsstaates bestanden habe.(…) Und es gab und gibt bei mir keine illegalen und rechtswidrigen Vorgänge. Auch keine Handlungen diesbezüglich.“ Auch wenn, diese Erwähnungen der „Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen“ nicht aus den Videosequenzen hervorgeht, kann man Straches Äußerungen durchaus als rechtlich fraglich bezeichnen und aller Wahrscheinlichkeit nach davon ausgehen, dass es sich auch hierbei um eine Lüge handelt.

Durch diese Rechtfertigungsargumentationen in Form von der Verschiebung der Schuld auf fremde Mächte (“geheimdienstlich gesteuerten Aktionen”, “dirty campaining” ), die bewusste Einnahme der Opferposition, das Schüren von Emotionen (Tod von Gudenus´ Vater) und das gezielte Streuen von Fehlinformationen kann es gerade unreflektierten und eher ungebildeten Bürgern schwerfallen, sich nicht emotionalisieren zu lassen und die tatsächliche Faktenlage zu erkennen. Diese Rhetorik hat daher einen großen Einfluss auf die Wählerschaft der FPÖ.

Fazit

Abschließend lässt sich sagen, dass sich die scheinbare Immunität der FPÖ gegen Skandale auf viele verschiedene Faktoren zurückführen lässt, die in Kombination ausschlaggebend für die Wahlerfolge der Partei sind. Entscheidende Gründe sind hierbei die Zusammensetzung der Wählerschaft aus eher ungebildeten und unreflektierten Bürgerinnen und Bürgern, die Streuung gezielter Fehlinformationen über leicht zugängliche Medien (Facebook, Twitter, Kronenzeitung etc.), die kulturelle Verankerung der “Traditionspartei”, die immer noch aktuelle Flüchtlings-Thematik, die emotionalisierende Rhetorik der entsprechenden Politiker und die Arbeits- und Bildungsdisparitäten zwischen Stadt und Land.

Wenn man die historische Entwicklung der Wahlerfolge genauer betrachtet, ist zwar eine klare Zunahme bei der Wählerschaft zu erkennen, jedoch stehen diese immer in Abhängigkeit zur jeweils aktuellen massenmedial diskutierten Thematik. Diese scheinbar relevanten bzw. scheinbar problematischen Themen wird es immer geben, vor allem in friedlichen und demokratischen Zeiten, weshalb es auch immer Wählerinnen und Wähler von populistischen Protestparteien geben wird, gerade weil diese Wählerschaft so uneinsichtig scheint. Daher sollte man auf lange Sicht über bildungspolitische Maßnahmen und Investitionen diese Wählerschaft verringern und so das soziale und demokratische Wertesystem erhalten.

Literatur

Online-Quellen:
Bücher und PDFs:
  • PELINKA, A. (2002): Die FPÖ im internationalen Vergleich - Zwischen Rechtspopulismus, Deutschnationalismus und Österreich-Patriotismus. Innsbruk: conflict & communication online. Abgerufen 18. Juni 2019, von http://www.cco.regener-online.de/2002_1/pdf_2002_1/pelinka.pdf 
  • PELINKA, A. (2002): Die FPÖ in der vergleichenden Parteienforschung: zur typologischen Einordnung der Freiheitlichen Partei Österreichs. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 31(3), 281-290. Abgerufen am 18. Juni 2019, von https://nbn-resolving.org/ 
  • BRODNIG, I. (2017): Lügen im Netz – Wie Fake News, Populisten und unkontrollierte Technik uns manipulieren. 1. Aufl. Wien: Christian Brandstätter Verlag.
  • HOLTMANN, E. (2018): Völkische Feindbilder - Ursprünge und Erscheinungsformen des Rechtspopulismus in Deutschland. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
  • PLASSER, F. (1996): TV -Confrontainments und Strategien populistischer Politikvermittlung in Osterreich. In: Medien und politischer Prozeß 1996. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 95-102.
  • SCHEUREGGER, D. & SPIER, T. (2007): WORKING-CLASS AUTHORITARIANISM UND DIE WAHL RECHTSPOPULISTISCHER PARTEIEN - Eine empirische Untersuchung für fünf westeuropäische Staaten. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS), 59. Jg., H. 1, S. 59-80.

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