Samstag, 29. Mai 2021

Rechtspopulismus und Gender

In diesem Beitrag stellt Theresa Keller folgenden Aufsatz vor:

Mayer, Stefanie; Šori, Iztok; Sauer, Birgit; Ajanović, Edma (2018): Mann, Frau, Volk. Familienidylle, Heteronormativität und Femonationalismus im europäischen rechten Populismus; in: Feministische Studien 36 (2), S. 269–285. DOI: 10.1515/fs-2018-0032, online unter: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/fs-2018-0032/html 

Die (rechts-)populistische ‚dünne Ideologie‘ („thin-centered ideology“), wie Cas Mudde sie bezeichnet, verbindet den vergeschlechtlichen Diskurs mit anderen Kategorien, die die Gesellschaft weiter auseinander differenzieren lassen sollen. Diese sind unter anderem die Sexualität, Ethnizität, Rasse, Nationalität und Religion. Dabei steht die heterosexuelle Familie im Mittelpunkt, während Unterschiede, die auf der Sexualität und dem Geschlecht basieren, dazu verwendet werden können, Menschen mit solchen Abweichungen aus der ‚Wir-Gruppe‘ auszuschließen.

Die Intersektionalität ist hierbei ein bedeutender Begriff, der als analytische Perspektive fungiert und „die Intersektion zwischen verschiedenen Arten der Ungleichheit erkennt“. Dabei benutzt der rechtspopulistische Diskurs die Intersektionalität, um ‚das Eigene‘ und ‚die Anderen‘ in der Gesellschaft zu konzipieren. Wobei den Adressat*innen durch die Einbindung dieses Konzeptes in den doppelten Antagonismus ein unmittelbares Verhältnis zu den rechtspopulistischen Akteur*innen suggerieren, also sich klar als ‚das Volk‘ von den anderen abtrennen soll.

‚Geschlecht‘ in rechtspopulistischen Diskursen in Europa

Die Autoren präsentieren in diesem Abschnitt die Ergebnisse einer „kritischen Frame-Analyse“. Unter „Frame“ verstehen sie die Deutungsmuster gesellschaftlicher Verhältnisse, die meist gesellschaftliche Probleme widerspiegeln und die damit verbundenen Lösungen sowie deren Verantwortliche.

Diese Frames, die sich überwiegend mit Geschlecht bzw. Geschlechter- und Sexualitätsordnungen befassen, konnten in zwei Cluster gruppiert werden. Auf der einen Seite stehen Argumente, die Geschlechterdifferenzen, Ungleichheiten und heteronormative Geschlechterverhältnisse naturalisieren, sie also als etwas „Normales“ bzw. „Natürliches“ in die Gesellschaft integrieren wollen – im Text als ‚heteronormatives Cluster‘ bezeichnet – und auf der anderen Seite stehen Argumente gegen den Islam und Migration, die auch rassistische Ansichten gegen Rom/Romnja implizieren. Das wird hier als ‚Othering‘ durch ‚Gendering‘ bezeichnet.

Eine Anti-Eliten-Haltung nimmt clusterübergreifend Stellung gegen die ‚herrschenden Ideologien‘ und für nationale Werte und Traditionen. Beide Cluster konstruieren ‚das Volk‘, trotz Uneinigkeiten der rechtspopulistischen Gruppen und Parteien untereinander. Diese Frames bestimmen den rechtspopulistischen Diskurs.

„Negation der Natur“ und „Zerstörung der Zivilisation“ - Heteronormative Deutungsmuster

Während Rechtsextremismus als patriarchalische, antifeministische und Anti-LGBT- Haltung (Anti-Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual-Haltung) definiert werden kann, ist Rechtspopulismus in dieser Hinsicht offener. Einige rechtspopulistische Gruppen und Parteien, wie die niederländische Lijst Pim Fortuyn, setzen sich aktiv für LGBT-Rechte ein.

Spannend ist dabei, dass es trotz klarer Positionen seitens der Rechtspopulisten hinsichtlich dieses Themas durchaus Variationen und Veränderungen gibt. So treten sowohl Befürworter als auch Gegner von Homosexualität auf, wobei die Toleranz der Befürworter so weit reicht, wie die sexuellen Praktiken Homosexueller nicht die ‚natürliche Ordnung‘ von Familie und Gesellschaft stören. Demonstrativ sprechen sie sich gegen homophobe (muslimische) Immigrant*innen aus.

Die Organisation Printemps Français, die 2013 während der Protestwelle gegen die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare gegründet wurde, nimmt die Themen zu Geschlecht und sexueller Orientierung in ihren politischen Diskurs auf. Die Organisation setzt sich für den Begriff der ‚traditionellen Familie‘ ein und hebt die Bekämpfung einer ‚Gender-Theorie‘ seitens etablierter Gruppen hervor. Der Begriff selbst basiert auf einem Missverständnis des Gender-Konzepts, der das Geschlecht abschaffen wolle und stattdessen eine individuell wählbare Geschlechtsidentität und/oder den ‚geschlechtslosen Menschen‘ propagiere.

Zudem suggeriert dieses Framing, dass Nation und Zivilisation angegriffen werde. Die Organisation warnt davor, dass die Theorie des Geschlechts und das Konzept der sexuellen Orientierung darauf abzielen, unbestreitbare biologische und anatomische Konzepte wie sexuelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen durch ideologische Strukturen ersetzen zu wollen. Diese „ideologischen Konstruktionen“ des Genres seien auch mit einem von den Eliten unterstützten „neuen Totalitarismus“ verbunden. Ziel sei es nicht nur, die heterosexuelle Familie zu zerstören, sondern auch die „Zivilisation“ als solche.

