In diesem Beitrag stellt Samuel Schaumann folgenden Aufsatz vor:
Drücker, Ansgar (2016): Der Beutelsbacher Konsens und die politische Bildung in der schwierigen Abgrenzung zum Rechtspopulismus; in: Benedikt Widmaier/Peter Zorn (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2016, S. 123-130 (das Buch ist online unter https://m.bpb.de/system/files/dokument_pdf/1793_Beutelsbacher_Konsens_ba.pdf)
Im folgend vorgestellten Aufsatz beschreibt der Geschäftsführer des bundesweit tätigen Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit e.V., Ansgar Drücker, die Herausforderungen der politischen Bildung in Deutschland im Umgang mit der rechtspopulistischen AfD und der Pegida-Bewegung. Dabei geht Drücker konkret auf die Frage nach der Berücksichtigung von rechtspopulistischen Vertreterinnen und Vertretern bei Veranstaltungen der politischen Bildung ein und zeigt diesbezüglich Kontroversen anhand von Beispielen der jüngeren Vergangenheit auf.
Einleitend stellt Drücker eine zentrale Anforderung des Beutelsbacher Konsenses an die politische Bildung dar: „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht [bzw. in der politischen Bildung, der Verf.] kontrovers erscheinen“ (Wehling im selbigen Band). In der Bestrebung, diesem Anspruch gerecht zu werden, sehen sich die Verantwortlichen der politischen Bildung durch Rechtspopulismus, aktuell besonders in Form der AfD und der Pegida-Bewegung, und den Umgang mit diesem Phänomen vor ernste Herausforderungen gestellt.
Der AfD, die zum Zeitpunkt des Erscheinens des Bandes noch nicht im Bundestag, jedoch in einigen Landesparlamenten vertreten war, sollte als politische Partei der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Gleichbehandlung in Bildungsveranstaltungen grundsätzlich dieselbe Rolle zukommen wie anderen Parteien, die als Teilnehmende berücksichtigt werden. Doch solch eine Mitwirkung der AfD hat bereits in vielen Fällen Kritik hervorgerufen und Drücker verweist diesbezüglich auf Veranstaltungen mit problematischem Verlauf.
Für einen vielfach geforderten Ausschluss von Vertreterinnen und Vertretern der rechtspopulistischen Partei von politischen Podiumsdiskussionen und ähnlichen Bildungsveranstaltungen, insbesondere seitens staatlicher Veranstalter, seien stichhaltige und objektive Begründungen notwendig. Nicht zuletzt die Tatsache, dass in den Reihen der AfD neben Menschen, die durch diskriminierende Äußerungen im politischen Diskurs auffallen, auch zahlreiche gemäßigte Politiker*innen zu finden sind, macht triftige Begründungen im Falle des Ausschlusses erforderlich.
Beispielhaft führt der Autor als faktische Begründung die geschlossene Weigerung der anderen Diskussionsteilnehmenden, mit Vertretern der AfD eine Debatte zu führen, an. Angesichts der realen aktuellen Situation sei dies jedoch nicht ausreichend und überdies unwahrscheinlich. Ähnliche Fragen der Berücksichtigung und des Ausschlusses stehen auch angesichts von Pegida, die für sich beansprucht, die „Stimme des Volkes“ zu verkörpern, im Raum.
Anschließend geht Drücker im Text auf den notwendigen Schutz von Minderheiten bei politischen Debatten mit einschlägigen Themen wie Migration und sexuelle Vielfalt ein. Dieser Schutz von Minderheiten in der Gesellschaft könne ein möglicher Grund für die Nichtberücksichtigung von AfD-Politiker*innen und Pegida-Vertreter*innen, die deren Menschenwürde und Lebensweise laut Drücker wiederholt angezweifelt hätten, sein.
Nun geht Drücker auf die nicht-staatlichen Träger politischer Bildungsveranstaltungen ein. Diese haben formal durch eine fehlende Quotenvorgabe größere Freiheiten und können auch ohne Berücksichtigung von AfD-Vertreter*innen das Ziel der angemessenen Darstellung der gesellschaftlichen Meinungsvielfalt verwirklichen. Doch auch nicht-staatliche Veranstalter sollten in bestimmten Fällen gute Gründe für solch eine Entscheidung vorweisen können.
Im folgenden Textabschnitt führt Drücker Argumente an, die für eine Nichtberücksichtigung und einen Ausschluss von rechtspopulistisch verorteten Parteien und Personen bezüglich Veranstaltungen politischer Bildung sprechen. Wie in der aktuellen politischen Debatte häufig geäußert wird, wolle man Rechtspopulisten kein zusätzliches Forum bieten, um menschenfeindliche Ansichten zu verbreiten.
