Sonntag, 26. Juni 2022

Rechtspopulismus in Sachsen

In diesem Beitrag stellt Tom Hökel folgenden Aufsatz vor:

Kailitz, Steffen (2021): Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus in Sachsen. Eine (vorläufige) Bilanz; in: ders. (Hrsg.): Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Sachsen, Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden 2021, S. 127-141, online unter: https://www.slpb.de/fileadmin/media/Publikationen/Ebooks/00_PDF_Kailitz_komplett_online.pdf.

Der Text von Steffen Kailitz teilt sich inhaltlich in zwei wesentliche Bestandteile auf. Zunächst geht es um die Medienberichterstattung über Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus in Sachsen. Der zweite Teil vertieft den politischen Umgang speziell in Sachsen mit Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus. Am Ende des Textes versucht Kailitz, die Ergebnisse des gesamten Buches „Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Sachsen“ einzuordnen.

Zunächst stellt Kailitz klar, dass Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus gerade in Sachsen „dringliche Themen, die großer politischer Aufmerksamkeit bedürfen“ (S. 127) sind. Folglich muss auf vollständige Korrektheit bei der Berichterstattung sehr viel Wert gelegt werden, denn „kritische Medien erfüllen in einer funktionierenden Demokratie eine Schlüsselfunktion“ (ebd.).

Kailitz geht sogar noch einen Schritt weiter und nennt die korrekte und vollständige Berichterstattung über Ereignisse im rechten Spektrum in Sachsen „verdienstvoll und für die demokratische Öffentlichkeit unverzichtbar“ (S. 127). Allerdings betont er auch, dass die Medien trotz ihrer enorm wichtigen Rolle nicht von jeglicher Kritik auszuschließen sind. Genau wie die korrekte und vollständige Berichterstattung der kritischen Medien ist auch die Kritik an Medien ein Grundsatz von funktionierender Demokratie (vgl. S. 128).

Ein Kritikpunkt an der Berichterstattung ist die Naivität und die damit verbundene unzureichende Ernsthaftigkeit gegenüber Politikern von rechtsextremen Parteien. Als Beispiel wird hier die Berichterstattung über „Pegida“ angeführt. Lutz Bachmann, der einen rechtsextremen Hintergrund hat, wurde oftmals „unzureichend ernst genommen“ (S. 128).

Bestärkt wird diese Art von Verharmlosung zunehmend von satirischen Artikeln über Akteure wie Jörg Meuthen oder Beatrix von Storch, welche sich beide als radikal rechtspopulistisch einordnen lassen. Einige satirische Kommentare zur politischen Situation und den sogenannten „sächsischen Verhältnissen“ (S. 128) tragen zu einer gefährlichen Polarisierung in Sachsen bei.

Diese Bagatellisierung belegt Kailitz mit einem Tweet von Jakob Augstein. Dieser twitterte: „Vielleicht könnte man dort eine rechts-autonome Republik ausrufen?“ (S. 128). Er spielt damit auf die Deutsche Demokratische Republik an, die in Sachsen bis 1990 existierte. Er sprach in weiteren Tweets auch von einem Mauerbau gegen Westdeutsche und andere Migranten (vgl. S. 128). Genau diese pauschale Kritik der sächsischen Bevölkerung, die auf satirische Weise geübt wird, birgt die Gefahr, zu provozieren, dass viele Sachsen in die rechte Schiene rutschen und sich damit identifizieren können.

Die Pauschalisierung, dass alle Sachsen "rechts" sind und das ganze Bundesland einen „kollektiven Einstellungskomplex“ (S. 129) habe, ist vielen Sachsen gegenüber ungerecht. Kailitz appelliert, dass man differenzieren muss und gewisse Verhaltensweisen und Denkweisen der Einwohner Sachsens auch mit denen anderer Bundesländer vergleichen sollte. Ein Fehler ist es, nur zwischen „Biosachsen“ und eingewanderten Sachsen, die also nicht dort geboren sind, zu unterscheiden (vgl. S. 129).

Im Gegensatz zur verbreitet negativen Berichterstattung über Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Sachsen ist die Politik dort gerade dabei, ihr Bewusstsein zu wandeln (vgl. S. 130). Allerdings muss man beachten, dass dieser Wandel vor allem an der gewonnenen Stärke der rechtsextremistischen Strukturen in Sachsen liegt. Kailitz beschreibt in diesem Abschnitt den unterschiedlichen Umgang der verschiedenen Ministerpräsidenten mit dem Thema Rechtsextremismus, beginnend mit Kurt Biedenkopf.

