Mittwoch, 17. Januar 2018

Rezension zu Timothy Snyder: Über Tyrannei

Snyder, Timothy (2017), Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand, C.H.Beck (oder Lizenzausgabe für die bpb, Bonn 2017)

Rezension

Autorin: Lea Schwarz

Das Buch „Über Tyrannei“ wurde vom US-amerikanischen Historiker Timothy Snyder verfasst. Snyder, der Europäische Geschichte und Politikwissenschaft studierte, setzt die Schwerpunkte seiner Forschung auf die osteuropäische Geschichte und den Holocaust. Er setzt sich in einer Reihe von Büchern mit Unfreiheit und Autoritarismus auseinander und stellt Ereignisse und Persönlichkeiten ab der Nachkriegszeit in Bezug zum Zweiten Weltkrieg und autoritativen Führern aus Ost- und Mitteleuropa des 20. Jahrhundert. Das tut er auch in seinem 2017 erschienenen Buch „On Tyranny“.

Das Buch beinhaltet zwanzig Lektionen für den Widerstand, entstanden aus der Auseinandersetzung mit den Denk- und Handlungsmustern der Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus und des Kalten Kriegs. Snyder versucht, eine Handlungsanleitung zu geben, wie man sich gegen die Anfänge der Tyrannei oder des Totalitarismus wehren kann, und appelliert, sich unter anderem für die Demokratie, Menschenrechte, Institutionen und Sprache einzusetzen.


Snyder verfasste sein Buch kurz nach Trumps Wahlsieg, und durch einige explizite und implizite Bemerkungen wird für den Leser deutlich, dass er sich unter anderem auf den Präsidenten bezieht, wenn er davon spricht, Widerstand zu leisten sei notwendig. Jedoch sind seine Lektionen nicht nur für die Amerikaner hilfreich, sondern für alle Menschen, die sich dem Erstarken einer populistischen, totalitären Macht gegenübersehen.

„Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam“ – so lautet die erste Lektion Snyders. Zurückblickend auf den Zweiten Weltkrieg stellt er fest, dieses Phänomen habe zu erheblichem Machtzuwachs der Nationalsozialisten geführt. Die Österreicher beispielsweise kapitulierten demnach, ohne Widerstand in Erwägung zu ziehen, und lehrten somit die Mächtigen - nach dem Motto „Macht ist dort, wo sie vermutet wird“ -, wozu sie überhaupt fähig sind (S. 17). Das passiert vor allem, wenn Menschen sich mit einer Situation abfinden, anstatt diese als unnormalen Zustand einzuschätzen, gegen den Widerstand geleistet werden muss.

Ein Aspekt, der zugleich eine Kernaussage des Buches beinhaltet, beschäftigt sich mit den Institutionen. Laut dem Autor helfen diese, den Anstand zu wahren. Damals, zu Zeiten des Nationalsozialismus, sowie heute waren bzw. sind viele Menschen der Meinung, wichtige Institutionen, die sich beispielsweise um Menschenrechte kümmern, würden ewig fortbestehen. Timothy Snyder erwidert darauf:
„Der Fehler liegt in der Annahme, Machthaber, die durch Institutionen an die Macht kamen, könnten genau diese Institutionen nicht verändern oder zerstören (…)“ (S.23).
Victor Orban, der sich in Ungarn beispielsweise klar für eine illiberale Demokratie ausspricht und eine dementsprechende Justizreform in die Wege leitete, könnte genau so ein Punkt sein, vor dem Snyder warnt. Ihm scheint es bei diesem Punkt vor allem darum zu gehen, dass uns die Institutionen nicht vor Tyrannei bewahren, sondern dass Institutionen nur dann fortbestehen, wenn sie von der Bevölkerung genutzt und unterstützt werden.

Der Einfluss von Symbolen und Sprache ist ein weiterer entscheidender Punkt beim Aufstieg der Tyrannei, auf den Snyder eingeht. So nennt der Autor das Beispiel, dass durch Hitlers Verwendung der Sprache eine legitime Opposition unmöglich wurde. Indem er sich als „alleinigen Volksvertreter“ präsentiert, impliziert er, dass jeder Andere das Volk nicht vertritt – und was wäre die Legitimation einer solchen Volksvertretung, die das Volk nicht vertritt?