Die Befürchtung, dass durch rechtspopulistische Emotionalisierung die Öffentlichkeit beeinflusst werde und Fakten in den Hintergrund treten, spiele in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Aus konzeptionellen Gründen ist in Podiumsdiskussionen oft kein Raum für Fakten und Richtigstellungen, was das Verhindern solch einer negativen gesellschaftlichen Emotionalisierung in vielen Fällen erschwert.
Als weiteren konzeptionellen Grund nennt Drücker die absehbare Anwesenheit von Menschen, die von herabwürdigenden Äußerungen von rechtspopulistischer Seite in solch einer Veranstaltung besonders betroffen wären. Neben dem gebotenen Schutz dieser Personengruppen müsse in der Argumentation bedacht werden, dass bereits die bloße Anwesenheit von Menschen mit rechtspopulistischen Positionen den betroffenen Minderheiten eine gleichberechtigte Mitwirkung an der Diskussion erschwere.
Als mögliche negative Folgen der aktiven Beteiligung von Rechtspopulisten an politischer Bildung durch Veranstaltungen mit enormer Öffentlichkeitswirkung beschreibt Drücker die Anerkennung und Legitimierung rechtspopulistischer Argumentationsmuster und Forderungen in der Gesellschaft, welche es zu vermeiden gelte. Doch der Autor räumt mit einem Verweis auf das Parteienprivileg im Grundgesetz ein, dass öffentliche Träger der politischen Bildung parteipolitisch neutral sein müssen und damit eine begrenzte Entscheidungsfreiheit in der hier diskutierten Frage haben.
Anschließend geht Drücker auf die „Täter-Opfer-Umkehr“ ein, welche als häufige Reaktion seitens der AfD auf vorangehend angeführte Argumentationen der Nichtberücksichtigung beobachtet werde. Diese bestehe im rechtpopulistischen Narrativ der vermeintlichen Bevorzugung von Minderheiten, wodurch Vertreter*innen der AfD sich selbst zum Opfer stilisieren. Dieses Trugbild der eigentlichen Täter als Opfer der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung müsse von den Verantwortlichen der politischen Bildung aufgedeckt werden, um zur freien Urteilsbildung der BürgerInnen beizutragen. Auch gehe damit eine Reflexion der eigenen Verortung in der Gesellschaft als Aufgabe der politischen Bildung einher.
„Der Schüler [bzw. der Teilnehmende, der Verf.] muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren“ (vgl. Wehling im selben Band). Ausgehend von diesem Grundsatz aus dem Beutelsbacher Konsens führt Drücker die zentrale Rolle der Fakten im Umgang mit rechtspopulistischen Behauptungen und Pauschalisierungen aus. So sei in Podiumsdiskussionen der politischen Bildung Widerspruch mit Fakten und Richtigstellungen als Reaktion auf rechtspopulistische Methoden und unhaltbare Behauptungen unbedingt notwendig. In diesem Zusammenhang sei auch die Rolle des Moderierenden von großer Bedeutung.
Drücker greift daraufhin vermeintliche Sprechverbote als Gegenstand aktueller Debatten auf. Die AfD postuliere immer wieder eine angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit und des alltäglichen Sprachgebrauchs durch "politische Korrektheit". Dabei ignoriere sie den Schutzcharakter eines sensibleren Sprachgebrauchs gegenüber Minderheiten und benachteiligten Personengruppen. Außerdem führt der Verfasser in seiner Gegenrede an, dass es sich primär um begründete Kritik an tradierter Sprache handele und keine Verbote beabsichtigt seien.
Als Hintergrund der vorausgehenden Überlegungen stellt Drücker in seinem Text zwei beispielhafte Veranstaltungen dar, die in den Jahren 2014 und 2015 stattfanden. In beiden Fällen hat die politische Bildung Rechtspopulisten ein Podium geboten, was viel Kritik hervorrief.
Zunächst wird das Beispiel Dresden aus dem Jahr 2015 umrissen. Die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung hat im Januar 2015 ihren Saal für eine Pressekonferenz der Pegida zur Verfügung gestellt. Der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, begründete diese „Hilfeleistung“ mit einer vermeintlichen Raumnot, die den Kontakt zwischen Presse und der Pegida-Bewegung verhindert hätte, wenn man den Saal nicht zur Verfügung gestellt hätte. Außerdem argumentierte Richter mit einer angespannten Sicherheitslage im Vorfeld einer Pegida-Demonstration. Auch im Nachhinein stand Richter zu dieser umstrittenen Entscheidung.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, kritisierte die Vorgehensweise mit einem Verweis auf das Kontroversitätsprinzip des Beutelsbacher Konsens als Grundlage der politischen Bildung in Deutschland. Dass die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung eine einseitige Raumvergabe an die Pegida als parteiische Gruppierung vorgenommen habe, ohne Gegendemonstranten ein Angebot zu machen, sei eine Grenzüberschreitung in Richtung der Parteinahme.