Der erste Ministerpräsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf (CDU), wehrte sich gegen die Berichte, dass Sachsen eine Hochburg des Rechtsextremismus in Deutschland sei, und tätigte im Jahr 2000 die Aussage, dass die Sachsen immun gegen Rechtsextremismus seien. Darüber hinaus wiederholte er seine Aussage nochmals, als die AfD erstmals ins sächsische Parlament einzog (vgl. S. 131). Steffen Kailitz widerspricht dieser Aussage in seinem Aufsatz und ergänzt, dass die Pauschalität dieser Aussage für kein Bundesland zutreffend sei (vgl. S. 130-131). Auch nach der Amtszeit von Biedenkopf forderten CDU-Politiker, sich nicht auf den Rechtsextremismus als Problem in Sachsen zu versteifen, sondern auch auf den Linksextremismus und andere Probleme zu blicken.

Mit Anfang der Amtszeit von Stanislaw Tillich (CDU) als Ministerpräsident von Sachsen im Jahr 2008 verschwand dieser Denkansatz mehr und mehr. Zum Beispiel distanzierte sich Tillich, anders als Biedenkopf, klar von Pegida. Er warf Pegida vor, die Situation in Sachsen klar zu verschärfen und dass sie „Hass und Fremdenfeindlichkeit säen“ (S. 131). Tillich gibt sogar zu, dass Sachsen ein Problem mit Rechtsextremismus hat und es größer sei, als viele es wahrhaben wollten (vgl. S. 131).

Michael Kretschmer, ebenfalls CDU, war der Nachfolger von Stanislaw Tillich und ist bis heute der amtierende Ministerpräsident Sachsens. Kretschmer geht beim Umgang mit Rechtsextremismus in der sächsischen Politik noch einen Schritt weiter. Er stufte den Rechtsextremismus im Jahr 2018 als das größte Problem in Sachsen ein (vgl. S. 131). Außerdem fordert er eine klare, harte Linie gegen den Rechtsextremismus. Ein wichtiger Grund hierfür ist auch, dass national wie international den rechtsextremistischen Ereignissen viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde und so auch polarisiert wird.

Kretschmers Plan wird seit der Landtagswahl 2019 und der daraus folgenden Koalition zwischen SPD, Grünen und CDU sehr unterstützt. Die Regierungskoalition hat ein gemeinsames Maßnahmenpaket, um gegen den Rechtsextremismus vorzugehen, angekündigt (vgl. S. 131). Im Jahr 2020 wurde das Maßnahmenpaket dann mit dem Ziel, dem Extremismus und den demokratiefeindlichen Einstellungen mit den Mitteln des Rechtsstaates entgegenzutreten, verabschiedet (vgl. S. 132). Auch der Verfassungsschutz in Sachsen darf nun offen über Verdachtsfälle wie zum Beispiel in der AfD kommunizieren, was zuvor nur auf Bundesebene möglich war.

Die zunehmende radikal rechtspopulistische Mobilisierung auf der Straße sowie die Veränderung der Parteienlandschaft durch die Erfolge der AfD, die vom radikalen Rechtspopulismus in den Rechtsextremismus driftet, werfen in Sachsen die Frage auf, inwieweit der demokratische Zusammenhalt brüchig geworden ist (vgl. S. 133). Außerdem ist zu beobachten, dass eine verbreitete Angst vorherrscht, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu verlieren und gleichzeitig an Offenheit für soziale Abwertung, rechten Populismus und Antidemokratismus zu gewinnen (vgl. S. 134). Bei der Betrachtung rechtsextremistischer Phänomene zeigt sich oftmals ein deutlicher Ost-West-Unterschied (vgl. S. 140).

Kailitz betont in seinem Fazit aber immer wieder, dass dies nicht bedeutet, der Rechtsextremismus sei ein spezifisches Problem Ostdeutschlands. Die Gründe für diesen Unterschied sind graduell und nicht fundamental (vgl. S. 140). Beispielsweise führt Kailitz an, dass von den Aufmerksamkeit erregenden rechtsextremistischen Anschlägen 2019 und 2020 in Kassel, Halle und Hanau nur einer im Osten stattfand.

Auf der anderen Seite sieht Kailitz abschließend auch eine Gefahr für Sachsen, da die sächsische Hauptstadt Dresden als „Hauptstadt der patriotischen Bewegung“ angesehen wird. Grund dafür sind Pegida und die Wahlerfolge der sächsischen AfD (vgl. S. 140). Diese Bezeichnung und Polarisierung Dresdens führt zu einem verstärkten Engagement von rechtsextremistischen Szeneaktivisten in Dresden und somit auch in Sachsen.

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