Dienstag, 16. Januar 2018

Rezension zu Claus Leggewie: Anti-Europäer

Leggewie, Claus (2016), Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al Suri & Co, Suhrkamp (oder Lizenzausgabe für die bpb, Bonn 2017).

Rezension

Autor: Tom Klaus

Claus Leggewie, ein sich selbst als „68er“ bezeichnender, 1950 in Wanne-Eickel geborener, deutscher Politikwissenschaftler, brachte 2016 einen 173 Seiten umfassenden, interessanten Essay mit dem Titel "Anti-Europäer" heraus. Leggewie beschäftigt sich mit drei Anti-Europäern und den von ihnen verfassten Kampfschriften extremen Inhalts, welche abgesehen von Anhängern der drei politischen Unternehmer wohl kaum gelesen werden und die gemäß der heutigen Zeit im Internet kursieren. Er porträtiert den norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik, den Russen und „Eurasier“Alexander Geljewitsch Dugin sowie den Syrischen Dschihadisten Abu Musab al-Suri.

Zu Beginn des Buches stellt Leggewie klar, der Vergleich der drei Charaktere sei auf keinen Fall als Gleichsetzung zu betrachten. Vielmehr versucht er in seinem Essay markante Unterschiede herauszuarbeiten und anschließend mögliche Gemeinsamkeiten zu registrieren. Eine und vermutlich auch die prägnanteste Gemeinsamkeit der Porträtierten stellt der Autor jedoch zu Beginn des Buches klar: Das gemeinsame Feindbild der antieuropäischen Wortführer heißt Europa.


Im ersten Teil des Buches beschäftigt sich der Autor mit Anders Breivik und dem von ihm verfassten Pamphlet „2083 - Eine europäische Unabhängigkeitserklärung“. Breivik, ein Identitärer, der seine grauenhafte Tat, bei der 2011 in Norwegen knapp 80 Menschen getötet wurden und viele weitere verletzt wurden, rechtfertigt diese damit, dass er Europa und Norwegen habe schützen wollen und müssen, und zwar gegen den Islam und den von Breivik verhassten „Kulturmarxismus“.

Laut Leggewie wäre es auch „unter den ärgsten Muslimfressern tabu“, sich auf Breivik und seine abscheuliche Tat zu berufen, jedoch schreibt er ihm und seiner Tat eine indirekte Wirkung auf die europäische Gesellschaft zu. Gerade die Ablehnung des Islam sei eine der „wichtigsten Mobilisierungsmotive autoritär-nationalistischer Bewegungen“ (S. 57). Hierbei gelte es jedoch grundsätzlich, zwischen berechtigter und auch vom Autor vertretener Kritik an einer fundamentalistischen Auslegung des Korans und der grundsätzlichen Ablehnung alles Islamischen zu unterscheiden. Wie sehr Islamophobie den Aufschwung rechtspopulistischer Bewegungen befeuert, wird unter anderem am Wahlerfolg Donald Trumps und dem sich durch die europäischen Staaten ziehenden „Rechtsruck“ deutlich.

Die unter Identitären und Populisten obligatorische Ablehnung gegenüber den Eliten und die Angst vor einer „allzu bunten Welt“ und dem sozialen Abstieg haben mit dem Islam und dessen Ablehnung zwar nicht viel zu tun, jedoch gelten Muslime laut Leggewie heute als Sündenböcke. Islamfeindlichkeit sei eine „Antwort auf soziale Vereinzelung“. Ein weiterer Aspekt, den Leggewie aufzeigt und der paradox erscheint, ist, dass die Profiteure der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich hauptsächlich in Unternehmen und Banken und nicht in den Parlamenten sitzen. Die Ironie bestehe darin, „dass ausgerechnet ein Milliardär wie Donald Trump in diesem Schmierentheater die Hauptrolle spielen möchte“ (S. 60).

Im zweiten Teil des Buches setzt sich der Autor mit dem Russen Alexander Dugin und seinen Werken auseinander. Der Eurasier Dugin, der als Professor an einer Universität in Moskau vor allem Geopolitik dozierte und darüber hinaus Auftritte im Fernsehen und auf verschiedenen Rednerpodien im In- und Ausland hatte, gilt als ein Vordenker der Neuen Rechten. Wie bei Breivik ist die konservative Revolution zentraler Bestandteil seiner Ideologie, jedoch agiert er weder als isolierter Einzelkämpfer noch als Terrorist. Der Autor beschreibt Dugin als „Schreibtischtäter“ mit Zugang zur Spitze des russischen imperialen Systems (S. 62).