Der Fraktionschef der Grünen im sächsischen Landtag warf Richter vor, dass durch die Zusammenarbeit mit der Pegida-Bewegung eine Organisation unterstützt werde, die den ureigensten Aufgaben der politischen Einrichtung entgegenstehe. Von Seiten des sächsischen Flüchtlingsrats wurde kritisiert, dass der Dialog mit Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund aktuell wichtiger sei als das Gespräch mit Pegida-Anhängern. Dabei wies er auf große Ängste seitens vieler Migranten hin.
Doch neben Kritik am Vorgehen Frank Richters, die auch aus den eigenen Reihen laut wurde, war in Dresden auch viel Zustimmung zu vernehmen. Als mögliche Begründung für diese positiven Reaktionen könne laut Drücker das Ansehen Richters als ehemaliger Angehöriger der Bürgerbewegung genannt werden. Frank Richters Ansatz setzte auf Gespräch und Verständnis im Umgang mit Pegida-AnhängerInnen.
Anschließend beschreibt Drücker ein Ereignis in Köln im März 2014, bei dem der damalige AfD-Vorsitzende Bernd Lucke zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Rechtspopulismus und Rechtsextremismus eingeladen war. Die Diskussion fand im Rahmen der Tagung „Europa auf der Kippe“ der Bundeszentrale für politische Bildung statt. Neben Lucke nahmen einige namhafte deutsche Parteipolitiker und der Bundesgeschäftsführer von Pro Asyl an der Abschlussdiskussion teil.
In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung wurde rückblickend beschrieben, dass Lucke das Podium mit geschicktem Verhalten in der Diskussion dominiert habe, und obgleich der AfD-Politiker mit seinen Positionen allen anderen Anwesenden entgegenstand, habe dieser argumentativ die Debatte beherrscht. Mit einer kritischen Anmerkung zitiert Drücker die Beleuchtung des Geschehens im Tagungsbericht der Bundeszentrale für politische Bildung:
„[…] Die Diskussion machte nicht nur deutlich, dass es in den Parteien unterschiedliche Standpunkte in grundsätzlichen Fragen gibt. Sie hat auch vor Augen geführt, dass es sich lohnt, über die Vermittlung der Perspektiven für Europa nachzudenken“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2014).
Diese Beschreibung kritisiert der Autor als „wenig inhaltsschwer“ und „lapidar“. Zur Frage der Einbeziehung der AfD bescheinigt Drücker gespaltene Meinungen unter den Teilnehmenden. Nach seiner persönlichen Wahrnehmung waren viele grundsätzlich gegen eine solche Berücksichtigung der AfD. Andere stellten sich der Einladung eines AfD-Vertreters grundsätzlich nicht entgegen, doch hatten sie Zweifel am Vorgehen in der konkreten Situation an einer exponierten Stelle mit einer exponierten Person.
„Können also menschenfeindliche oder rassistische Positionen von einzelnen Mitgliedern oder Aktiven der gesamten Partei oder Bewegung zugerechnet werden und disqualifizieren diese sie insgesamt für eine Mitwirkung in unterschiedlichen Formaten der politischen Bildung? In welcher Massivität treten menschenfeindliche Argumentationsweisen auf? Wie verhalten sich die Parteiführung, der Vorstand oder die Sprecher/-innen dazu? Gibt es glaubwürdige Distanzierungen? Ab welchem Punkt ist dann die ganze Partei für seriöse Veranstaltungen der politischen Bildung desavouiert?“
Mit diesen Streitfragen, die er unbeantwortet aufwirft, leitet Drücker sein Fazit des Textes ein. Das Austesten von Grenzen des Sagbaren und damit einhergehende Tabubrüche stellt Drücker als Methodik der Rechtspopulisten dar. Es sei in diesem Zusammenhang gänzlich unangebracht, von politischer Naivität zu sprechen. Rechtspopulisten seien nicht Opfer, sondern Täter, was an menschenfeindlichen Angriffen immer wieder deutlich werde. Mit solchen Angriffen schränken sie die Lebensmöglichkeiten anderer Menschen ein, was im äußersten Falle bis hin zur Volksverhetzung reichen könne.
Bezüglich des Umgangs mit Rechtspopulisten führt Drücker schließlich aus, dass Dialogbereite rechtspopulistischen Positionen mit Rassismuskritik und nichtdiskriminierend entgegnen sollten. Nur wenn Stellung bezogen werde gegen menschenverachtende Positionen, könne Dialog als Beitrag zu politischer Bildung und demokratiestärkend wirken: „Das ist dann keine Überwältigung, sondern Einsatz für die Demokratie.“
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