In diesem Beitrag stellt Philipp Guldner folgenden Aufsatz vor:
Schuppener, Georg (2021): Heimat-Lexik und Heimat-Diskurse in AfD-Wahlprogrammen; in: Rev. filol. alem. 29/2021, S. 131-151, online unter: https://revistas.ucm.es/index.php/RFAL/article/download/78406/4564456559071.
Die Verwendung von Sprache und sprachlicher Mittel steht im Politikgeschehen in vielfältiger Art und Weise schon immer im Vordergrund. Mithilfe von Sprache lassen sich Emotionen wie z. B. Hoffnung und Mut, aber auch Angst und Hass wecken und transportieren. Gerade populistische Parteien machen sich diese Möglichkeiten ganz bewusst zunutze, um potenzielle Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren und die Stimmungslandschaft im Land mitzubestimmen.
Im Parteiprogramm der Alternative für Deutschland (AfD) lassen sich bereits seit ihrer Gründung im Februar 2013 bewusst gewählte Wortspiele und provokante Aussagen herausarbeiten. Gerade wenn es um die Themen Heimat und Zuwanderung geht, wird sichtbar, wie sich die AfD diesbezüglich schon in ihren Anfängen positioniert hat, wie bspw. mit Slogans von Wahlplakaten aus dem Jahr 2013: „Einwanderung ja. Aber nicht in unsere Sozialsysteme!“
Ein maßgeblicher Aspekt ist, dass im damit einhergehenden Parteiprogramm eine Grundform von Panik verbreitet wird, Deutschland stünde kurz davor, von Horden von Einwanderern überrannt zu werden, die alle sofort von den Sozialsystemen profitieren wollen. An dieser Stelle wird also bei der Bevölkerung bewusst Angst geschürt, von der die AfD profitieren will. Auch scheinbar vollkommen harmlose Ausdrücke, die wir ständig im Alltag benutzen, erhalten von der AfD eine emotionalisierende Konnotation, womit sich Georg Schuppener in seinem Aufsatz von 2021 bezüglich des Heimatbegriffs in AfD-Wahlprogrammen genauer beschäftigt.
Die Grundlage der Erarbeitung, welche Rolle die Thematik Heimat in Wahlprogrammen der AfD spielt, bildet bei Schuppener ein Korpus von Wahlprogrammen aus den Jahren 2016 bis 2020. Wahlprogramme eignen sich für diese Untersuchung, weil sie der Selbstdarstellung einer Partei dienen und langfristige Werte und Überzeugungen sowie kurz- und mittelfristige Ziele der kommenden Wahlperiode einer Partei festhalten. Sie gehen inhaltlich auf die Partei selbst zurück und sind für die breite Öffentlichkeit bestimmt. In diesen Korpus wurden alle Programme zu Wahlen auf Bundes- und Landesebene aus den Jahren 2016-2020 aufgenommen (vgl. S. 134/135).
In der jüngeren Vergangenheit hat die Bedeutung von Heimat laut Schuppener durch die zunehmende Digitalisierung und Globalisierung immer mehr zugenommen, nachdem sie noch in den 1990er Jahren eher rückwärtsgewandt war. Zentrales Thema ist nun, inwieweit die AfD das Thema Heimat aufgreift, für ihr politisches Programm nutzt bzw. in ihrem Sinne ausdeutet. Vor allem aber soll dabei untersucht werden, ob und wie die AfD Heimat mit ihren rechtspopulistischen Zielen verknüpft.
Für die lexikalische Analyse wurden alle 18 betrachteten Programme nach dem Lexem „Heimat“ und zugehörigen Wortbildungen durchsucht. Dabei konnten neben Heimat noch 27 Wortbildungen nachgewiesen werden wie z. B. heimatbezogen, Heimatgefühl, Heimatidentität, Heimatliebe, Heimatverbundenheit und Heimatschutz. Im Vergleich zu anderen Lexemen und deren Wortbildungen, wie bspw. „Freiheit“ mit 12 Wortbildungen und „gerecht“ mit nur fünf Wortbildungen, belegt dieser Befund eine ausgesprochen hohe Produktivität des Wortes „Heimat“ (vgl. S. 136).
