Donnerstag, 23. Juni 2022

Rechtspopulismus und Gender

In diesem Beitrag stellt Katharina Sander folgenden Aufsatz vor:

Dietze, Gabriele (2018): Rechtspopulismus und Geschlecht. Paradox und Leitmotiv; in: Femina Politica – Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 27, 1/2018; S. 34-46, online unter: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/57867 

Gabriele Dietze beschreibt in ihrem Text die Widersprüchlichkeit zwischen dem Rechtspopulismus und dem Bild der Frau. In diesem Zusammenhang analysiert sie das Verhalten von weiblichen Politikerinnen populistischer Parteien in Europa. Ebenso werden die Erfolge der rechtspopulistischen Parteien näher erläutert und die Beziehung zwischen dem Islam und der Emanzipation der Frau ausführlich dargestellt.

Dietze beschreibt bereits zu Beginn ihres Artikels, dass es in vergleichsweise neuen Formationen des Rechtspopulismus heiße, sie seien in ihren verschiedenen nationalen und historischen Ausprägungen strukturell misogyn, sie streben eine Re-Traditionalisierung der Frauenrolle mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung in der Familie an, haben sexistische Unterströmungen, verfolgen einen patriarchalen Führungsstil, sehen im Feminismus eine Nemesis und halten die Kategorie Gender für Teufelswerk (vgl. S. 34).

Europäische Rechtspopulisten identifizieren sich laut Dietze grundsätzlich mit einem Geschlechter- Traditionalismus, wie es unschwer in Programmen, Blogs und Zeitschriften zu belegen ist. Allerdings treffen nicht immer alle aufgezählten Elemente in jeder rechtspopulistischen Partei oder Bewegung zu, so seien beispielsweise nordeuropäische, staatsfeministisch orientierte Parteien weniger emanzipationsfeindlich (vgl. S. 34 f.).

Dietze verweist auf zwei Phänomene, die zu Irritationen führen, wenn man sich die zuvor erwähnten Charakteristika von Rechtspopulisten betrachtet. Das erste Phänomen beschreibt selbst- und machtbewusste Parteiführerinnen rechtspopulistischer Parteien wie Pia Kjaersgaard in Dänemark, Siv Jensen in Norwegen, Marine Le Pen in Frankreich und Frauke Petry in Deutschland, die 2017 von Alice Weidel abgelöst wurde. Außer Pia Kjaersgaard hat keine der genannten Frauen einen traditionellen Lebenslauf, denn diese sind von Scheidungen, Patchwork- Familien und Homosexualität geprägt (vgl. S. 35).

Das zweite Phänomen nennt Dietze „Islam-Sexualitäts-Emanzipations-Nexus“. Hierbei handelt es sich um eine Migrationsabwehr, die über eine sexualpolitisch argumentierende Islamfeindschaft hergestellt wird. Es wird hierbei eine Rückständigkeit der „Anderen“ als Bedrohung im eigenen Land wahrgenommen, da eine vollendete Emanzipation von Frauen und Homosexuellen im eigenen Land bereits erfolgt ist.

Dieser Zusammenhang wird von Sara Farris Begriff des „Femonationalismus“ ebenfalls beschrieben. Er spürt der Verbindung von Nationalismus, Neoliberalismus und einer strategischen Positionierung der Frauenfrage in einigen europäischen Ländern nach. Gerade in den Niederlanden, Frankreich und Italien werden muslimische Frauen als von sexueller und patriarchalischer Unterdrückung betroffen dargestellt, die es zu retten gelte. Im Gegensatz hierzu werden muslimische Männer als Bedrohung wahrgenommen (vgl. S. 35 f.).

Ein zweites Analysemuster stellt ein Analyse-Cluster dar, was Sexualität als Dispositiv der Wahrheits- und Wissenserzeugung darstellt. Ein Beispiel hierfür ist, eine universelle muslimische Homophobie als „un-niederländisch“ darzustellen. Eine Kulturalisierung von Staatsbürgerschaften finde beispielsweise auch in Frankreich statt und sei ein Nationalismus der Werte. Es gehe hier um keine Rasse, sondern um die Wertegemeinschaft, die Frankreich sei (vgl. S. 37).