Die Gegenüberstellung von LGBT-Personen und ›Natur‹ sowie ›Normalität‹ stigmatisiert diese Gruppen als ›die Anderen‹ der Gesellschaft und konstruiert gleichzeitig ›das Volk‹ als eine heterosexuelle Gemeinschaft. Die französische Organisation vermeidet jedoch direkte Angriffe auf LGBT-Menschen, indem sie die Eliten, Ideologien und Kräfte der globalisierten Wirtschaft beschuldigt, die Familie und die Nation zerstört zu haben. Dieses Muster findet sich auch bei anderen Akteuren wie den belgischen, italienischen und slowenischen Gruppen wieder. Darüber hinaus problematisiert dieses Frame die Gefährdung der Privilegien heterogener Ehen durch die Gleichheit Homosexueller vor dem Gesetz.

Der „Feminismus“ ist für Akteur*innen rechtspopulistischer Gruppen militant und eine Ideologie, die nur von einer kleinen elitären Minderheit geteilt werde. Jene Akteur*innen vermeiden es, sich offen zu der Geschlechtergleichstellung zu äußern. Dagegen nutzen sie den Diskurs um ‚natürliche‘ Geschlechter und traditionelle Geschlechterrollen gegen feministische Forderungen.

Wobei sich gerade solche Gruppen auf der anderen Seite für die Modernisierung der Familie, Individualisierung und Geschlechtergleichheit in Projekten wie ‚Zeit, Mütter zu sein‘ aussprechen und damit verdeutlichen wollen, dass Mutterschaft für die Frauen eine ‚freie Entscheidung‘ sein müsse. Die Situation berufstätiger Mütter muss es Frauen ermöglichen, ihre Rolle als Mütter "in ihrer Gänze, ihrer Vollständigkeit und ihrer schönen Essenz" zu erfüllen. Diese Einstellung adressiert jedoch nur einheimische Frauen.

Die Position der bulgarischen Organisation IMRO und der slowenischen HiS-Bewegung zeigen die ideologische Relevanz der streng definierten ‚angemessenen‘ Vergeschlechtlichung. Mutterschaft wird auf nationaler Ebene diskutiert. Wobei die IMRO wirtschaftliche Anreize für junge Familien, so scheint es, als Mittel zur Geburtensteigerung nutzt. Die slowenische HiS-Bewegung bezieht sich abstrakter auf Familie und Geschlecht und konzentriert sich auf die angeblich verheerenden Auswirkungen linker Ideologien auf die Nation.

Die Organisationen wollen, dass traditionelle Werte zurückkehren, Werte, die in ländlichen Gegenden durch „Familienzusammenhalt“ und die „Bewahrung der Verbundenheit mit den Traditionen der Vorfahren“ gekennzeichnet sei. Nach rechten Ideen sei das Überleben der Nation auch eine Frage von Werten und Traditionen. Folglich wird die Familie als die zentrale Institution verstanden, in der die biologische und kulturelle Reproduktion der Menschen zusammenfällt. Dabei wird ebenso der Zusammenhang von biologischem und kulturellem Rassismus im rechtspopulistischen Diskurs verdeutlicht.

Das Ende ›unserer Werte‹. ›Othering‹ durch ›Gendering‹

Mit Verweisen auf das Geschlecht stellen rechtspopulistische Gruppen Migrant*innen prä-modern und traditionell dar, dabei unterstellen sie diesen, eine Gefahr für etablierte europäische Werte zu sein. Sie verweisen damit auf den ‚common sense‘ und bringen diese Debatte so in den Diskurs des Mainstreams. Migrant*innen werden zu Sündenböcken für sämtliche soziale Probleme gemacht, wohingegen junge einheimische Familien in Bezug auf Wohnen, Steuern, Kinderbetreuung und Schulbildung bevorrechtigt werden müssten. Diese Denkweisen entsprechen dem Nativismus, der von Cas Mudde unter anderem als Kernideologie der „populistischen radikalen Rechten“ definiert wird.

Im Zuge des Nativismus sprechen sich Rechtspopulisten für spezifische Vorteile für ‚Einheimische‘ bzw. ‚das Volk‘ oder eine strengere Kriminalpolitik gegen Ausländer aus. Eine erfolgversprechende Strategie besteht darin, Nicht-Einheimische als Gefahr zu propagieren. Junge (männliche) Migranten würden eine besonders große Bedrohung für einheimische Mädchen darstellen. Hierbei werden Migranten als aggressiv und gefährlich präsentiert, wobei das ‚einheimische Mädchen‘ gleichzeitig als hilfloses Opfer fungiert. Obwohl einheimische Männer nicht ausdrücklich erwähnt werden, verdeutlicht diese Argumentation der Rechtspopulisten die Notwendigkeit von echter lokaler Männlichkeit. Männer als Beschützer von Frauen werden durch geschlechtsspezifische Bilder anderer Ethnien herausgefordert.

Dieses ‚Othering‘ von (sexueller) Gewalt gegen ‚einheimische Frauen‘ bezieht sich darüber hinaus im rechtspopulistischen Diskurs nicht nur auf den Migranten, der die ‚einheimische Frau‘ bedrohe, sondern auch auf die Markierung eines Territoriums. Frauen stellen dabei die Fruchtbarkeit der Nation dar, welche es zu beschützen gelte. Nicht-indigene Mädchen und Frauen treten einerseits als Opfer der männlichen Dominanz und andererseits als Täterinnen auf. Somit werden ausländische Frauen aufgrund ihrer vermeintlich höheren Fruchtbarkeit als eine Gefahr für das biologische 'Erbgut' des ‚Volkes‘ definiert.

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