Aufschlussreich ist ferner die Auswertung, wie häufig die betreffenden Wortbildungen zu Heimat in den Programmen vorkommen: Insgesamt finden sich in den Texten der Wahlprogramme 160 Belege, von denen 77 auf Heimat und 24 auf Heimatland zurückgehen, während alle anderen Heimat-Lexeme Vorkommen im einstelligen Bereich aufweisen; einige davon sind sogar Einzelbelege, wie z.B. „heimatkundlich“, „Heimatmuseum“ oder „Heimatschutzkräfte“ (vgl. S. 136).
Darüber hinaus geht Georg Schuppener auf die Belegzahlen des Begriffs ein, das heißt, wie häufig „Heimat“-Lexik in den einzelnen Programmen vorkommt. Hierbei lässt sich eine starke Streuung und ein zum Teil sehr uneinheitliches Bild erkennen. So lag die durchschnittliche Belegzahl des Begriffs im Jahr 2016 bei 8,25 (33 Belege in 4 Programmen), 2017 bei 4,83 (29 Belege in 6 Programmen), 2018 bei 13 (26 Belege in 2 Programmen), 2019 bei 13,8 (69 Belege in 5 Programmen) und 2020 bei 3 (3 Belege in einem Programm).
Natürlich gilt es hierbei zu berücksichtigen, dass jeweils verschiedene politische Umstände und teilweise eine geringe Zahl von Wahlen vorlagen. Daher nahm Schuppener eine geografische Teilung Deutschlands in Nord und Süd als Grundlage für den Vergleich vor. Wertet man auf dieser Basis die Belege aus, so finden sich in den Programmen zu den Wahlen in den Nordländern insgesamt 71, durchschnittlich 7,89, bei den Südländern insgesamt 81, durchschnittlich 11,57 Belege. Eine weitere mögliche Differenzierung kann zwischen den Stadtstaaten (Berlin, Bremen, Hamburg) und den Flächenländern (alle 13 anderen Bundesländer) vorgenommen werden. Laut Schuppeners Analyse spielt die Thematik Heimat im städtischen Bereich eine deutlich geringere Rolle als in der Fläche.
Das Wort Heimat findet sich in den Programmen vielfach in herausgehobener Position, und der Begriff wird meist mit dem Bundesland direkt verbunden. So trug bspw. das Wahlprogramm aus Sachsen-Anhalt (2016) den Slogan „Wir für unsere Heimat“, das aus Niedersachsen (2017) den Titel „Der Heimat eine Zukunft geben!“, das aus Schleswig-Holstein (2017) den Titel „Unser Land, unsere Heimat“ und das aus Thüringen (2019) „Meine Heimat, mein Thüringen“. Man kann also wohl mit Recht feststellen, dass Heimat einen Zentralbegriff der Wahlkampagnen der AfD darstellt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass der Begriff Heimat in den meisten Fällen mit anderen identitätsstiftenden Gesichtspunkten und Begriffen verknüpft wird. Im Wahlprogramm der AfD in Hessen „Heimatliebe als positiver Wert innerhalb des Familienbildes“ wird die Familie als zentraler Gesichtspunkt aufgegriffen. „Förderung von „heimatlichen Traditionen“, die von Traditionsvereinen weitergegeben werden“ (aus dem Wahlprogramm der AfD in MV) lässt den Bezug zu Tradition und Geschichte herstellen. In allen Fällen bleibt dabei der Bezug zur Heimat territorial (lokal, regional oder großräumig) gedacht, so werden beispielsweise die „heimatlichen Traditionen“ als lokales Brauchtum verstanden, Sprache als Element von Heimat wird rückgebunden an Ort und Region.
Es findet sich hierbei laut Schuppener recht schnell ein Querverweis zur Migrationsthematik. Da die Begriffe „Heimat“ und vor allem „Heimatland“ territorial gebraucht werden, um Deutschland abzugrenzen und im politischen Kontext die Forderung nach Rückführung bzw. Abschiebung von Flüchtlingen implizieren, zeigen die Heimat-Diskurse bei der AfD ihren fremdenfeindlichen Charakter:
„Heimat ist damit auch Mittel zur Segregation der Gesellschaft, indem nach Forderung der AfD Migranten ihre Heimatidentität erhalten und stärken sollten, womit implizit suggeriert wird, dass sie fremd bleiben und so zugleich auf ihre Ausreise vorbereitet werden sollen.“ (S. 144)
Migranten werden homogenisiert und aus der „heimatnahen“, deutschen Kultur ausgeschlossen.
„Führt man diese Beobachtungen über die Oppositionen mit den oben festgestellten Assoziierungen zum Heimatbegriff zusammen, so ergibt sich ein recht eindeutiges Bild, was Heimat bei der AfD bedeutet: Heimat ist identitätsstiftend, und zwar durch Tradition und Geschichte, durch religiöse und ethnische Homogenität, sie ist ein Bollwerk gegen fremde Einflüsse, auch in der Sprache oder in der Kultur. Damit ist ihr die Ablehnung von Fremdem, speziell in Gestalt von Migranten, immanent. Insgesamt ist so das Heimat-Verständnis in den Diskursen der AfD ein für-sich-seiendes und hermetisches. Dies korrespondiert mit der Vorstellung von Volk, die ebenfalls ethnisch und geschlossen und statisch ist.“ (S. 145/146)
Laut Schuppener ist es grundlegend, einen vergleichenden Blick in Programme anderer Parteien zu werfen. Im Hinblick auf die Untersuchung des Heimatbegriffes wurde hierfür das Programm der Partei Bündnis 90/Die Grünen und der CDU ausgewählt. Hier ist festzustellen, dass die Anzahl der Belege des Heimatbegriffes bei den beiden anderen Parteien quantitativ sogar höher ist, aber die inhaltlich-konzeptionellen Unterschiede deutlich werden, denn anders als bei der AfD wird sowohl bei der CDU als auch bei den Grünen ein offenes, inklusives Heimatverständnis präsentiert.
Es wird betont, dass Menschen mit Migrationshintergrund zwar ihre alte Heimat verlassen haben, aber bei uns ihre neue Heimat gefunden haben. Der Heimatbegriff wird also über ein Gefühl definiert und ist nicht zwangsläufig - wie bei der AfD - an Herkunft, Kultur oder Religion gebunden. In jedem Fall wird ein offen-integratives Konzept von Heimat dargestellt und verkörpert, auch wenn die Zugehörigkeit von regionalen und kulturellen Besonderheiten nicht außer Acht gelassen wird (vgl. S. 147). Der Autor fasst zusammen:
“Insofern lässt sich insgesamt bei beiden Parteien ein Heimat-Konzept erkennen, das durch seine in unterschiedlichem Maße integrative Offenheit in deutlichem Kontrast zu dem geschlossenen und vor allem ethnisch gebundenen der AfD steht." (S. 148)
Als Fazit führt Georg Schuppener in seinem Aufsatz aus, dass der Begriff „Heimat“ ein sehr vielgestaltiger Begriff ist, der sowohl im Kontext der Offenheit und Toleranz als auch der Geschlossenheit und Ausgrenzung betrachtet werden kann. Er kann polarisieren und mit vollkommen unterschiedlichen, sogar entgegengesetzten Konzepten gefüllt werden. In jedem Fall aber wird deutlich, dass die AfD aus parteipolitischer Sicht den Begriff Heimat als Teil ihres fremdenfeindlichen und ausgrenzenden Konzepts benutzt und bewusst instrumentalisiert.
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