Dietze beschreibt ihren eigenen Begriff „sexueller Exzeptionalismus“, dem sie allgemein beobachtbare westliche Vorstellungen zugrunde legt. Westliche Länder seien Muslimen gegenüber nicht nur über ein fortgeschrittenes Sexualregime, sondern auch generell über eine „kulturell“ überlegene, aufgeklärte Gesellschaftsform, über die sie verfügen, überlegen. Hierbei handelt es sich um eine Überlegenheitsphantasie, die in eine europäische „Fassadenemanziaption“ führt (vgl. S  37 f.).

Ein weiterer Aspekt ist die weibliche Führerschaft in rechtspopulistischen Parteien. An den bereits genannten Vertreterinnen in europäischen Demokratien lassen sich verschiedenen Strategien erkennen, wie sie ihre Weiblichkeit zum einen als Opferrolle benutzen und zugleich eine emanzipierte Rolle in der Welt der Männer darstellen. Weibliche Politikerinnen müssen einen doppelten Standard erfüllen und Eigenschaften, die bei Politikern förderlich sind, werden Frauen als negativ ausgelegt. Zeigen sie Gefühle und weinen, so handelt es sich um eine angebliche Schwäche, sind sie aber selbstbewusst dann gelten sie als unsympathisch und zu „männlich“.

Allerdings konnten beispielsweise Theresa May und Angela Merkel auch als positive Beispiele hervorgehen, die dem Druck standhalten konnten. Dietze zeigt auf, dass Politikerinnen vor allem den „Telepopulismus“ für sich gewinnen können. Hierbei können sie beispielsweise ihre Rolle als gute Mutter oder Hausfrau präsentieren oder sich als kinderlose Frau bezeichnen, die Opfer von Medienschnüfflern ist. Ebenso wird versucht, unter Frauen eine gewisse Sympathie für die eigene Sache zu entwickeln. Ein weiterer Punkt in Bezug auf die Rhetorik ist, dass sie die Opferrolle der Frau einnehmen und dadurch offengelegten Rassismus überspielen (vgl. S. 38-40).

Es handelt sich um ein dynamisches Paradox, Frauen zum einen als bereits emanzipiert zu betrachten und dennoch auf der anderen Seite klare Geschlechterrollen aufrechterhalten zu wollen. Der Begriff dynamisches Paradox, soll die beschriebenen Wiedersprüche als nicht stillgestellt darstellen, sondern in Bewegung bleibend und stetig neu verhandelnd. Die Kombination aus den formulierten Kernüberzeugungen und emanzipierter Performanz kann als situierendes Element für den derzeitigen historischen Erfolg des europäischen Rechtspopulismus gekennzeichnet werden (vgl. S. 35).

Dietze gibt ebenfalls einen Überblick zum Wahlververhalten von rechtspopulistischen Parteien in Bezug auf das Geschlecht. Als Beispiel führt sie hier Frankreich und im Vergleich dazu Deutschland an. In Frankreich würden auch viele Frauen, ähnlich wie Männer, die rechtspopulistische Partei wählen, gerade seit der Machtübernahme Marine Le Pens. In Deutschland hingegen seien es 9% weibliche Wählerinnen und 16% männliche Wähler. Das spricht dafür, dass in Deutschland die Emanzipationsgewinne geschätzt werden (vgl. S. 40).

Die rechtspopulistischen Parteien haben derzeit politischen Erfolg, dem Dietze zwei Gründe zugrunde legt. Zum einen geht es um die „Abgehängten“, sie fühlen sich abstiegsbedroht und sozialer Ungerechtigkeit ausgesetzt. Es handelt sich hierbei oft um Kleinbürger*innen und Facharbeiter*innen. Der zweite Grund wird als „Cultural-backlash-These“ bezeichnet, und basiert darauf, dass vorwiegend weiße Männer mit Wunsch zur Rückkehr in traditionelle Familienhierarchien rechtspopulistische Parteien wählen (vgl. S. 42).

All die beschriebenen Aspekte lassen Gabriele Dietze zum Schluss kommen, dass das rechtspopulistische Geschlechterprogramm eine Gefahr für die Chancengleichheit von Mann und Frau ist und damit eine Gefahr für die Demokratie darstellt (vgl. S. 42).

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