Die Wortwahl Hitlers, sowie auch rechtspopulistischer Gruppen heutzutage, bewirkt zugleich eine Emotionalisierung der Themen, sodass die Menschen, bevor sie die Möglichkeit haben, Fakten zu überprüfen, beeinflusst werden. Der Zweck davon ist, die Menschen in eine bestimmte Richtung zu lenken und ihre Assoziationen zu Gunsten der Sprecher zu beeinflussen. Dies geschieht zum Beispiel, wenn Hitler statt von „Kämpfen“ von „Siegen“ spricht oder wenn über eine längere Zeit die Begriffe „Islam“ und „Terrorismus“ miteinander gekoppelt werden, sodass man die Begriffe miteinander assoziiert.

Eine weitere seiner Thesen, die mir sehr wichtig erscheint, lautet: „Frage nach und überprüfe“.
„Ergründe Dinge selbst. Verbringe mehr Zeit mit langen Artikeln. Unterstütze den investigativen Journalismus, indem du Printmedien abonnierst. Denk dran, dass einige der Dinge, die sich im Internet finden, dir schaden wollen. (…) Übernimm Verantwortung für das, was du mit anderen kommunizierst" (S. 73).
Was der Autor außerdem hervorhebt, ist, dass Demokratie sich nicht von selbst organisiert. Sie ist der Ausdruck der Beteiligung der Menschen, die in ihr leben. Aktive politische und gemeinnützige Partizipation, die Freiheit und Möglichkeiten zum Austausch mit anderen und der Informationsbeschaffung zu nutzen, sind daher notwendig für ein Lernen aus der Geschichte der Tyrannei.

In Snyders Lektionen lassen sich Elemente finden, die darauf bedacht sind, die Merkmale des Populismus bzw. solche, die diesen mächtig machen, zu entlarven oder einzudämmen. In Bezug auf Trump sieht der Autor eine der größten Gefahren in der Leugnung der Realität und darin, dass Lügen gesagt werden, als sei es die Wahrheit. Die Stellvertreterthese von Populisten, die aussagt, sie seien die einzig wahren Vertreter des Volkes, ist beispielhaft zu erwähnen.

Snyder schließt seine Lektionen mit einer sehr drastischen (apokalyptischen) Aufforderung „Sei so mutig wie möglich. Wenn niemand von uns bereit ist, für die Freiheit zu sterben, dann werden wir alle unter der Tyrannei umkommen“ (S. 117) und der Warnung, die liberale Demokratie als unausweichliche und vorbestimmte Form der Politik zu betrachten und dadurch der Geschichte eine Bedeutungslosigkeit zuzumessen.

Mit seinem Buch versucht der Autor, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Als Holocaust-Experte gelingt es ihm meiner Meinung nach sehr gut, zu verstehen, wie die Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus auf politische und gesellschaftliche Veränderungen reagiert – oder eben nicht reagiert – haben.

Durch seine imperative Schreibweise fühlt man sich als Leser direkt angesprochen und aufgefordert, etwas zu tun – und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Mir gefällt, dass Snyder die damals gemachten „Fehler“ konstruktiv aufzuarbeiten versucht, die er dem Leser mit vielen Beispielen sehr gut eindrücklich macht.

Snyder verfasste sein Buch nach der Wahl Trumps zum Präsidenten 2016. Wenn er von „wir“ spricht, meint er zwar auf den ersten Blick das amerikanische Volk, jedoch sind seine zwanzig Lektionen für den Widerstand nicht nur für die Amerikaner oder generell Menschen, die sich dem Erstarken einer populistischen Partei gegenübersehen, hilfreich, sondern für alle diejenigen, die sich für Demokratie, Pluralismus und Offenheit in einer Gesellschaft einsetzen wollen.

Timothy Snyder verlangt nichts Unmögliches. Viele der Lektionen sind keine mit viel Aufwand verbundenen, einschränkenden Taten, sondern Dinge, die mit ein bisschen Aufmerksamkeit einen großen Effekt erzielen können und hinter denen mehr steckt, als man auf den ersten Blick sieht. So appelliert der Autor an den Leser, nachzufragen und zu überprüfen, sich mit Menschen aus anderen Ländern zu unterhalten oder ein Privatleben zu führen. Er fordert die Menschen zu Achtsamkeit und Wertschätzung auf – gegenüber den Institutionen, der Sprache, der Informationsbeschaffung und der Wahrheit.

Die Botschaft, die sich durch das gesamte Buch zieht, ist klar: Wir können – und müssen – aus der Geschichte lernen, um unsere Werte zu verteidigen, denn sie tun es nicht von allein. Sie sind auf den Einsatz der Menschen angewiesen, und wenn wir unsere Werte nicht verteidigen, dann tut es keiner.

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