Dienstag, 2. Februar 2021

Gottschlich: Hindu-Nationalismus in Indien

In diesem Beitrag stellt Vaithehi Logananthem folgenden Aufsatz vor:

Gottschlich, Pierre (2018): Hindu-Nationalismus. Indien auf dem Weg in einen Hindu-Staat?; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 48/2018, S. 34-39 (Online-Version: https://www.bpb.de/apuz/280574/hindu-nationalismus-indien-auf-dem-weg-in-einen-hindu-staat?p=all)

Die Bharatiya Janata Party (BJP) gilt als die indische Volkspartei. Seit 2014 erfährt die Partei einen immensen Erfolg mit ihrem Führer Narendra Modi an der Spitze. Die BJP verfolgt einen stark nationalistischen Kurs. Der Grundgedanke des Hindu-Nationalismus reicht bis in die britische Kolonialzeit zurück. Hierbei wurde der Hinduismus aufgrund seiner konservativen Einstellungen zu Kinderehen, Witwenverbrennungen und dem noch aktuellen Kastenwesen stark kritisiert. Der Haken lag darin, dass man genau an diesen kritischen Aspekten bzw. Traditionen versuchte, das Christentum zu verbreiten.

Viele Hindus versuchten angesichts dieser potenziellen Bedrohung, Reformen zu vollziehen. Der Hinduismus sollte von innen heraus reformiert bzw. verbessert werden in Richtung eines Neohinduismus. Die Hindus seien durch Kolonisierung und Fremdeinfluss in ihrer religiösen Identitätsbildung abgeschwächt worden. Durch diesen potenziellen Identitätsverlust sollten homogene Traditionen - gestützt auf Veda und den Kampf gegen die Feinde - gefördert werden.

Der ideologische Vordenker des modernen Hindu-Nationalismus ist Vinayak Damodar Savarkar. Sein Buch "Hindutva: Who is a Hindu?" gilt als Orientierungslinie der BJP und bestimmt die Grundsätze wie bspw. wer Hindu ist bzw. sein darf. Das Buch unterscheidet in ethnische, kulturelle, religiöse und geografische Merkmale. Savarkar schreibt:

"Indien ist das Land der Hindus, die indische Nation ist eine Hindu-Nation, Inder zu sein heißt Hindu zu sein" (...). Wie viele Kinder eine gute und vaterlandsliebende Hindu-Frau zum Wohle der Hindu-Nation zur Welt bringen sollte – vier, sechs oder doch lieber gleich zwölf?“ (zit. nach Gottschlich 2018).

Rasse, Gleichheit und Homogenität sind bestimmende Merkmale in Savarkars Sicht. Hindu-Nationalisten sehen sich teilweise nicht als Nationalisten und betiteln sich selbst als Konservative, die ihre Identität bewahren wollen.

Die RSS ist eine Kaderorganisation, die aus den Impulsen Savarkars stammte. Ihre Ziele bestehen u.a. in der Vorbereitung gewaltsamer junger Hindus gegenüber ihren Feinden. Die RSS verfolgt Konzepte, Indien als Hindu-Land zu realisieren. Alle anderen Bürger müssen sich unterordnen und die Religion, Kultur und Traditionen nicht nur respektieren, sondern auch verehren. Die RSS wurde u.a. für den Tod von Ghandi als schuldig erklärt und wurde daraufhin verboten. Doch schnell wurde dieses Verbot aufgehoben. Ghandi war ein nicht-gewaltsamer Aktivist, der für die indische Vielfalt eintrat und die indische Unabhängigkeit anstrebte (vgl. Gottschlich 2018).

Welche Instrumente setzt die BJP ein, um ihre Identitätskonzepte zu realisieren? Die BJP warnt das Volk vor potenziellen Gefahren der „Anderen“, wie v.a. der Muslime. Sie schüren strategisch eine „Politik der Angst“ vor "Islamisierung" und Marginalisierung der Hindus im eigenen Land. In der Stadt Ayodhya befindet sich der Geburtsort einer der wichtigsten Gottheiten des Hinduismus. 1528 wurde hier eine Moschee erbaut. Hindu-Nationalisten bestehen darauf, dass der Bau der Moschee am Geburtsort der Gottheit stattgefunden hat. Durch gewaltsame Auseinandersetzungen haben Hindu-Nationalisten die Moschee zerstört. Wo ist nun der politische Hintergrund? Die BJP übernahm die politische Verantwortung des Abrisses und befürwortete die Tat der radikalen Gruppen. Der Abriss der Moschee symbolisiert einen Erfolg der Hindu-Nationalisten im Kontext der Überfremdungsängste (vgl. Gottschlich 2018).

Im Jahr 2002 kam es zu einem Brand, in dem viele Hindus starben. Hindu-Nationalisten sahen diese Situation als Attentat von Muslimen. Daraufhin kam es zu Pogromen. Zahlreiche muslimische Geschäfte wurden geplündert und zerstört. Moscheen wurden zerstört und es gab tausende Opfer (überwiegend Muslime). Wissenschaftler kritisieren, dass dieses Pogrom eine gezielte Strategie Modis für seine angehende Wahlkampagne war. Das Pogrom fand überwiegend in Wahlkreisen statt, die Modi für sich noch erkämpfen musste. So wurden die Bürger auf die potenzielle Gefahr von Gewalt der Muslime („Brandattentat“) sensibilisiert und der Hindu-Leitgedanke bekräftigt (vgl. Gottschlich 2018).

Das Jahr 2014 stand im Zeichen der Parlamentswahlen in Indien und sorgte für einen Aufschwung der zuvor eher gelähmten Partei BJP unter Narendra Modi. In diesem Jahr galt der Bundesstaat Gujarat als der wirtschaftlich stabilste und erfolgreichste Bundesstaat in Indien. Das war der entscheidende Beweggrund für die BJP, den Ministerpräsidenten von Gujarat, Narendra Modi, als Kandidat für die Parlamentswahlen aufzustellen. Kritiker werfen Modi vor, dass Zahlen manipuliert worden sind und er an den anti-muslimischen Pogromen im Jahr 2002 beteiligt war. 2014 wird Nahendra Modi zum Premierminister Indiens gewählt. Seine Amtszeit hält bis heute an. Der Erfolg kann u.a. mit dem Schüren von Angst erklärt werden (vgl. Gottschlich 2018).

Welche Konsequenzen kann der Erfolg für die BJP und Indien bedeuten? Vor einer potenziellen Gefahr für die freiheitliche Demokratie in Indien durch die BJP wird gewarnt. Hierbei kritisiert man, die BJP wolle die säkulare Verfassung strukturell verändern. Die föderalen Strukturen Indiens sollen zentralisiert werden. Eine Hindu-Demokratie soll entstehen. Radikale Gruppen wie die RSS oder VHP fühlen sich nach dem Machtantritt von Modi bestärkt. So befürchtet man Anschläge und Ausschreitungen seitens der radikalen Hindus (vgl. Gottschlich 2018).

Religiöse Minderheiten, wie bspw. die Muslime im Land, werden durch Parlamentsabgeordnete als „Bastarde“ betitelt. Doch viele Politikbeobachter aus nationalen Kreisen gehen nicht davon aus, dass die BJP strukturelle Veränderungen im System oder in der Verfassung vollziehen können. Sie können sich vor dem Wahlsystem nicht drücken. So ist eine höhere Gefahr im kulturellen und gesellschaftlichen Spektrum zu erwarten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen