Freitag, 7. Mai 2021

Medien und Rechtspopulismus: Anatomie eines Dilemmas

In diesem Beitrag stellt Hannah Kraus folgenden Aufsatz vor:

Krämer, Benjamin; Schindler, Johanna (2018): Zum Umgang der Medien mit dem Rechtspopulismus. Hintergründe, Herausforderungen und Handlungsempfehlungen; in: Communicatio Socialis (ComSoc), Jahrgang 51, Heft 2/2018, S. 131-142 (online unter: https://doi.org/10.5771/0010-3497-2018-2-131).

Den Medien wird häufig vorgeworfen, zum Aufstieg des Rechtspopulismus beigetragen zu haben. Benjamin Krämer und Johanna Schindler untersuchen in ihrem Aufsatz anhand von drei Thesen, welchen Konflikten die Medien im Umgang mit Rechtspopulismus begegnen, um anschließend Handlungsempfehlungen bezüglich eines medialen Diskurses zu formulieren, welcher angemessen auf die Herausforderungen, die sich in Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus ergeben, Antwort geben könnte.

Die erste These von Krämer und Schindler bezieht sich auf die unterschiedlichen Bewertungen hinsichtlich des Beitrags der Medien zum Aufstieg des Rechtspopulismus, die auf das Fehlen von Ebenenunterscheidungen zurückzuführen sei. Krämer und Schindler stellen fünf verschiedene Ebenen des möglichen Medieneinflusses auf rechtspopulistische Entwicklungen vor, die Rechtspopulismus gleichzeitig auch begünstigen können: die direkte und indirekte Bewertung, Aufmerksamkeit, Bausteine für Weltbilder und (vermeintliche) Evidenz, Framing und die Ebene der Perspektive.

Rechtspopulistischen Parteien kommt in den Medien eine große Aufmerksamkeit zu. Im Hinblick auf rechtspopulistische Wahlerfolge wird den Medien dahingehend (teilweise) nachgesagt, rechtspopulistischen Parteien in gewisser Hinsicht einen Vorteil dadurch verschafft zu haben, dass sie diesen viel Aufmerksamkeit z.B. in der Berichterstattung, geschenkt haben. Dies ist nach Krämer und Schindler darauf zurückzuführen, dass bestimmte Parteien bestimmte Themen „besetzen“ und nach diesen auch gewählt werden. Eine mediale Betonung führe dazu, dass Parteien bzw. Parteianhänger:innen verstärkt damit in Verbindung gebracht bzw. an diesen orientiert beurteilt werden. Eine rechtspopulistische Partei könne demnach davon profitieren, wenn sie diejenige ist, die primär mit einem bestimmten Thema in Verbindung gebracht wird, welches darüber hinaus auch noch zunehmend „Gehör“ in den Medien findet:

„So schafft z.B. die verstärkte Diskussion über Zuwanderung eine diskursive Gelegenheitsstruktur […] für rechtspopulistische Wahlerfolge“ (S. 133).

Medien können nach Krämer und Schindler, obwohl sie vielleicht eine klare Distanz zu rechtspopulistischen Ideologien aufweisen, allein durch die Darstellung rechtspopulistischer Standpunkte ideologische Bausteine liefern oder verbreiten. So können z.B. Berichterstattungen der Medien mit der Nennung der Herkunft von Straftäter:innen „von entsprechend eingestellten Personen als Beleg genommen werden, dass eben doch ein Zusammenhang zwischen dem ethnischen Hintergrund und kriminellem Verhalten vorhanden sein muss […]“ (S. 133).

Eine subtilere Ebene der journalistischen Kommentierung stellt nach Krämer und Schindler das Framing dar. Medien könnten schon allein dadurch, „dass sie rechtspopulistische Standpunkte als eine von zwei Seiten einer politischen Kontroverse darstellen, diese Positionen stärken“ (S. 134). Ein Thema kann hier von den Medien in ein bestimmtes Bedeutungsumfeld eingebettet werden, was wiederum die Wahrnehmung, die Konstruktion von Realität und Problemen lenkt. Durch Framing ist es den Medien demnach möglich, die Blickrichtung des Informationsprozesses in gewisser Weise vorzugeben und damit zu regeln, welche Elemente wir in der Wirklichkeit mehr bemerken und welche weniger. Medien sind so in der Lage, bestimmte durch Rechtspopulismus „hervorgerufene“ Problemdefinitionen durchaus zu bestärken (S. 134).

Darüber hinaus würde die Berichterstattung meistens die Perspektive der alteingesessenen Mehrheitsgesellschaft annehmen, was bedeutet, dass dahingehend Sachverhalte mit Blick auf die Betroffenheit jener Mehrheitsgesellschaft betrachtet und analysiert werden (S. 134). Alle etablierten Medien würden quasi aus der Sicht einer ethnischen Gruppe berichten, wodurch der Vorstellung eines „wahren Volkes“ und „den anderen“, nach Krämer und Schindler nichts wirklich entgegengehalten werden würde. Dies würde darüber hinaus einen Diskurs konstituieren, in welchem die scheinbar typischen Staatsbürger:innen darüber diskutieren, wie sie politisch über andere verfügen, was das rechtspopulistische Weltbild gewissermaßen indirekt „bestärke“ (S. 135).

Um daraus eine normative Schlussfolgerung zu ziehen, sei es entscheidend, welche Art von Diskurs durch mediale Berichterstattung konstituiert wird und werden sollte (S. 135). Rechtspopulisten werfen den Medien oftmals vor, dass ihre Berichterstattung unausgewogen sei, z.B. wenn rechtspopulistische Inhalte bzw. Standpunkte nicht in ausreichender Form thematisiert werden. Die Berichterstattung sei darüber hinaus unvollständig oder unwahrheitsgemäß, „wenn (scheinbar) mit Zuwanderung verbundene Probleme nicht oder nicht ausführlich genug thematisiert werden […] und sie sei deshalb ideologisch gefärbt und damit nicht objektiv“ (S. 136).

Dies bringe den Autoren zufolge ein Dilemma mit sich: Man müsse entweder der rechtspopulistischen Kritik nachgeben, um professionellen Journalismus zu betreiben oder aber gewisse professionelle Normen aufgeben, um eine Beförderung des Rechtspopulismus zu vermeiden (S. 136). Aus diesem Dilemma resultiere eine gewisse Handlungsmacht der Rechtspopulisten. Sie könnten den Journalismus einerseits mit Provokationen von hohem Nachrichtenwert steuern, aber auch mit Verweis auf seine eigenen Regeln „vor sich hertreiben und Berichterstattung einfordern, die dem rechtspopulistischen Lager nützt“ (S. 136).

Insbesondere die Normen Ausgewogenheit, Wahrhaftigkeit und Wertneutralität seien laut der Autoren davon betroffen. Medien müssten eine Ausgewogenheit der Berichterstattung immer wieder themenspezifisch dadurch herstellen, dass sie eine systematische Sammlung von Standpunkten und möglicher Betroffener vornehmen. Gleichzeitig müsse beantwortet werden, welche Äußerungen (noch) legitim sind und welche den Rahmen eines respektvollen und qualitativen Diskurses sprengen würden. Diese sollten dann vom Journalismus nicht oder nur in angemessener Weise weiterverbreitet werden (S. 136).

Im Bezug auf die Wahrhaftigkeit könnten die Medien die Behauptungen rechtspopulistischer Akteure, auch wenn sie diese selbst vielleicht für unwahr halten, wahrheitsgemäß wiedergeben und im gleichen Zug aber auch zu ihrem tatsächlichen Wahrheitsgehalt Stellung nehmen (S. 137). Im Hinblick auf die Wertneutralität führen die Autoren an, dass dem Journalismus bewusst sein muss, dass er auch immer einen Beitrag zur Realitätskonstruktion darstellt. Journalistische Normen wären dementsprechend eben nicht nur folgenlose neutrale Regeln (S. 137).

An diese Schwierigkeiten schließen Krämer und Schindler einige Handlungsempfehlungen an. Zum einen sollte Journalismus von vorneherein Aussagen zum gesellschaftlichen Geschehen überprüfen und weitergehend aufklären bzw. rechtspopulistische Inhalte und Aussagen in einen Zusammenhang setzen bzw. in ein Gesamtbild einordnen, um diese dahingehend auch „entkräften“ zu können. Hier gilt es, geeignete Begriffe zu schaffen, die zum Verständnis einerseits von rechtspopulistischen und andererseits von alternativen Weltbildern beitragen.

Desweiteren müsse eine geeignete Struktur bzw. eine angemessene Art der Diskursführung gefunden werden. Krämer und Schindler führen an, dass, bezogen auf den Rechtspopulismus, weder jede Kommunikation verweigert werden könne, noch umgekehrt zugelassen werden solle, dass Diskurse beliebig ausgenutzt werden (S. 139). Ein wünschenswerter Diskurs sollte den Autoren zufolge nicht nur den etablierten Schemata für politische Lager folgen oder sich an der Lautstärke etablierter Akteure orientieren, sondern sollte stattdessen vielmehr eine Kommunikation ermöglichen, bei der begründbare Standpunkte unabhängig und ungeachtet ihrer Herkunft eine realistische Überzeugungschance haben (S. 140).

Nach den Autoren müsse man sich einerseits immer wieder neu fragen, welche und v.a. wessen Interessen bei einem Thema berührt sind, und andererseits, welche eventuell weniger sichtbaren Akteure zu einem möglichen Diskurs auf sinnvolle Art und Weise beitragen können (S. 140). In diesem Zusammenhang müssten sich die Medien bzw. der Journalismus und ebenfalls andere Akteure, die zum öffentlichen Diskurs beitragen, darauf verständigen, souverän an selbst gewählten eigenen Orten und Zeiten mit eigenen angemessenen Begriffen eigene Welt-und Gesellschaftsbilder sowie verschiedene Vorstellungen des guten Lebens zu präsentieren, um den rechtspopulistischen Akteuren nicht die Macht des „Tonangebens“ zu gewähren (S. 140).

Die Erläuterung der Abwehrstrategien des Rechtspopulismus führen die Autoren als weitere Handlungsempfehlung für den Journalismus an. Er soll aufzeigen, wie sich der Rechtspopulismus der Kritik entzieht und gleichzeitig Druck auf andere ausübt. So kann ein qualitativ hochwertiger Diskurs entstehen, der dazu beiträgt, die Strategie der Rechtspopulisten, die auf die Verwendung von Doppeldeutigkeiten setzt, um sich der Kritik zu entziehen, systematisch zu identifizieren und den sachlichen Gehalt sowie die Implikationen der Aussagen freizulegen und im gleichen Zug aber auch diese Strategie wie auch andere Arten der Diskursinstrumentalisierung zum Thema zu machen (S. 141f).

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