Verfechter der „neoeurasischen“ Weltanschauung zielen darauf ab, Europa von den USA abzulösen und unter russische Führung zu stellen. Die liberale Demokratie wird hierbei von Dugin als fremd angesehen. Im Gegensatz zu Breiviks Unabhängigkeitserklärung, wirken Dugins Werke auf Leggewie, „durchkomponiert wie wissenschaftliche Arbeiten“ (S. 71). Nach Dugins Überzeugung ist die Überlegenheit der USA der Grund für den Niedergang Europas und Russlands. Der Liberalismus und die Vermischung führe zum Untergang der Kulturen und natürliche, spirituelle und organische Werte würden dadurch zerstört werden. Dugin befürwortete jedoch die Präsidentschaftskandidatur Trumps, dessen möglichen Wahlsieg Leggewie als „Super-GAU“ für die westlichen Demokratien prophezeite. Laut Leggewie würde der nun doch Realität gewordene Wahlsieg Trumps einen neoeurasischen Anschluss, „in den Bereich des Möglichen rücken“ (S. 100).

Der Dschihadist Abu Musab al-Suri ist der letzte von Leggewie behandelte Anti-Europäer. Er tritt nicht als Schreibtischtäter wie Dugin oder als „einsamer Wolf“ wie Breivik auf. Er agiert als Stratege, der in seiner Abhandlung „Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand“ dschihadistische Kampfmethoden und Strategien niedergeschrieben hat. Die 1500 Seiten lange Abhandlung kursiert ebenfalls im Netz und soll eine Anleitung für junge Männer sein, um Dschihadist zu werden (S. 104).

Al-Suri rückt seine eigene Persönlichkeit stärker ins Zentrum seiner Schrift, sein Lebenslauf soll für seine Anhänger Beispiel „für den richtigen Weg zum Islam sein“. Al-Suri wird als Theoretiker und Instrukteur des Dschihad bezeichnet. Wie die anderen vorgestellten Anti-Europäer lehnt Al-Suri demokratische Strukturen ab und ebenso wie Breivik predigt er die Notwendigkeit der Wiederkehr religiöser Überzeugungen. Außerdem fordert er die „Auslöschung sämtlicher ungläubiger Denk- und Herrschaftssysteme". Leggewie hält seine Schrift für die gefährlichste, da der operative und militärische Teil eine „totale Auslöschung“ Europas vorsieht und systematischer und realistischer wirke als Breiviks Darlegungen (S. 115). Nacktheit, Homosexualität, Musik und Gesang sowie auch das Tragen westlicher Kleidung sind für Al-Suri in keiner Weise tolerierbar.

Nimmt man nun alle porträtierten Anti-Europäer gemeinsam in den Blick, wird klar, dass zwischen ihnen Welten liegen und sie sich alle selbst als Feinde sehen. Jedoch sollte, so Leggewie, beachtet werden, dass das gemeinsame Ziel das Anzetteln eines Bürgerkriegs in Europa ist. Weltoffene, tolerante und liberale Europäer sollen das Vertrauen in ihre „heile Welt“ verlieren bis hin zur Aufgabe ihrer persönlichen Freiheit. Bei präziser Betrachtung der jeweiligen Feindbilder stellt man verblüfft fest, das selbstbestimmte Individuen, seien sie schwul, gottlos, demokratisch oder emanzipierte Frauen, in den Weltanschauungen der vorgestellten Feinde Europas keinen Platz finden.

Die Brisanz des Themas sieht der Autor darin, dass die Feinde Europas auf eine „krisengeschüttelte Europäische Union“ treffen, die zu „erodieren“ droht. Weiter führt er an, dass gerade die euroskeptische Haltung vieler Staaten mit dem Wunsch, ins Nationale zurückzukehren, genau das wäre, was sich die vorgestellten Anti-Europäer erhoffen (S. 147). Für Leggewie ist es deshalb Aufgabe europäischer Politik und Institutionen, sich denjenigen zuzuwenden, die sich von Europa distanzieren. Seien es Islamisten aus den Gesellschaften Europas oder für Autokratie anfällige, die sich hinter populistische Führungskräfte stellen und sich für deren vereinfachte Politik als „Stimmvieh“ hergeben.

Für eine gemeinsame Zukunft Europas muss die pessimistische Grundstimmung überwunden werden. Hier sollte nicht weiterhin vorgegangen werden wie bisher. Es ist die Aufgabe Europas, mit „originellen und innovativen Vorschlägen aufzuwarten“, um die Zukunft des Kontinents kooperativ, nachhaltig und vor allem egalitär zu gestalten. Für außerordentlich wichtig hält es der Autor hierbei, Elemente wie Hoffnung und Zivilcourage über die gängigen Narrative Angst, Niedergang und Unterwerfung zu stellen (S. 149).

Claus Leggewies Essay ist für mich ein sehr lesenswertes, zum Nachdenken anregendes, teilweise aber auch schwer erfassbares Buch, welches dem Leser deutlich macht, wie wichtig der Zusammenhalt der europäischen Gesellschaften für ein in der Zukunft funktionierendes Europa ist und welche Gefahren für Europa aus unterschiedlichen politischen Bewegungen und Ansichten entstehen können.

Der häufige Bezug zu Donald Trump, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches, noch weit entfernt davon war, tatsächlich ins Oval Office einzuziehen, wirft Fragen über die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einiger vom Autor aufgestellten Thesen auf. Es wäre sicherlich spannend, nach nun gut einem Jahr Trump Leggewies Stellungnahme zu einigen von ihm prophezeiten Szenarien zu lesen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen